1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Jemen Opposition

23. März 2011

Nach wochenlangen Unruhen steht Jemens langjähriger Präsident Ali Abdullah Saleh vor dem Aus. Doch die Protestbewegung war vor allem im Kampf gegen ihn vereint und droht bald wieder auseinanderzufallen.

https://p.dw.com/p/10fwm
Regierungsgegner demonstrieren im Jemen (Foto: AP)
Proteste gegen Saleh werden größerBild: AP

100 Tote in einem Monat und Rebellionen im ganzen Land, eine zum Teil desertierende Armee und eine Regierung kurz vor der Auflösung: Präsident Ali Abdullah Saleh hat die Macht im Jemen verloren. Das Parlament verhängte am Mittwoch (23.3.2011) für einen Monat den Notstand; das Gesetz gibt den Sicherheitskräften weitreichende Befugnisse. "Die Anzahl derjenigen, die sich an der Protestbewegung beteiligen ist kontinuierlich gewachsen", sagt der international renommierte Jemen-Experte Gregory Johnsen von der Universität Princeton. "Sie umfasst Seperatisten aus dem Süden, Rebellen aus dem Norden, Stämme aus anderen Regionen ebenso wie Studenten und, wie wir neuerdings wissen, auch Mitglieder der Regierungspartei und Armeeangehörige."

Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh (Foto: dapd)
Saleh - nach und nach die Macht verlorenBild: picture-alliance/dpa

Dass der gewiefte Diktator überhaupt so lange an der Macht bleiben konnte, ist seinem durchdachten Patronagesystem geschuldet, meint Johnsen. Saleh habe über Jahre seine internen Rivalen geschickt gegeneinander ausgespielt. "Er hat es geschafft, dass sie sich aufeinander konzentriert haben, anstatt ihre Kraft und ihren Fokus auf ihn zu richten", sagt Johnson. Was nun geschehe, sei genau das, was Saleh all die Jahre gefürchtet habe. "Seine Feinde bilden eine temporäre und zweckmäßige Allianz", erklärt der Jemen-Experte. "Er wird es nicht schaffen, das politisch zu überleben."

Das Patronagesystem des Ali Abdullah Saleh

Eigentlich war man bereits 1978 überzeugt, als Ali Abdullah Saleh an die Macht kam, dass er langfristig kaum Chancen habe, sagt Elham Manea. Sie ist in Ägypten geboren, hat die jemenitische Staatsangehörigkeit und unterrichtet Politikwissenschaften an der Universität Zürich.

Karte Jemen (Foto: DW)

"Als er an die Macht kam, dachte niemand, dass er mehr als einige Monate im Amt bleiben würde, bevor er abgesetzt oder ermordet werden würde", sagt Manea. Im traditionell von Stämmen regierten Jemen, habe er sich jedoch "zu einem Meister des politischen Überlebens" entwickelt, indem er das Patronagesystem perfektionierte, sukzessive Familienangehörige auf strategisch wichtige Posten berief und Gegner finanziell ruhig stellte.

Doch dafür sind Saleh, der den Nordjemen seit 1978 und den Süden seit der Vereinigung 1990 regiert, inzwischen aber die Mittel abhanden gekommen. Er hat schlicht und ergreifend kein Geld mehr. Zum einen, weil die Erdölproduktion, die 75 Prozent des Staatshaushaltes ausmacht, seit Jahren stark zurückgeht Zum anderen, weil die Staatsaufgaben stetig steigen, da sich die Bevölkerung rasant vermehrt und im Jemen eine Massenarbeitslosigkeit von rund 35 Prozent herrscht.

Diese prekäre Situation habe nun vor allem die gebildeten jungen Menschen aus den wenigen urbanen Zentren Sada, Sanaa und Taiz revoltieren lassen, sagt die Jemen-Kennerin Manea. Die grundlegenden Konfliktlinien sind ihrer Meinung nach aber noch wesentlich vielschichtiger und hängen mit den Stammesstrukturen und den religiösen Gegebenheiten im Jemen zusammen. Die ehemalige britische Kronkolonie Jemen sei in einem permanent fragilen Zustand.

Stammesfehden im Norden, Sezessionbestrebungen im Süden

Maskierter Kämpfer vor der jemenitischen Flagge (Foto: DW/AP)
Gefährlicher JemenBild: DW/AP

Im Norden des Landes, an der Grenze zu Saudi-Arabien, rebelliert der Clan der "Huthis" seit Jahren gegen die Zentralregierung in Sanaa. Die "Huthi" sind ein Stamm der Haschemiten und gehören zum Saidismus, einer speziellen Ausrichtung des schiitischen Islam. Die Saidisten halten sich für Nachfahren eines Mitglieds der Prophetenfamilie, das im neunten Jahrhundert nach Christus aus dem Irak nach Südarabien kam. Präsident Saleh ist dem Glauben nach zwar ebenfalls Saidist, gleichzeitig ist er aber Mitglied des "Sanhan"-Stammes, den Erzrivalen der "Huthis".

Diese Stammesfehde ist der Grund für die jahrelangen Kämpfe im Nordjemen, die durch Saleh noch angeheizt wurden. Er erklärte jahrelang, die "Huthis" seien Al-Quaida-Sympathisanten und wurde deshalb vom Westen als Verbündeter im Kampf gegen den internationalen Djihadismus finanziell unterstützt. Zudem intervenierte Saudi-Arabien zugunsten Salehs, da das wahhabitische Königshaus in Riad in seinen Gegnern, den schiitischen "Huthi"-Rebellen, Handlanger Teherans sah.

Neben diesem Konflikt kämpft Saleh noch an einer zweiten Front im Süden des Landes. "Hier haben wir es mit einem nationalistischen Konflikt zu tun", erklärt Elham Manea. Nach der Vereinigung der nördlichen und südlichen Landesteile 1990 kam es 1994 zu einem Bürgerkrieg - "der vom Norden gewonnen wurde und dazu führte, dass sich die Bevölkerung des Südens unterdrückt fühlt." Dieser mehr als zehn Jahre alte Konflikt ist bis heute nicht beigelegt. Die Sezessionsbestrebungen bestehen weiter.

Jemen - ein Land vor dem Staatszerfall?

Diese beiden Hauptkonflikte, die latente Bedrohung durch das im Jemen besonders aktive Terrornetzwerk Al-Kaida, die grassierende Korruption und das Fehlen gefestigter staatlicher Strukturen drohen aus dem Jemen nun einen 'failed state' , einen sogenannten gescheiterten Staat zu machen. Erschwerend hinzu kommt, dass es Schätzungen zufolge im Jemen rund 50 Millionen Waffen gibt, die das Land in seinem aktuellen Zustand zu einem Pulverfass werden lassen. Ali Abdullah Saleh kann, so scheint es jedenfalls, die brennende Lunte nicht mehr austreten. Steht also der Zerfalls des Jemen unmittelbar bevor?

George Johnsen meint, "es wird einen wie auch immer gearteten politischen Übergang geben. Vielleicht vollzieht er sich friedlich, vielleicht auch nicht." Vieles hänge von Präsident Saleh ab. Für unwahrscheinlich hält es Johnsen, dass die derzeit geeint auftretende Protestbewegung aus Studenten, Rebellen aus dem Nordjemen und Seperatisten aus dem Süden eine funktionierende Regierungsallianz bilden könnten. "Welche Art von Regierung Saleh folgt, das aber ist im Moment noch sehr offen." Erst der weitere Verlauf der aktuellen Auseinandersetzungen in Sanaa, die für die nächsten Tage erwartet werden, könnte darüber Aufschluss geben.

Autor: Dominik Peters
Redaktion: Daniel Scheschkewitz/Rainer Sollich