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Kairos Müllschweine kehren zurück

Markus Symank, Kairo10. Dezember 2013

Vor knapp fünf Jahren ließ Ägyptens Regierung die Schweineherden der christlichen Minderheit abschlachten. Doch das im Islam als unrein geltende Tier soll trotzdem wieder die Straßen säubern.

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Der Kairoer Metzger Mussa in seiner privaten Metzgerei (Foto: DW/Symank)
Bild: DW/M. Symank

Die Sau quiekt kurz und laut. Blut spritzt aus ihrer Halsader, die Beine zappeln. Dann sackt sie in sich zusammen. Nur wenige Momente später arbeitet sich Mussa - Hemd und Hände blutverschmiert - mit präzisen Messerschnitten durch das Fleisch. Sein kleiner Bruder hilft ihm, Darm, Magen, Leber und Haut zu sortieren. Während sich Mussa an den Haxen zu schaffen macht, schwärmt er von seiner Schweineherde: "Andere Tiere wie Ziegen und Schafe sind krankheitsanfällig. Das kann dich viel Geld kosten: Du kaufst für 2000, 3000 ägyptische Pfund Jungtiere, und dann sterben sie plötzlich. Mit Schweinen passiert das nicht."

Die ägyptische Regierung teilt die Begeisterung des jungen Metzgers für die rundlichen Vierbeiner nicht. Im Islam gelten Schweine als unrein, ihr Verzehr wird von Religionsgelehrten als Sünde angeprangert. Im Jahr 2009 ließen die Behörden daher mehr als eine Million Schweine töten und schlossen den einzigen legal anerkannten Schweineschlachthof in Kairo. Nur eine Handvoll Metzger verkaufen seither unter der Hand weiterhin Schweinefleisch. Wie Mussa leben sie allesamt in Madinat al-Sabbalin, in der sogenannten "Stadt der Müllmänner".

Hohe Recycling-Quote

Müllmänner und Schweine bilden in Ägypten ein erfolgreiches Gespann, seit in den 1940er Jahren Armut und sektiererische Ausschreitungen Zehntausende von koptischen Christen aus Oberägypten in die Millionenmetropole am Nil trieben. Aus Mangel an Alternativen begannen diese schon bald, aus dem Abfall ein Einkommen zu erzielen. Heute sammeln sie etwa 9000 der 15.000 Tonnen Müll ein, welche die knapp 20 Millionen Einwohner Kairos täglich wegwerfen. Die Männer und Söhne der Sabbalin (Müllmänner) ziehen jeden Morgen von Tür zu Tür und laden den Müll auf Laster oder Eselskarren. Frauen und Töchter sortierten später Plastik, Papier und Metall.

Die "Stadt der Müllmänner", Madinat al-Sabbalin , in Kairo (Foto: DW/Symank)
Die "Stadt der Müllmänner", Madinat al-SabbalinBild: DW/M. Symank

Mit dem organischen Abfall, der 50 bis 60 Prozent der Gesamtmenge ausmacht, mästen sie die Schweine. Mehr als 80 Prozent recyceln die Sabbalin insgesamt - eine Quote, wie sie kaum eine Firma in Europa vorweisen kann. Dennoch hat die Regierung sie bis heute nicht offiziell anerkannt.

Essat Naem, Sohn eines Sabbalin und Direktor der von Bill Gates unterstützten Stiftung Spirit of Youth, schimpft: "Wir wurden immer stigmatisiert und marginalisiert. Die Regierung hat sich in unserer ganzen Geschichte nie um uns gekümmert und uns keinerlei Dienstleistungen angeboten." Einzig dank ausländischer Hilfswerke hätten die Sabbalin heute Zugang zu Wasser, Elektrizität, Schulen und medizinischer Versorgung.

Der Aktivist Essat Naem vor seinem Büro in Madinat al-Sabbalin (Foto: DW/Symank)
Essat Naem: "Wir wurden immer stigmatisiert"Bild: DW/M. Symank

Folgenschwere Fehleinschätzung

Den bisher schwersten Schlag versetzte die ägyptische Regierung den Sabbalin vor knapp fünf Jahren. Damals grassierte weltweit die Schweinegrippe, auch in Ägypten gab es Tote. Die islamistische Muslimbruderschaft, zu diesem Zeitpunkt mit 85 Abgeordneten im Parlament vertreten, nutzte die Gelegenheit, um gegen die Sabbalin mobil zu machen. Obwohl die Weltgesundheitsorganisation bestätigte, dass die Erkrankung nicht durch Schweine übertragen werde, drängten die Islamisten auf eine sofortige Tötung aller Schweine im Großraum Kairo. Als einzige Parlamentarierin sprach sich damals Siada Greiss von der Nationaldemokratischen Partei (NDP) des Ex-Präsidenten Husni Mubarak gegen ein solches Vorgehen aus. Sie glaubt, dass die Regierung nicht gewusst habe, welche zentrale Rolle die Schweine bei der Müllentsorgung spielen: "Indem sie alle Schweine töteten, zerstörten sie einen Kreislauf. Ich warnte damals im Parlament: In drei Monaten werdet ihr überall in der Stadt Müllberge sehen."

Die Regierung schlug die Warnung in den Wind. Hundertschaften der Sicherheitskräfte rückten in die insgesamt sechs Müllviertel Kairos vor. Die Sabbalin wurden gezwungen, ihre Schweine auf die eigenen Mülltransporter zu hieven und beim Schlachter abzuliefern. Allein in Kairos größtem Müllquartier Madinat al-Sabbalin wurden mehr als 300.000 Schweine geschlachtet. Einige Christen wie Metzger Mussa versteckten jedoch Dutzende der Tiere.

Schweine-Population wächst wieder

Viele Sabbalin verloren über Nacht ihre wichtigste Einkommensquelle. Manche Familien hatten zuvor im Hinterhof oder auf dem Hausdach Schweine gehalten. Ein ausgewachsenes Tier brachte bis zu 1500 US-Dollar (etwa 1100 Euro) ein. Die Einwohner Kairos spüren die Folgen der Massenschlachtung bis heute. Auch in den weniger armen Vierteln stapelt sich der organische Müll oft meterhoch. Erst seit der Revolution gegen den Ex-Präsidenten Husni Mubarak vor knapp drei Jahren verbessert sich die Lage allmählich wieder. Seither vermehren sich in den Müllvierteln wieder die Schweine - und mit ihnen der Bedarf der Müllmänner nach organischen Abfällen.

Müllberge im Kairoer Viertel Madinat al-Sabbalin (Foto: DW/Symank)
Die Schweine sollen beim Kampf gegen den Müll helfenBild: DW/M. Symank

Dass ausgerechnet ein im Islam unreines Tier die Stadt vom organischen Müll säubern soll, scheint die Machthaber nicht mehr zu stören. Die jetzige Regierung ist gewillt, ein neues Kapitel im Umgang mit den Sabbalin aufzuschlagen. In Ägyptens neuer Umweltministerin Leila Iskandar haben sie eine wichtige Fürsprecherin gefunden: Diese war früher selbst für ein Hilfswerk in einem der Müllviertel tätig. Auf ihre Initiative hin wurden für ein Pilotprojekt kürzlich rund 50 Unternehmen der Sabbalin offiziell registriert - ein Novum in der Geschichte der Müllviertelbewohner. Bewährt sich das Vorgehen, könnte die Regierung bald verstärkt auf die Sabbalin setzen.