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Kapitän mit Ermüdungserscheinungen

6. Juli 2006

Er gehört zwar zu den Kandidaten für den Goldenen Ball, die Auszeichnung für den besten WM-Spieler, aber unumstritten ist er nicht: Bei Fans und Experten ist Michael Ballack der Mann, an dem sich die Geister scheiden.

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Michael Ballack steht die Enttäuschung nach dem Aus gegen Italien ins Gesicht geschriebenBild: AP

Für Kritiker des 29-jährigen Bayern-Profis, der ab Herbst bei Chelsea London spielt, liegen die Fakten auf dem Tisch. Nach einer durchwachsenen WM-Vorbereitung mit mehreren kleinen Verletzungen kam der Mittelfeldspieler aus ihrer Sicht nie richtig in Tritt. Gegen Ende des Viertelfinals gegen Argentinien und auch in seinem 70. Länderspiel gegen Italien zeigte der deutsche Kapitän im Gegensatz zu den meisten seiner Mannschaftskollegen deutliche Ermüdungserscheinungen.

Ebenfalls auf der Negativ-Bilanz: Der laut Statistik mit 31 Treffern torgefährlichste deutsche Spieler erzielte während der WM kein Tor: Oft versuchte er es mit Fernschüssen; seine viel gerühmte Kopfballstärke konnte der 1,89 Meter große Kicker nur sehr selten unter Beweis stellen. Auch ließ Ballack in entscheidenden Szenen die erhoffte Nervenstärke vermissen: Gegen Italien schoss er gegen Ende einen Freistoß von der Strafraumgrenze deutlich über die Latte. Zudem unterliefen dem begnadeten Techniker ungewöhnlich viele Stockfehler.

Biedere Variante des Spielmachers

Dem halten seine vielen Fans entgegen, der gebürtige Görlitzer werde mit überzogenen und quasi unerfüllbaren Ansprüchen konfrontiert. Die Erwartung an ihn - sowohl zuletzt bei den Bayern als auch jetzt in der Nationalmannschaft - sei, dass er als Spielmacher und Schaltzentrale im Mittelfeld glänze, dass von ihm die entscheidenden, raffinierten und unerwarteten Zuspiele kämen, die die Stürmer dann in Tore vollendeten, oder dass er die wichtigen Treffer gleich selbst erziele.

Diese hohe Erwartungshaltung hat Ballack tatsächlich nur selten erfüllt - im Verein wie auch während der WM. Er war zwar sehr präsent auf dem Platz und wurde im Mittelfeld auch immer als Anspielstation gesucht. Aber er verkörperte - im Vergleich etwa zu einem Zinédine Zidane - eher die biedere Variante des Spielmachers, der zwar häufig am Ball ist, aber dann den sicheren Pass über zehn Meter an die Außenpositionen bevorzugt, statt mit einer überraschenden und damit auch riskanten Aktion die gegnerische Hintermannschaft auszuhebeln. Während der WM ist das dem 29-Jährigen eigentlich nur einmal genial gelungen: Im Vorrundenspiel gegen Ecuador lupfte er kurz vor dem Halbzeitpfiff den Ball aus dem Fußgelenk auf Miroslav Klose, der keine Mühe hatte, zum 2:0 einzuschießen.

Neue taktische Rolle

Die hohen Erwartungen an Ballzauberei und Torgefährlichkeit sind vielleicht auch deshalb etwas ungerecht, weil Ballack während der Weltmeisterschaft in eine andere taktische Rolle schlüpfen musste. Bundestrainer Jürgen Klinsmann dachte ihm neben Torsten Frings eine eher defensive Rolle vor der Abwehrkette zu. Dies hatte zur Folge, dass der Kapitän, wenn überhaupt, nur aus der Distanz aufs Tor schoss.

In der Defensivarbeit zeigte er jedoch jene Stärken, die ihn neben seiner Ballfertigkeit ebenfalls auszeichnen: Ballack kann unermüdlich rackern und kämpfen, sich in der eigenen Hälfte um Bälle bemühen, auf diese Weise Angriffe einleiten und vor allem als Antreiber die jüngeren Spieler mitreißen. (wga)