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Interview: Nicht ohne uns

Bernd Riegert6. November 2012

Einige Mitgliedsstaaten der EU wollen den Etat bis 2020 kürzen. Das EU-Parlament spielt nicht mit. Die Abgeordneten pochen auf ihre neuen Rechte, sagt die Haushaltpolitikerin Jutta Haug (SPD) im DW-Interview.

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German deputy Jutta Haug member of the Progressive Alliance of Socialists and Democrats in the European Parliament, delivers a speech during the last Plenary Session at the European Parliament in Strasboug, France, 15 December 2009. EPA/CUGNOT MATHIEU +++(c) dpa - Bildfunk+++
Jutta HaugBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Der mehrjährige Finanzrahmen der Europäischen Union für die Jahre 2014 bis 2020 ist in der Diskussion. Da geht es um viel Geld, rund 1000 Milliarden Euro. Wo sehen Sie vom Europäischen Parlament die Prioritäten? Wofür soll das Geld der Europäischen Union ausgegeben werden?

Jutta Haug: Die Prioritäten des Europäischen Parlaments sind eindeutig in den Bereichen Wachstum, Beschäftigung und Innovation. Wir haben immer während der Vorbereitung des Haushalts gesagt, dass wir dazu beitragen wollen, dass die Ziele der Strategie "Europa 2020" umgesetzt werden können. Das sind eben Wachstum, Beschäftigung und Innovation. Wir sind uns darüber klar, dass wir die Agrarpolitik reformieren müssen. Wir sind uns darüber im Klaren, dass auch die Regional- und Strukturpolitik dieser Wirtschaftsstrategie dienen müssen. Wir sind der Meinung, dass Europas Mitgliedsstaaten rauskommen aus der Rezession und reinkommen in die Wachstums-Schiene, und zwar nachhaltig.

Den Zielen, die Sie nennen, kann sicherlich jeder zustimmen. Trotzdem sagen die Mitgliedsstaaten, die Ausgaben sind zu hoch, wir wollen Kürzungen. Großbritannien ist da nicht alleine. Auch Schweden und Deutschland haben Kürzungswünsche. Welche Bedenken hat der Rat der Mitgliedsstaaten vorzubringen?

Jeder Teil des Rates guckt einzig und allein darauf, was aus dem jeweiligen nationalen Haushalt an Europa überwiesen werden muss. Das ist ein Problem. Das sehe ich auch so. Das hat aber natürlich mit unserem Einnahme-System zu tun. Im Laufe der Jahre sind wir fast vollständig abhängig geworden von den Überweisungen der Mitgliedsstaaten. Das wollen wir mit dem Finanzrahmen ab 2014 auch gleich ändern.

Es gibt ja Überlegungen die Finanztransaktionssteuer, so sie denn eines Tages kommt und Einnahmen bringt, dem europäischen Haushalt zugute kommen zu lassen. Gibt es da Bewegung oder gar Licht am Ende des Tunnels?

Licht im Tunnel gibt es, weil sich elf Staaten mittlerweile gesagt haben, wir wollen uns zu verstärkter Zusammenarbeit zusammenfinden und diese Finanztransaktionssteuer einführen. Allerdings gibt es bei den Einnahmen noch kein Licht, denn es sind noch einstimmige Beschlüsse notwendig. Ich gehe aber davon aus, dass, wenn die Zusammenarbeit beschlossen und das Gesetz fertig ist, die EU-Kommission folgenden Vorschlag machen wird: Die Zahlungen der Staaten, die bei der Finanztransaktionssteuer mitmachen, können verrechnet werden.

Das heißt: Wer mitmacht bei der Finanztransaktionssteuer wird mit einem Nachlass auf seine EU-Beiträge belohnt? Ist das das grobe Konzept?

Richtig, das ist das grobe Konzept. Wir haben vom Parlament immer gesagt, wir wollen den Haushalt nicht aufblasen, sondern wir wollen ein anderes Finanzierungssystem. Das wird dazu führen, dass Einnahmen generiert werden, die nicht mehr von den Mitgliedsstaaten überwiesen werden müssen. Wir wollen weg von allen Transfers aus den nationalen Haushalten. Wir wollen aber auch weg von allen Rabatten. Das muss man auch sagen. Deshalb stehen die Briten quer im Stall.

Sie sprechen die Rabatte an. Es hat sich über die Jahre seit 1985 ein Nachlass-System auf die Beiträge der Netto-Zahler entwickelt. Da ist nicht nur Großbritannien betroffen. Auch Deutschland erhält einen Rabatt...

Großbritanniens Premierminister Cameron beim Parteitag der Konservatien 2012REUTERS/Toby Melville (BRITAIN - Tags: POLITICS)
Premier Cameron will den EU-Haushalt kürzenBild: Reuters

So ist es!

...alle möglichen Ausgleichssysteme wurden da erfunden. Von außen erscheint dieses System sehr undurchsichtig. Ist das noch zeitgemäß?

Es ist überhaupt nicht zeitgemäß meiner Meinung nach. Die EU-Kommission hat etwas vorgeschlagen, womit wir nicht besonders glücklich sind, aber immerhin scheint es ein Einstieg zu sein. Die Kommission hat pauschale Rabatte für die großen Nettozahler eingeführt. Da wird der Reichtum eines Mitgliedsstaates, sein Bruttonationaleinkommen, den Überweisungen an die EU gegenübergestellt. Das ist immerhin schon eine Verbesserung, aber es nicht das, was wir eigentlich wollen. Wir wollen weg von allen Rabatten.

Die Mitgliedsstaaten wollen das so nicht akzeptieren. Die Mitgliedsstaaten sind jetzt am Zuge, haben in zwei Wochen einen Sondergipfel zur Haushaltsplanung. Am Ende wird es ja sicherlich einen Kompromiss geben. Es stehen Veto-Drohungen im Raum. Ist das der normale Theaterdonner, den man immer erlebt bei diesen Verhandlungen, oder ist das diesmal anders?

Wir erleben das immer. Nur muss man sich diesmal vorstellen, dass das eine andere rechtliche Grundlage hat. Wir arbeiten jetzt nach dem Lissabon-Vertrag. Das heißt die "Nacht der langen Messer" (Verhandlungen bis in die frühen Morgenstunden) wird dem Rat der 27 Mitgliedsstaaten nichts nutzen, weil sie brauchen die Zustimmung auch des Europäischen Parlaments. Und seien sie versichert: Die beste Methode ein Nein von uns zu bekommen, wäre die, es genau so zu machen wie all die Jahrzehnte zuvor. Das wird nichts!

Das Parlament ist also in der für Sie glücklichen Lage, zum ersten Mal gleichberechtigt dem Haushalt zustimmen zu müssen?

Es ist nicht ganz gleichberechtigt, weil wir nur Ja oder Nein sagen können. Es ist nicht ganz gleichberechtigt, aber es ist in der Tat ein Schritt nach vorne. Ohne uns geht nix!

Jutta Haug (61) ist stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Europäischen Parlament. Die Sozialdemokratin vertritt einen Wahlkreis im Ruhrgebiet. Die in Castrop-Rauxel geborene Haug gehört seit 1994 dem Europäischen Parlament an.