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PolitikAsien

Kann Atomdeal mit dem Iran gerettet werden?

Shabnam von Hein
1. Dezember 2020

Nach dem Attentat auf Irans prominentesten Atomwissenschaftler will Teheran "dessen Weg fortsetzen". Wird der Iran also seine Bemühungen um die Atombombe wieder aufnehmen? Die Auswirkungen des Anschlags sind offen.

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Iran Teheran | Beisetzung des getöteten iranischen Atomforschers Mohsen Fachrisadeh
Bild: Iranian Defense Ministry/Wana News Agency/REUTERS

"Bald wird ein anderer namhafter Wissenschaftler den leeren Platz von Fachrisadeh einnehmen. Das Verteidigungsministerium hat Hunderte von solchen Wissenschaftlern", tweetete der Journalist Hossein Dalirian nur einen Tag nach der Ermordung des Atomwissenschaftlers. Dalirian steht den Sicherheitskreisen nahe.

Mohsen Fachrisadeh, einer der wichtigsten Wissenschaftler für das iranische Atomprogramm, war am vergangenen Freitag in der Nähe der Hauptstadt Teheran in seinem Auto erschossen worden.

Eine herbe und demoralisierende Niederlage für die iranischen Sicherheitskräfte, die den Atomwissenschaftler unter besonderen Schutz gestellt hatten. Fachrisadeh hatte zuletzt die Abteilung für Forschung und Innovation im Verteidigungsministerium geleitet.

Er ist der sechste Atomwissenschaftler, der im Iran in den vergangenen zwölf Jahren Opfer eines Attentats wurde. "Seine Ermordung wird den Fortschritt des iranischen zivilen Atomprogramms weder aufhalten noch beeinträchtigen", versicherte der iranische Atomchef Ali-Akbar Salehi. "Der Weg Fachrisadehs wird jetzt erst recht noch intensiver fortgesetzt werden."

"Zentrale Figur"

Der Wissenschaftler war Experte für die Herstellung von Raketen. Jahrzehntelang soll er im Zentrum des geheimen militärischen Atomprogramms des Iran gestanden haben. "Dieses Atomwaffenprogramm aber hat der Iran laut Berichten der Internationalen Atomenergie-Organisation vor mehr als einem Jahrzehnt eingestellt", schreibt Oliver Meier vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik auf Anfrage der Deutschen Welle.

Oliver Meier vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik
Oliver Meier vom Hamburger Institut für Friedensforschung und SicherheitspolitikBild: Stiftung Wissenschaft und Politik

"Sollte Teheran diese Entscheidung revidieren und sein Atomwaffenprogramm wiederaufnehmen, wäre der Tod von Fachrisadeh sicher ein Hindernis. Er war eine zentrale Figur in Irans damaligen Atomwaffenprogramm."

Fachrisadeh soll Anfang der 2000er Jahre das militärische Atomprogramm unter dem Namen "Amad" ("Hoffnung") geleitet haben. Seine Bedeutung für das iranische Atomprogramm lag in seinem Wissen: Er war laut westlichen Beobachtern wahrscheinlich die Person mit dem größten Expertenwissen über Atomwaffen im Iran. Von Hardlinern der USA und Israels wurde das Atomabkommen von 2015 unter anderem deshalb abgelehnt, weil es das im Iran existierende Know-how über die Entwicklung von Atomwaffen nicht beseitigte. Es könnte jederzeit wieder aktiviert werden, sobald die Restriktionen des Abkommens wegfallen oder sich der Iran darüber hinwegsetzt, so die Befürchtung.

Irans dosierte Verstöße "keine großen Schritte"

Obwohl die Internationalen Atomenergiebehörde mehrfach bestätigte, dass der Iran sich an die strengen Auflagen des Abkommens hielt, kündigte US-Präsident Donald Trump im Mai 2018 das Atomabkommen einseitig auf und begann seinen Kampagne "maximalen Drucks" auf Teheran.

Der Iran wartete ein Jahr ab, inwieweit die übrigen Vertragspartner die versprochenen wirtschaftlichen Erleichterungen trotz des US-Ausstiegs liefern konnten. Als sich herausstellte, dass auch sie sich dem Druck der extraterritorialen US-Sanktionen nicht entziehen konnten, begann Iran ein Jahr darauf mit seinen zuvor angekündigten Verletzungen des Atomabkommens. 

Mittlerweile hat das Land das Zwölffache der im Atomabkommen erlaubten Menge an angereichertem Uran. Auch beim Grad der Anreicherung hat Iran gegen die Auflagen verstoßen: Er beträgt seit Juli 2019 4,5 Prozent gegenüber den erlaubten 3,69 Prozent.

Oliver Thränert leitet dem Think Tank am Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich
Oliver Thränert leitet dem Think Tank am Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich Bild: Körber-Stiftung/Marc Darchinger

"Dies sind zwar Verstöße gegen das Atomabkommen, die Iran ein kleines Stück näher an die Bombe bringen. Große Schritte sind dies aber noch nicht", schreibt der Abrüstungsexperte Oliver Thränert. Leiter des Think Tanks am Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich auf Anfrage der Deutschen Welle: "Der Iran verfügt über die technischen Voraussetzungen, mehr und höher angereichertes Uran in relativ kurzer Zeit zu produzieren, so dass die Herstellung einer Atomwaffe in wenigen Monaten grundsätzlich möglich wäre."

Mit der Herstellung einer Bombe wäre der Iran aber noch nicht am Ziel. Er bräuchte auch ein Trägersystem. Sicherheitsexperte Thränert weist darauf hin, dass der Iran sich intensiv mit mindestens einem, womöglich aber sogar mehreren Sprengkopfdesigns befasst hat.

"Diese sind, wohl ohne Nutzung spaltbaren Materials, auch getestet worden. Es ist also davon auszugehen, dass Iran die Fähigkeit hätte, einen Atomsprengkopf auf einer Rakete zu platzieren. Ob dieser allerdings den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre überleben würde, ist ungewiss", meint Thränert.

Risiko für diplomatische Bemühungen

Das tödliche Attentat auf Fachrisadeh habe eher symbolische als konkrete Bedeutung in Bezug auf das iranische Atomprogramm. Mit dieser Einschätzung zitiert der "Economist" Eric Brewer vom Washingtoner Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS). Ziel sei vermutlich gewesen, den Iran von möglichen zukünftigen Aktivitäten zur Entwicklung von Atomwaffen abzuschrecken, und nicht, aktuelle Projekte zu unterbinden.

Auch der amerikanische Sicherheitsexperte Mark Fitzpatrick als Grund für das Attentat nicht irgendwelche aktuellen iranischen Pläne oder Aktivitäten. Am Tag des Attentats tweetete Fitzpatrick mit Blick auf die Pläne des designierten US-Päsidenten Biden, zum Atomabkommen zurückzukehren: "Das Ziel des Attentats auf Fachrisadeh war nicht, Irans militärische Fähigkeiten zurückzuwerfen, sondern die Diplomatie".

Solche Aktionen seien kontraproduktiv, schreibt Meiervom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik auf Anfrage der Deutschen Welle, "weil sie diejenigen (im Iran) innenpolitisch stärken, die für eigene nukleare Abschreckungsfähigkeiten eintreten und dazu führen, dass vorhandene Fähigkeiten zur Entwicklung von Atomwaffen breiter verteilt und besser geschützt werden. Damit nehmen auch die Möglichkeiten ab, von außen Einfluss auf solche Programme zu nehmen."