1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Kabinett bringt Bundes-Notbremse auf den Weg

13. April 2021

Weitreichende Eingriffe ins öffentliche und private Leben - gekoppelt an Corona-Inzidenzwerte - will der Bund deutschlandweit durchsetzen. Es gibt scharfe Kritik.

https://p.dw.com/p/3ruZ8
Deutschland Coronavirus - Lockdown
Lockdown: In Berlin sollen künftig die gleichen Regeln gelten wie in Bayern oder Thüringen (Archivbild)Bild: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Das Bundeskabinett hat deutschlandweit einheitliche Regelungen beschlossen, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Dazu soll das Infektionsschutzgesetz geändert werden. In einem neuen Paragrafen 28 b wird festgeschrieben, was zu tun ist, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Inzidenz über 100 liegt, also binnen einer Woche mehr als 100 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner kommen.

In diesem Fall sollen mit wenigen Ausnahmen, etwa für den Weg zur Arbeit oder zum Arzt, nächtliche Ausgangssperren zwischen 21 und 5 Uhr verhängt werden. Private Treffen sind dann nur noch für einen Haushalt mit einer weiteren Person gestattet - ohne Kinder insgesamt maximal fünf Personen.

Merkel: "Wichtiger wie auch dringender Beschluss"

Geschäfte mit Ausnahme von Verkaufsstellen für den dringenden Bedarf wie Supermärkte, Apotheken oder Tankstellen müssen schließen, ebenso Kultur- und Freizeiteinrichtungen wie Museen, Theater, Schwimmbäder oder Zoos. Restaurants dürfen nur noch Speisen und Getränke außer Haus verkaufen. Steigt die Inzidenz über 200, sollen Schulen und Kitas geschlossen werden. Für Abschlussklassen können Ausnahmen gelten.

Deutschland Coronavirus - Intensivstation
"Viele werden sterben": Intensivmediziner pochen auf rasche bundeseinheitliche Regeln (Archivbild)Bild: Lennart Preiss/AFP/Getty Images

Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete den Gesetzentwurf als "wichtigen wie auch dringenden Beschluss" für die weitere Bekämpfung des Virus. In Anspielung an den Appell aus ihren ersten Ansprachen zur Corona-Bekämpfung sagte sie: "Die Lage ist ernst. Und wir alle müssen sie auch ernst nehmen."

Aus Sicht der Kanzlerin verläuft die Impfkampagne "Tag für Tag besser" - so gehe man "dem Licht am Ende des Tunnels mit immer größeren Schritten entgegen". Bis einschließlich Dienstag erhielten laut Impfdashboard des Gesundheitsministeriums 16,3 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens ihre erste Impfdosis - was allerdings noch nicht ausreicht, um das aktuelle Infektionsgeschehen merklich zu beeinflussen.

Beschleunigung bräuchte Zweidrittelmehrheit

Sollen die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes wie geplant schneller als üblich durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden, braucht es auch die Bundestagsopposition: Das beschleunigte Verfahren setzt eine Zweidrittelmehrheit voraus. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt signalisierte ein grundsätzliches Ja zur Notbremse bei hohen Inzidenzwerten. Im Sender RBB stellte sie aber auch Bedingungen. So müsse es schärfere Regeln in der Arbeitswelt geben.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland dagegen, er sehe "kaum Möglichkeiten, dem Vorhaben zuzustimmen". Die FDP bemängelt, dass sich der Entwurf vor allem an der Inzidenz und nicht auch an anderen Parametern orientiert. Die AfD lehnt die Maßnahmen grundsätzlich ab. Ihre Fraktionschefs im Bundestag, Alice Weidel und Alexander Gauland, sprachen von einem "Anschlag auf die föderale Ordnung und auf demokratische Grundprinzipien unserer Republik". 

"Spaziergänge sind keine große Gefahr"

Kritik an den Plänen übten auch die Kommunen. Sie haben rechtliche Bedenken angesichts der Ausgangsbeschränkungen ab einer Inzidenz von 100. Diese seien "verfassungsrechtlich problematisch", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg der Funke-Mediengruppe. Ein derart tiefgreifender Einschnitt müsse zudem befristet werden.

Deutschland Coronavirus - Präsenzunterricht
Präsenz oder Distanz? Kinder, die zur Schule gehen, sollen verstärkt getestet werden (Archivbild) Bild: Abdulhamid Hosbas/AA/picture alliance

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller wandte im RBB ein: "Abends allein oder zu zweit spazieren zu gehen, ist keine große Gefahr." Ähnlich äußerte sich der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. "Übertragungen im Freien sind nicht nur sehr selten. Sie führen in der Regeln auch nicht zu Clusterinfektionen", sagte er der "Rheinischen Post". "Aus psychosozialen Gründen sollten wir mit Augenmaß vorgehen und den Aufenthalt im Freien nicht ohne Not erschweren."

"Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen"

Auch der Deutsche Landkreistag hatte die Pläne scharf verurteilt. Präsident Reinhard Sager beklagte am Sonntag "ein in Gesetz gegossenes Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen". Damit verlasse der Bund "den Modus gemeinsamer Krisenbekämpfung", sagte er ebenfalls der Funke-Mediengruppe.

Deutschland Coronavirus - Theather geschlossen
Kulturdämmerung: Museen und Theater - hier die Berliner Volksbühne - sind von der Krise schwer getroffen (Archivbild)Bild: Frank Hoensch/Getty Images

Dagegen appellierte die Intensivmediziner-Vereinigung DIVI an Bundesregierung, Bundestag und Bundesländer, die Regelungen möglichst noch in dieser Woche zu verabschieden. DIVI-Präsident Gernot Marx sagte der "Augsburger Allgemeinen", der bisherige Höchststand an Intensivpatienten werde in der dritten Corona-Welle vermutlich schneller erreicht als erwartet. So könnten bereits Ende des Monats 6000 Intensivpatienten mit COVID-19 verzeichnet werden, so Marx. "Wir reden über sehr viele schwere Erkrankungen und über viele Menschen, die das nicht überleben werden."

Unternehmen müssen Testangebote machen

Neben der Novelle des Infektionsschutzgesetzes ließ das Kabinett auch die neue Arbeitsschutzverordnung passieren, die Unternehmen verpflichtet, ihren Mitarbeitern einmal wöchentlich Testangebote zu machen. Wer viel Kundenkontakt hat oder in Gemeinschaftsunterkünften lebt, soll Anspruch auf zwei Tests haben.

Entschädigt werden sollen Betriebe für die dadurch entstehenden Kosten nicht, wie der Bundesfinanzminister bestätigte. "Das ist jetzt eine nationale Kraftanstrengung und da müssen alle mitmachen", sagte Olaf Scholz im Deutschlandfunk. Anders als die Novelle des Infektionsschutzgesetzes kann diese Verordnung von Arbeitsminister Hubertus Heil ohne parlamentarisches Verfahren erlassen werden und soll daher schon in der kommenden Woche in Kraft treten.

jj/ehl (dpa, afp, rtr)