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Wladimir Kaminer: "Empathie und Schweinerei"

Paula Rösler
20. August 2018

Für seine Geschichten sucht er mit Vorliebe im Tragischen das Komische. In seinem neuen Buch "Die Kreuzfahrer" erzählt der russisch-deutsche Schriftsteller Wladimir Kaminer vom Massentourismus weit draußen auf dem Ozean.

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Wladimir Kaminer "Die Kreuzfahrer"
Bild: Michael Ihle

Wladimir Kaminer gelang der literarische Durchbruch mit seiner Erzählsammlung "Russendisko" (2000). Seit 1990 lebt der in Moskau geborene Schriftsteller in Berlin und zählt längst zu den beliebtesten Autoren Deutschlands. In seinem jetzt erschienenen Buch "Die Kreuzfahrer" erzählt er mit dem ihm eigenen Witz von seiner neu entdeckten Leidenschaft für Schiffsreisen.   

Deutsche Welle: Herr Kaminer, Sie schreiben in Ihrem Buch, Freunde und Familie hätten vor Ihrer ersten Kreuzfahrt versucht, Sie von der Reise abzuhalten. Sie sind dennoch in See gestochen. Warum?

Wladimir Kaminer: Unsere Verwandten und Freunde haben sich sehr gewundert, dass meine Frau und ich uns auf dieses Abenteuer einlassen wollten. Wir waren nie große Fans von Massentourismus und Kreuzfahrten sind nun einmal die Spitze des Massentourismus. Jeden Tag sitzt man mit fremden Menschen zum Essen an einem Tisch. Mich hat das damals gereizt. Ich hatte das Gefühl, die ganze Menschheit hängt in der Luft und wollte herausfinden, ob da etwas dran ist.

Sie vergleichen Kreuzfahrtschiffe mit der Arche Noah: Während auf dem krisengeschüttelten Festland Weltuntergangsstimmung herrsche, sei die Welt an der Schiffsbar noch in Ordnung. Ist massenhafter Eskapismus die treibende Kraft der Riesendampfer?

Kreuzfahrten sind eine seltsame Mischung aus Empathie und Schweinerei. Tagsüber diskutieren die Menschen über den Klimawandel und globale Ungerechtigkeit. Sie leiden, sie fiebern mit der Welt mit. Abends machen sie Party zu "Atemlos durch die Nacht", bis der Letzte umfällt. Diese Mischung hat für mich den Nerv der Zeit getroffen. Alle Menschen in diesem Buch sind die ganze Zeit leicht angetrunken, alle haben große Sorgen, wollen aber trotzdem feiern.

In Ihrem Buch nennen Sie zwei großen Gruppen in Bewegung: Touristen und Flüchtlinge - freiwillig und unfreiwillig Reisende. Die Gegensätzlichkeit könnte größer nicht sein…

Ich habe schon immer versucht, über die Tragödien und Dramen des Lebens zu lachen. Wenn man nur weint, ist das eine Sackgasse. So kommen wir nicht weiter. Wenn man die Kriegsflüchtlinge, die um ihr Leben fürchten müssen, aus diesem Vergleich herausnimmt, ist die Situation von Touristen und Geflüchteten gar nicht so unähnlich. Sie suchen nach einem anderen Ort, der besser sein soll als der jetzige. Dabei werden sie immer öfter enttäuscht.

Wie zeigt sich die Enttäuschung der Kreuzfahrer?

Buchcover von Wladimir Kaminers "Die Kreuzfahrer".
Buchcover von Wladimir Kaminers "Die Kreuzfahrer"Bild: Wunderraum

Wir waren gerade auf einer Kreuzfahrt in der Karibik, wo jede Insel als Paradies angepriesen wurde. Die Ausflüge hießen "Aruba, das karibische Paradies" oder "Guadeloupe, das karibische Paradies". Dabei waren die Häuser von Hurrikans zerstört, die Menschen hatten keine Zähne und waren in großer Armut. Die Kreuzfahrer dachten sich: "Das soll das Paradies sein? Da bleibe ich lieber gleich an Bord."

Inzwischen entwickeln sich Kreuzfahrten zu einer Alternative zum irdischen Boden. Das heißt, die Reisen und die Strecken werden immer egaler und die Schiffe immer bombastischer mit noch mehr Möglichkeiten zum Zeitvertreib. Bald, glaube ich, wollen die Kreuzfahrer überhaupt keine interessanten Orte mehr besuchen, sondern raus aufs Meer fahren, je weiter weg vom Festland, desto besser.

Dennoch bezeichnen Sie sich als "Kreuzfahrer aus Leidenschaft". Was fasziniert Sie an dieser Art des Reisens?

Der Vorteil ist, dass ich in kürzester Zeit unglaublich viele Geschichten erfahre, die mir auf dem Festland nie begegnen würden. Der Nachteil ist, dass ich eben Kreuzfahrten machen muss. Das ist auch anstrengend. Ich habe zum Beispiel die Aufgabe als Unterhalter total unterschätzt. Ich dachte, drei Lesungen in zwei Wochen, das schaffe ich locker. Aber eine Lesung auf dem Schiff ist nicht mit einer Lesung auf dem Festland zu vergleichen. An Bord bleiben dir deine Zuhörer die ganze Zeit erhalten, zum Frühstück, Mittag und Abendessen.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie nach einer mehrwöchigen Kreuzfahrt wieder zurück nach Berlin kommen?

Das fühlt sich so an, als würde ich aus einer kleinen Welt in eine große kommen. Auf dem Festland ist alles anders, man kann da länger duschen zum Beispiel und längere Strecken laufen als auf einem Schiff. Ich möchte beides nicht missen. Aber ein paar Kreuzfahrten möchte ich auch noch machen.

Wie stellen Sie sich die Kreuzfahrt der Zukunft vor?

Ich hoffe, dass der ökologische Fußabdruck kleiner wird, dass die Schiffe irgendwann mal nur mit Sonnenenergie fahren können. Ich stelle mir vor, wie die Menschen im Ozean Beete anlegen und eigenes Gemüse anbauen. Ich glaube, dass auf diesen kleinen Inseln, den Kreuzfahrtschiffen, vieles ausprobiert werden könnte, was vielleicht irgendwann einmal größere Gesellschaftsteile anspricht. Was wir auf dem Festland nicht geschafft haben, können wir auf den Schiffen nochmal versuchen.

Das Gespräch führte Paula Rösler.