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Im Schatten der Krise

Ina Rottscheidt13. Oktober 2008

Die Neuwahlen in Kanada sollten der Regierung eigentlich zu einer soliden Mehrheit verhelfen. Doch dann kam die Finanzkrise und Ministerpräsident Harper hatte kein überzeugendes Konzept parat.

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Kanadas Premierminister Stephen Harper, Foto: AP
In Umfragen abgerutscht: Kanadas Premier Stephen HarperBild: AP

Zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren wählen die Kanadier am Dienstag (14.10.2008) ein neues Parlament. Eigentlich würde die Legislaturperiode erst im Herbst 2009 auslaufen, doch die Konservativen erreichten bei der letzten Wahl nur 124 der 308 Parlamentssitze und am Ende bekam Ministerpräsident Stephen Harper auch die wechselnden Mehrheiten mit den Oppositionsparteien nicht mehr zusammen. Als er Anfang September Neuwahlen ausrief, erhoffte er sich davon klare Verhältnisse.

Doch die Finanzkrise machte ihm einen Strich durch die Rechnung: Die Lehman-Pleite in den USA bescherte der Börse in Toronto den größten Tagesverlust seit 20 Jahren, der kanadische Leitindex TSX liegt heute rund 30 Prozent unter den Werten vom Vorjahr. Und prompt sackten auch die Umfragewerte ab: In einer Erhebung des Instituts Harris/Decima lagen die Konservativen kürzlich nur noch bei 31 Prozent und hatten damit zehn Prozentpunkte innerhalb eines Monats eingebüßt.


Börse in Toronto, Foto: AP
Auch Kanada ist von der Finanzkrise betroffen: An der Börse in Toronto brachen die Kurse einBild: AP

Schlafender Kapitän?

Auf ein Krisenmanagement ließ der Ministerpräsident allerdings warten: "Harper hat die Finanzkrise ausgesessen", erklärt Prof. Rainer Olaf Schultze, Politikwissenschaftler und Direktor des Instituts für Kanada-Studien an der Universität Augsburg. Immer wieder habe er betont, die Wirtschaft in Kanada sei stabil und größere Interventionen seien nicht nötig: "Noah hat seine Arche in trockenen Zeiten gebaut", sagte Harper in seinem letzten TV-Duell. "Deshalb musste er nicht in Panik ausbrechen und das Boot wechseln, als der Regen kam."

Der Chef der Liberalen Stéphane Dion, Foto: AP
Ringt um Stimmen und englische Vokabeln: Stéphane DionBild: AP

Doch dann sanken die Umfragewerte, der Druck stieg und Harper legte wenige Tage vor den Wahlen doch noch einen Plan vor. Das sei jedoch lediglich eine Absichtserklärung, so Schultze, nichts Längerfristiges. Die Opposition wirft Harper vor, die Sorgen der Kanadier um ihr Geld nicht ernst zu nehmen. "Er sagt, wir sollen nicht in der Mitte des Flusses die Boote wechseln. Aber wir haben einen Kapitän, der am Ruder schläft", schimpfte der liberale Oppositionsführer Stéphane Dion. Er will im Fall eines Wahlsiegs innerhalb von 30 Tagen einen Finanzgipfel mit den wichtigsten Wirtschaftsakteuren des Landes einberufen und einen Weg aus der Krise entwickeln.

Der Einfluss der USA

Die traditionell starke Liberale Partei regierte das Land zuletzt bis 2006 für mehr als zwölf Jahre. Dabei agierte Dion im Wahlkampf eher glücklos. Zu schaffen macht ihm in dem offiziell zweisprachigen Land unter anderem, dass er nur schlecht Englisch spricht, während Harpers Französisch als passabel gilt.

Auch die Nähe zu den USA und die seit Monaten alles überlagernde Berichterstattung über den dortigen Wahlkampf spielt in Kanada eine Rolle. So war es Harpes Kalkül gewesen, dass in seinem Land vor den US-Wahlen abgestimmt wird: Ein möglicher demokratischer Präsident Barack Obama im Weißen Haus hätte die Kanadier vielleicht animiert, ebenfalls einer liberaleren Regierung ins Amt zu verhelfen.


Klimapolitik als Wahlkampfthema

Einen wirklichen Zusammenhang gebe es da jedoch nicht, sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Noch bis Juni hat er in Toronto gewohnt. Er hat beobachtet, dass die Kanadier zwar immer auf den übermächtigen Nachbarn im Süden schielen, doch ihre Liberalen hätten mit den US-Demokraten wenig gemein, die bestimmenden Wahlkampfthemen waren völlig andere. Insbesondere weil Kanada sich offiziell von seinen Klimaschutzzielen nach dem Kyoto-Protokoll distanziert hat und jetzt selbst gesetzte Vorgaben anpeilt, steht die Konservative Partei in der Kritik. Die Liberale Partei will hingegen mit einem Plan des "Grünen Wandels" den Ausstoß von Kohlendioxyd stärker besteuern.

Für Negativschlagzeilen sorgte zudem ein neuer Bericht, in dem Experten die Kosten des umstrittenen Afghanistan-Einsatzes auf mindestens 20 Milliarden kanadische Dollar (umgerechnet 13 Milliarden Euro) beziffern - mehr als das Doppelte der von der Regierung angegebenen Summe. Die Bevölkerung stehe der Mission ohnehin mehrheitlich ablehnend gegenüber, so Kaim. Kanada hat inzwischen fast 100 Soldaten am Hindukusch verloren. Immerhin: Harper gab jetzt bekannt, dass die kanadischen Truppen in Afghanistan 2011 praktisch vollständig abgezogen würden.




Zurück zu den Anfängen

Unterstützer des konservativen Kandidaten Harper (Foto: AP)
Die Umfragewerte für die Konservativen sinkenBild: AP

Dass Harper seine erhoffte Mehrheit mit den Neuwahlen erreicht, hält Kaim derzeit für wenig wahrscheinlich. Es sei denn, er bekäme noch Unterstützung von anderer Seite: Im Wahlkampf hatten die Konservativen erstmals gezielt ethnische Gruppen, vor allem asiatische Einwanderer, umworben.

Wenn nicht, ist Harper wieder da, wo er im August schon stand: Als Chef einer Minderheitsregierung, die auf die wechselnden Mehrheiten im Parlament angewiesen ist. "Das muss prinzipiell nicht schlecht sein", sagt Rainer Olaf Schultze, auch wenn das für europäische Ohren merkwürdig klinge: "Eine Minderheitsregierung ist unbequem aber sie hat auch Innovationspotential." Sie zwinge Politik dazu, sich stärker an der öffentlichen Meinung zu orientieren und ermögliche Kompromisse ohne den Zwang von Koalitionsvereinbarungen: "Kanada hat auch viele gute Erfahrungen mit Minderheitsregierungen gemacht", so Schultze.