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Juristische Niederlage für Ägyptens Oberhaus

Kersten Knipp4. Juni 2013

Das ägyptische Verfassungsgericht hat die Wahl des Oberhauses für verfassungswidrig erklärt. Doch über den juristischen Wert des Urteils sind sich Fachleute einig - auch in politisch aufgewühlten Zeiten.

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Demonstration vor dem ägyptischen Verfassungsgericht in Kairo, 14.6. 2012 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Das parlamentarische System Ägyptens kennt zwei Kammern: die Volksversammlung ("Maglis El-Sha'b") und das Oberhaus - den Schura-Rat ("Maglis El-Shura"). Beide Kammern besitzen gesetzgeberische Vollmachten, deren Zusammenspiel große Teile des ägyptischen Rechtssystems entspringen. Doch dieses System ist ins Straucheln geraten: Bereits im Juni 2012 war das Unterhaus - die Volksversammlung - aufgelöst worden. Damals hatte das ägyptische Verfassungsgericht dessen Zusammensetzung aufgrund formaler Fehler im Wahlgesetz für ungültig erklärt. Am vergangenen Sonntag (02.06.2013) erklärte es aus demselben Grund auch das Oberhaus für nicht verfassungsgemäß. Aufgelöst werden muss die Versammlung aber nicht: Maher al-Beheiri, Präsident des Verfassungsgerichts, erklärte, sie könne bis zu den nächsten Parlamentswahlen fortbestehen. Diese werden im Herbst stattfinden, voraussichtlich im Oktober.

Nachvollziehbares Urteil

Juristen halten das Urteil für nachvollziehbar und unanfechtbar. Der Richterspruch sei auf derselben Rechtsgrundlage gefällt worden, auf der auch der Spruch gegen das Unterhaus ergangen sei, erklärt Rechtswissenschaftler Zeid al-Ali, der bei der internationalen Organisation IDEA ("International Institute for Democracy and Electoral Assistance") die Transformationsprozesse in mehreren arabischen Ländern verfolgt.

Tagung des ägyptischen Unterhauses am 23. 1. 2012 (Foto: dpa)
Nur für kurze Zeit im Amt: die Mitglieder des UnterhausesBild: picture-alliance/dpa

Die Wahl des Unterhauses habe nach Auffassung des Gerichts nicht den Vorgaben der Verfassung entsprochen. Dasselbe gelte zwingend auch für das Oberhaus. "Denn beide Institutionen wurden auf der Basis desselben Gesetzes gewählt. Das Verfassungsgericht hat also zu gar keinem anderen Urteil kommen können."

Diese Meinung vertritt auch der Arabist und Islamwissenschaftler Björn Bentlage. Wie beim Urteil zur Verfassungswidrigkeit des Unterhauses im vergangenen Jahr sei der entscheidende Punkt auch dieses Mal die Regelung der Direktmandate. Laut Verfassungsgericht müssten diese für parteilose Unabhängige reserviert bleiben. Militärrat, Regierung und einige Oppositionsgruppen hätten sich vor den Parlamentswahlen aber darauf verständigt, auch Parteimitglieder kandidieren zu lassen. Diese Vereinbarung habe das Verfassungsgericht durch beide Urteile für ungültig erklärt. "Das Urteil auf Verfassungswidrigkeit des Oberhauses schreibt folgerichtig die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu der Frage des Wahlsystems in Ägypten fort", so Bentlage, der schwerpunktmäßig zu Recht und Gesellschaft im heutigen Ägypten forscht.

Oberhaus erleidet Legitimitätsverlust

Formal dürfte das Urteil keine nennenswerten Konsequenzen nach sich ziehen. Denn bis zu den Parlamentswahlen wird das Oberhaus dem Richterspruch zufolge weiter tagen können. Doch sei seine Legitimität zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung in Frage gestellt, erklärt Zaid al-Ali: "Seine Mitglieder werden es schwerer haben, Gesetze zu verabschieden. Das macht es sehr schwierig, mit dieser Arbeit fortzufahren."

Mursis Kabinett bei einer Sitzung, 6.1. 2013 (Foto: dpa)
Politisch geschwächt: das Kabinett des Präsidenten Mohammed MursiBild: dapd

Das Urteil des Verfassungsgerichts fällt in einer Zeit, in der sich Regierung und Opposition unversöhnlich gegenüberstehen. Entsprechend groß ist auf beiden Seiten die Versuchung, es politisch zu deuten. Der scharfe Ton belege vor allem die fortgeschrittene Polarisierung der beiden Lager, erklärt Björn Bentlage. Seiner Einschätzung nach setzt die Opposition nicht mehr allein auf parlamentarische Mittel. Zudem zweifele sie den gesamten bisherigen Übergangsprozess an. Im Gegenzug würden bei der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei - die den Muslimbrüdern verbunden ist - zunehmend Hardliner an Boden gewinnen. Da ihnen kein voll funktionsfähiges parlamentarisches Korrektiv mehr gegenüberstehe, brächten sie zunehmend provokative und teils klar verfassungswidrige Gesetzentwürfe ein. "Doch die Funktionsweise des Oberhauses wird dadurch nicht beeinträchtigt", so Bentlage.

Zweifel an politisch motiviertem Urteil

Wie weit sich durch ihr Urteil auch die Verfassungsrichter an dem politischen Streit beteiligten, lasse sich nicht sagen, erklärt Zaid al-Ali. Es sei denkbar, dass sie das Urteil ihres Hauses auch politisch begrüßten. Zweifelsfrei zu klären sei das aber nicht. "Um das zu beantworten, müsste man die Gedanken der Richter lesen können. Als Jurist kann ich nur sagen, dass ich die Entscheidung für überzeugend halte", so al-Ali.

Zurückhaltend äußert sich auch Björn Bentlage. Es gebe zwar durchaus Spannungen zwischen Oberhaus und Teilen der Justiz. Das habe sich sehr deutlich etwa an dem Streit um die Person des Generalstaatsanwalts und um mehrere Änderungsentwürfe zum Justizgesetz gezeigt. Ebenso gebe es auf beiden Seiten aber auch mäßigende Stimmen, die für eine Formalisierung und Versachlichung der Diskussion einträten. Von ihnen sei etwa zu hören, dass die Justiz in den Gesetzgebungsprozess angemessen eingebunden sei. Aufgrund der angespannten Lage würden solche Einschätzungen aber nur selten gehört. Besser vernehmbar seien die Stimmen der Provokateure. "Diese sprechen - und hier sind sich Islamisten und Säkulare seltsam einig - von einer Begleichung von Rechnungen."

Anhänger der Muslimbrüder demonstrieren für Präsident Mursi, Kairo, 2.12. 2012 (Foto: EPA)
Gegen das Verfassungsgericht, für den Präsidenten: Pro-Mursi-Demonstration in KairoBild: picture-alliance/dpa

Nachdem es sein Urteil gefällt hat, steht das Verfassungsgericht nun vor neuen Aufgaben: Es muss prüfen, welche konkreten Folgen der Richterspruch für die Arbeit der Verfassungsgebenden Versammlung hat.