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Kabul will Live-Berichte verbieten

3. März 2010

Die afghanische Regierung will Live-Berichterstattung bei Terroranschlägen künftig verbieten. Angeblich zum Schutz der Journalisten. Die aber wittern hinter dem Vorstoß das Gespenst der Zensur.

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Wenn es nach der Regierung in Kabul geht, soll es keine Live-Bilder von Anschlägen mehr geben.Bild: AP

Den Anfang machte der afghanische Geheimdienst NDS. Er zitierte ein paar ausgewählte Journalisten zum Rapport und drohte ihnen mit Strafe und Verhaftung, sollten sie es noch einmal wagen, live über einen Anschlag zu berichten. Als die Drohung anschließend die Runde machte, war die Empörung so groß, dass Präsidentensprecher Wahid Omar vor die Presse trat, um die Gemüter zu beruhigen. "Live-Berichte vom Anschlagsort sind in der Vergangenheit von unseren Feinden benutzt worden, um ihre Leute am Boden in Stellung zu bringen und zu dirigieren," erklärte Omar. "Das wollen wir in Zukunft durch einen neuen Mechanismus verhindern."

Attacken der Taliban in Afghanistan Flash-Galerie
Afghanische Sicherheitskräfte machen in Live-Berichten nicht immer einen guten Eindruck.Bild: AP

Orientierungslose Sicherheitskräfte

Zwischen dieser Aussage und der letzten großen Terrorattacke in Kabul liegen nur vier Tage. Am vergangenen Freitag hatte ein Selbstmord-Kommando im Zentrum der afghanischen Hauptstadt zugeschlagen. Mindestens 17 Menschen verloren ihr Leben. Die Angreifer lieferten sich stundenlange Schusswechsel mit den Sicherheitskräften. Und das Fernsehen war live dabei. Vor allem der beliebte afghanische Privatsender TOLO TV zeigte Tod, Angst und Verzweiflung. Dazu Sicherheitskräfte, die nach Orientierung und Deckung suchen. "Uns wird immer wieder vorgeworfen, dass wir nicht in der Lage sind, Journalisten zu beschützen", klagt Wahid Omar. "Uns geht es also bei dem neuen Mechanismus um zwei Dinge: wir wollen nicht, dass der Feind durch die Live-Bilder konkrete Befehle geben kann. Und wir wollen unsere Sicherheitskräfte und Zivilisten schützen, Journalisten eingeschlossen."

Es riecht nach Zensur

Selbstmordanschläge in Kabul Afghanistan
Angeblich dienen die neuen Bestimmungen dem Schutz von Zivilisten.Bild: AP

Wie der neue Mechanismus aussehen soll, will Präsidentensprecher Wahid Omar nicht sagen. Und genau das macht Abdul Hameed Mubarez misstrauisch. Er ist der Vorsitzende der Nationalen Journalisten-Union in Afghanistan. Er stellt klar: "Es hilft den Taliban überhaupt nicht, wenn wir live über Anschläge berichten. Im Gegenteil. Die Fernsehbilder zeigen ihren Terror und ihre Zerstörungswut. Aber die Bilder zeigen natürlich auch die Schwäche unserer Sicherheitskräfte. Deswegen will die Regierung Live-Berichte verbieten."

Der Mann von der Journalisten-Union weist den Vorwurf zurück, dass die Medien Polizisten und Zivilisten in Lebensgefahr bringen. Es gehe darum, die Wahrheit zu zeigen, um die Bevölkerung zu schützen. Das Verbot, das die Regierung durchsetzen will, verstößt gegen unsere Verfassung", empört sich Mubarez. "Es nützt nur dem Geheimdienst und dem Innenministerium. Es riecht nach Zensur und Diktatur."

Taliban wollen plötzlich Pressefreiheit

Taliban in Afghanistan
Die Taliban sind an schneller Berichterstattung interessiert - aber nur zu ihren Gunsten.Bild: dpa

Ein Sprecher der Taliban hat das Verbot inzwischen medienwirksam als Verstoß gegen die Pressefreiheit kritisiert. Dabei gab es während der Herrschaft der Islamisten gar keine Pressefreiheit. Bis zum Sturz ihres Regimes im November 2001 war sogar das Hören von Musik verboten. Heute gibt es in Afghanistan rund 300 Zeitungen, mehr als ein Dutzend Fernsehstationen und viele hundert private Radiosender. Aber die Mächtigen setzen die Journalisten unter Druck und versuchen, sie für sich zu instrumentalisieren. Das gilt für die afghanische Regierung und ihren Sicherheitsapparat genauso wie für einflussreiche Provinzfürsten, Drogenbarone, Religionsführer oder die radikal-islamischen Taliban. Auch die internationalen Truppen behindern die Arbeit der Medien. In der aktuellen Rangliste von Reporter ohne Grenzen rangiert Afghanistan auf Platz 149 von 175 untersuchten Ländern.

Autorin: Sandra Petersmann

Redaktion: Nicola Reyk