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Gesellschaft

Kann der Tourismus Wölfe retten?

Alistair Walsh lh
11. August 2019

Wölfe sind schwierige Nachbarn. Sie verbreiten Angst und kosten Landwirte viel Geld. Ein neuer Ansatz aus Deutschland könnte das aber ändern - und ganz nebenbei die Akzeptanz der Tiere steigern.

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Biosphärenexpeditionen Wolfstour in Niedersachsen
Bild: Theo Gruentjens

Die Anwesenheit von Wölfen in deutschen Wäldern ist hoch umstritten: Einerseits verursachen sie immensen wirtschaftlichen Schaden, vor allem für Bauern. Andererseits besitzen sie ein fast schon natürliches Recht, sich in dem Lebensraum anzusiedeln, in dem sie einst zu Hause waren. Doch nicht nur in der Landwirtschaft wird über den Wolf gesprochen, sondern auch im Bereich Tourismus: Für Naturtouristen sind Wölfe eine neue Attraktion - und für Landwirte bietet sich eine Möglichkeit, den finanziellen Schaden abzufangen, den Wölfe verursachen.

Den Wölfen auf der Spur

Barbara Kenner und ihr Ehemann Kenny betreiben ein Bio-Hotel samt Gästehaus im Nordosten Niedersachsens. Die Wiederkehr der Wölfe hat das Geschäft der beiden Gastwirte belebt. Denn sie haben ihr Anwesen zu einem Dreh- und Angelpunkt für den Wolfstourismus in der Region ausgebaut.

Geschichte über Wölfe
Wolfstourismus ist zu einer wichtigen Einnahmequelle für Barbara Kenner gewordenBild: DW/A. Walsh

20 Jahre ist es jetzt her, dass sich die ersten Wölfe nach fast 150 Abstinenz in der Lausitz angesiedelt haben - einer Region im Osten Deutschlands, die sich über Brandenburg und Sachsen erstreckt. Kenny Kenner ahnte bereits damals, dass es die Wölfe nicht bei dieser Region belassen würden und reiste in die Lausitz, um die Wolfsbewegungen zu untersuchen. Er entwickelte sich zu einem Wolfsexperten.

Heute gibt es auch in seiner eigenen Region in Niedersachsen mehrere Wolfsrudel. Auf bezahlten Touren nehmen die Kenners ihre Gäste mit in den Wald, erkunden Wolfsspuren und ab und zu, wenn sie Glück haben, können sie auch einen Wolf erspähen. Besonders beliebt bei den Gästen des Bio-Hotels ist ein Themenpaket über Wölfe. Die Kinder können betreut werden während die Erwachsenen im Wald Wolfsspuren jagen. "Mein Mann dachte immer, dass die Ängste der Eltern zu groß sein würden. Aber das Gegenteil ist der Fall", sagt Barbara Kenner. Die Faszination für Wölfe sei größer, als die Ängste, die sie auslösen.

Geschichte über Wölfe
Die Wälder rund um das Bio-Hotel der Kenners beheimaten zahlreiche WölfeBild: DW/A. Walsh

Der 12-jährige Bjarne war schon mehrmals zu Gast auf dem Hof. Er genießt die Ausflüge in den Wald und die abendlichen Vorträge. "Ich war schon letztes Jahr hier und kenne mich schon ein bisschen mit Wölfen aus. Ich mag es, wie sie aussehen und sich bewegen. Und auch, dass sie in einem Rudel leben. Ich bewundere sie und verstehe nicht, wieso sie einst ausgelöscht wurden", sagt er.

Eine aggressive Lobby

Dem Ehepaar Kenner und ihrem Tourismuserfolg steht eine mächtige Anti-Wolfslobby gegenüber. Immer wieder mussten die Kenners Hasskommentare im Netz ertragen. Es kam sogar vor, dass sich Störenfriede in ihre geführten Wanderungen eingeschlichen haben, um zu provozieren.

Auch der niedersächsische Tourismusverband reagiert distanziert auf eine Anfrage der DW und verwies lediglich auf eine Bürgerinitiative gegen Wölfe, betrieben von besorgten Bürgern.

"Manche sind wütend und glauben, mein Mann sei für die Übernahme der Wölfe verantwortlich", sagt Barbara Kenner. "Dabei ist er sehr tolerant. Er lädt alle ein, sich ein eigenes Bild zu machen."

Wissenschaft begeistert

Es gibt noch einen weiteren Ansatz, der das Interesse an Wölfen geweckt hat: die Wissenschaft. Die internationale Nichtregierungsorganisation (NGO) "Biosphere Expedition" organisiert für Menschen aus aller Welt Forschungsexpeditionen, bei der die Teilnehmer - alles Laien - von Wissenschaftflern lernen, Daten und Proben von Tieren zu sammeln.

Biosphärenexpeditionen Wolfstour in Niedersachsen
Bei einer Forschungsreise der "Biosphere Expeditions" lernen Laien, Wolfsspuren zu analysierenBild: Biosphere Expeditions

Die Reisen rechnen sich doppelt: Sie bringen Geld ein und liefern wichtige Daten - etwa zu Wolfsrouten. Eine Forschungsreise im vergangenen Jahr brachte zu Tage, dass es neue Wolfsrudel in der Region gibt und lieferte wichtige Erkenntnisse über die Ernährung der Tiere.

Auch der Gründer der Forschungsreisen, Matthias Hammer, wurde von Anti-Wolfskampagnen attackiert, aber für ihn sind die wissenschaftlichen Erkundungsreisen auch eine Möglichkeit, die Tiere zu schützen. "Bauern, Viehhalter und Jäger treiben eine Debatte voran, in der nur die Gefahren der Tiere gesehen werden und nicht die Chancen. Leider haben sich Politiker, auf der Jagd nach Wählern, davon einbinden lassen. Sie haben Populismus anstelle von Vernunft gesetzt."

Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) beispielsweise setzt das Thema Wölfe ein, um einen politischen Keil zu treiben. Die ostdeutschen Regionen, die Wölfe beheimaten, sind auch von wirtschaftlichen und sozialen Problemen gebeutelt. Die AfD wählt in Bezug auf Wölfe eine ähnliche Sprache, die sie auch im Umgang mit Flüchtlingen wählt. So fordern einige Abgeordnete, eine Obergrenze für Wölfe. 

Biosphärenexpeditionen Wolfstour in Niedersachsen
Bauern fühlen sich mit der Gefahr durch Wölfe allein gelassenBild: Biosphere Expeditions

Die Gefahr akzeptieren lernen

Es ist allerdings kaum zu leugnen, dass Wölfe tatsächlich Schäden anrichten, vor allem für Landwirte, deren Tiere häufig schutzlos den Raubtieren ausgeliefert sind. Die Bauern werden zwar für den Verlust der Tiere kompensiert. Allerdings beinhaltet das häufig aufwendige und zeitintensive bürokratische Verfahren. Dazu kommt, dass die Kompensation häufig geringer ausfällt, als das, was die Tiere eingebracht hätten, hätte der Bauer sie noch viele Jahre lang einsetzen können. Die Landwirte fühlen sich allein gelassen mit der Bürde, die sie tragen müssen.

Für den Hotelier Kenny Kenner aber gehören Wölfe nach Deutschland. Es sei an den Menschen, den richtigen Umgang mit ihnen zu finden. "Das Leben ist nicht immer sicher. Und es ist in Ordnung, dass es nicht sicher ist. Die Frage ist doch: Wie viel Gefahr können wir ertragen? Können wir akzeptieren, dass gefährliche Tiere im Wald leben? Oder macht es uns Angst?"