1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Juristische Parallelwelten

3. Februar 2012

Streitschlichtung ist im arabischen Kulturkreis eine uralte Tradition - eine Tradition, die auch anderweitig praktiziert wird. Allerdings warnen Juristen in Deutschland vor einer islamischen Paralleljustiz.

https://p.dw.com/p/13uHL
Symbolbild zum Thema 'Gesetz, Recht, Jura' (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/drizzd

Sie tragen keine schwarzen Roben und die meisten von ihnen haben auch keine juristische Ausbildung an einer Hochschule absolviert. Islamische Streitschlichter, auch Friedensrichter genannt, haben ihren Wirkungsradius abseits von Kanzleien und Gerichtssälen. Einige von ihnen sind Imame, die in der Tradition der Scharia handeln. In der Rolle des Streitschlichters vermitteln sie bei Ehekonflikten oder Familienfehden. Im Idealfall wirken sie deeskalierend und damit präventiv. Dem kann Joachim Wagner durchaus etwas Positives abgewinnen. Allerdings ist er bei seiner langjährigen Recherche zu seinem aktuellen Buch "Richter ohne Gesetz" auch auf viele negative Beispiele dieser Form der außergerichtlichen Einigung gestoßen.

Zeugenmanipulation hinter den Kulissen

Joachim Wagner beschreibt im Interview mit der Deutschen Welle einen von insgesamt 16 Fällen, die er in seinem Buch genauer unter die Lupe genommen hat:  Ein Mann schießt einem anderen in den Fuß. Später übt der Bruder des Opfers Rache und schießt dem Täter wiederum ins Bein. Beide Fälle landen vor Gericht. Nach Wagners Recherchen werden im Hintergrund des Prozesses islamische Vermittler aus Schweden und Deutschland hinzugezogen, mit dem Ergebnis, dass bei der Fortsetzung des Prozesses der Schuss auf den Fuß eher als ein Versehen dargestellt wird. Das sei so eine typische Aussageveränderung, die zu einem falschen ungerechten Urteil führe, meint Wagner. Letztendlich fiel das Urteil des deutschen Gerichts mit neun Monaten auf Bewährung seiner Meinung nach zu milde aus. Wären Opfer und Zeugen bei ihren ursprünglichen Aussagen geblieben, wäre das Straßmaß wohl höher ausgefallen.

Joachim Wagner (Foto: ARD/Steffen Jaenicke)
Buchautor und Jurist Joachim WagnerBild: ARD Hauptstadtstudio/Steffen Jaenicke

Schnellere Zeugenbefragung nötig

Ähnliche Beobachtungen machte der promovierte Jurist Wagner auch bei der Analyse der übrigen Fälle, die er auf Grundlage von Akten und Gesprächen mit Polizisten und Strafverteidigern untersucht hat. Dabei fiel ihm auf, wie leicht solche Aussageveränderungen vor Gericht akzeptiert werden. Von der Justiz fordert Wagner deshalb, sie müsse die Zeugen härter rannehmen. Außerdem "sollten sie ihre träge Routine gegenüber diesen Vermittlungsverfahren im Hintergrund von Strafverfahren aufgeben."  Konkret bedeutet das, dass die Vernehmung von Zeugen durch einen Richter deutlich früher erfolgen müsse, damit erst gar keine zeitliche Nische für mögliche Manipulationen von Zeugen oder Opfern entstehe.  

'Während Joachim Wagner die Gefahren einer islamischen Paralleljustiz aufzeigt, gibt sich der Deutsche Anwaltverein gelassen. Swen Walentowski, Sprecher dieser Interessensvertretung von rund 70.000 Rechtsanwälten in Deutschland, erklärt: "Das wird gar nicht an uns herangetragen. Wir mutmaßen daher, dass aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird."

Gerichtshammer (Foto: dpa)
Richter sollen Zeugen schneller vernehmen, verlangt WagnerBild: picture-alliance/ dpa

Ob es eine Mücke oder ein Elefant ist, kann Joachim Wagner tatsächlich mit empirischen Daten nicht belegen. Er könne sich bei dieser Frage nur auf das Urteil von Experten verlassen. So hätten ihm mehrere Zeugen, Staatsanwälte, Polizeibeamte oder Strafverteidiger bestätigt, dass es häufig vorkomme. Eine Strafverteidigerin berichtete ihm sogar, dass sie kein Verfahren kenne, wo die Schlichtung nicht versucht worden wäre.

Autorin: Regina Brinkmann
Redaktion: Marco Müller