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Politik

Gegen Homophobie in Polen: "Outet euch!"

Aureliusz M. Pedziwol
24. Juli 2019

Forscher warnen, dass die Homophobie in Polen noch stärker verbreitet ist als in anderen osteuropäischen Ländern. Das zeigen auch die Angriffe auf eine Pride Parade in der polnischen Provinz.

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Anti-LGBT-Demonstranten im polnischen Bialystok
Anti-LGBT-Demonstranten im polnischen BiałystokBild: Reuters/M. Bogdanowicz

Als der polnische Schriftsteller Jacek Dehnel zur Schule ging, habe es dort offiziell keine Schwulen gegeben. "Vor ein paar Jahren", erinnert er sich im Gespräch mit der DW, "war ich nochmal da und habe schwule Paare gesehen - und alle wussten davon." Der 1980 geborene Jacek Dehnel heiratete im vergangenen Jahr seinen Partner in London, den Schriftsteller und Übersetzer Piotr Tarczyński. In seiner Heimat Polen wäre eine gleichgeschlechtliche Hochzeit nicht möglich gewesen. Doch vieles habe sich verbessert - zum Beispiel gebe es heute in Polen homosexuelle und transsexuelle Abgeordnete, Bürgermeister oder Ortsvorsteher, sagt Dehnel.    

Auf lokaler Ebene beobachtet er aber viel Aggression: "Lokale Politiker erklären immer wieder neue Gegenden Polens als 'LGBT-rein', wie seinerzeit 'judenrein'. Das trifft uns und setzt uns zu, sogar den Harten", sagt der Schriftsteller und ruft zur gegenseitigen Unterstützung auf. Er fordert Schwulen und Lesben auf, sich zu outen.   

Am Wochenende erlebte Jacek Dehnel auf besonders schmerzhafte Weise, wie stark die Vorurteile gegen Menschen aus der LGBT-Community immer noch sind. Er war auf der Pride Parade in der polnischen Stadt Białystok. Die Teilnehmer wurden von Nationalisten und Hooligans beschimpft und bespuckt, mit faulen Eiern, Knallkörpern, Steinen und sogar mit Flaschen voller Urin beworfen. "Wir sehen, wie etwa zehn Meter weiter die Menschen von Schlägern angegriffen werden. Ein großer Kerl mit einer roten Sturmhaube, die seinen ganzen Kopf bedeckt, tritt Menschen rund um sich herum, einschließlich Mädchen im Teenageralter. Einige rennen weg, weitere 'Ritter' kommen, mit wütenden Gesichtern", schrieb der Autor auf seiner Facebook-Seite. Erst nachdem die Polizei die Krawalle und das Chaos einigermaßen unter Kontrolle gebracht hatte, konnte er seine Rede zur Eröffnung der Pride Parade halten. "Ich bin weder Kundgebungs-Redner, noch Schwulen-Aktivist, noch ein betagter Weiser, ich bin nur ein Schriftsteller. Und zufällig schwul", sagt Jacek Dehnel. Rechte Politiker schüren Ängste   

Polen | Festival Berge der Literatur | Jacek Dehnel
Der polnische Schriftsteller und Maler Jacek DehnelBild: DW/A. M. Pędziwol

Wenn es zu homophoben Vorfällen kommt, tragen auch rechte Politiker einen Teil der Schuld: "Sie benutzen die Vorurteile ihrer Wähler, um ihnen Angst vor angeblichen Bedrohungen einzujagen", sagt Michał Bilewicz im DW-Gespräch. Er leitet das Zentrum für Vorurteilsforschung an der Psychologiefakultät der Universität Warschau. 2015 seien das die Migranten gewesen, 2018 die Juden (im Kontext einer internationalen Debatten über eine kontroverse Gesetzesnovelle über das Institut des Nationalen Gedenkens) und heute die Menschen aus der LGBT-Community.  

"In Polen sind die Homophobie-Indikatoren höher als in Westeuropa und sogar in anderen osteuropäischen Staaten - bis auf Russland und die Kaukasus-Länder", sagt der Forscher Michał Bilewicz. Warum? "75 Prozent der Polen sagen, dass sie keine Homosexuellen kennen." Und gerade in Podlachien, der Region um Białystok, dürften besonders wenige Menschen Homosexuelle kennen - gerade weil diese aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht offen über ihre sexuelle Orientierung sprechen.   

"Wenn es keine unmittelbaren Kontakte gibt, die es ermöglichen, Vorurteile zu verifizieren, kommt es zu solchen Problemen: Dass Politiker sagen, wer der Feind ist - Einwanderer, Juden oder jetzt eben die LGBT-Menschen. Gewalt ist die Folge", erläutert Michał Bilewicz. "Das beste Mittel gegen Vorurteile ist, wenn man einen Nachbarn oder Verkäufer oder Lehrer aus einer solchen Gruppe hat." Dann merke man, dass er im Grunde genommen gar nicht so anders ist als man selbst. 

Vorurteilsforscher Michał Bilewicz: "Politiker sagen, wer der Feind ist"
Vorurteilsforscher Michał Bilewicz: "Politiker sagen, wer der Feind ist" Bild: DW/A. M. Pedziwol

Liberalisierung oder Konfessionsfundamentalismus?

Trotz des Machtwechsels vor vier Jahren - durch den Wahlsieg der national-konservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) - sei die polnische Gesellschaft insgesamt offener geworden, meint der Schriftsteller Jacek Dehnel: Laut einer aktuellen Umfrage seien 56 Prozent der Polen für eingetragene Lebenspartnerschaften und 41 Prozent für gleichgeschlechtliche Ehen. "Vor zehn Jahren waren es noch 16 Prozent", erinnert er sich. 

Der Pride Parade in Białystok kann er etwas Positives abgewinnen - trotz der Zwischenfälle: "Einst gab es in Polen zwei, drei solche Märsche, in diesem Jahr werden es insgesamt 25 sein. Darunter auch zum ersten Mal in Białystok und Lublin, wo dies noch vor ein paar Jahren unmöglich gewesen wäre." Immer mehr Menschen in Polen würden sich heutzutage outen, "darunter auch viele, die zu Vorbildern werden können, insbesondere für Teenager, die mit ihrer sexuellen Identität hadern". Das sei besonders wichtig. "Denn LGBT-Jugendliche haben sechsmal so häufig Selbstmordgedanken wie andere Altersgenossen - und wir wissen, dass es oft nicht nur bei den Gedanken bleibt": Das betonte Jacek Dehnel in seiner Rede bei der Pride Parade in Białystok.

Aus seiner Sicht steckt Polen in einer Umbruchphase. Das Land könnte sich in zwei völlig unterschiedliche Richtungen entwickeln: "Entweder wird es eine Liberalisierung geben, vielleicht ähnlich wie im ebenfalls sehr katholischen Malta, wo nach einem politischen Wechsel die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt wurde", sagt Jacek Dehnel. "Es kann aber auch hin zu einem katholischen Konfessionsfundamentalismus nach islamischem Muster gehen."