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Gesellschaft

Karneval und Corona - was ist möglich?

Silke Wünsch
27. August 2020

In Köln und Düsseldorf wird heiß diskutiert: Kann Karneval trotz COVID-19 stattfinden? Die Zeit drängt, der Karnevalsauftakt am 11.11. ist nicht mehr fern.

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Coronavirus-Motivwagen beim Düsseldorfer Rosenmontagszug im Februar 2020 mit Feiernden Karnevalisten darum (Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini)
Beim Düsseldorfer Rosenmontagszug im Februar 2020 war Corona schon Thema - hat aber nicht vom Feiern abgehaltenBild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Karneval während der andauernden Corona-Pandemie könne er sich nicht vorstellen - das sagte letzte Woche der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Seitdem sind Karnevalisten in Deutschland in Aufruhr. Die Karnevalssession beginnt nämlich nicht erst mit dem bunten Treiben beim Straßenkarneval im Frühjahr, sondern - das ist vielen nicht bewusst - jedes Jahr am 11. November. In den rheinischen Karnevalshochburgen Köln, Düsseldorf und Mainz geht dies in Zeiten ohne Pandemie mit einer riesigen Party einher: Zehntausende feiern bereits am 11.11. auf den Straßen, die Kneipen sind rappelvoll.

Karnevalisten feiern beim Rosenmontagszug 2015 in Köln in einer Kneipe (Bild: picture_alliance/ dpa/H. Kaiser)
Viel zu nah: Der Kneipenkarneval wird in Köln nicht wie gewohnt stattfinden könnenBild: picture_alliance/ dpa/H. Kaiser

Während sich kleine Gemeinden und Karnevalsvereine wegen fehlender Planungssicherheit längst von der Idee verabschiedet haben, diese Session zu feiern, versuchen die "Großen" zu retten, was zu retten ist. Denn am Karneval hängt eine ganze Branche, die durch die Coronakrise besonders zu leiden hat: die Unterhaltungsbranche.

Eine Branche vor dem Aus

Vereine, Künstler, Agenturen, Veranstaltungstechniker, DJs, Brauereien, Kneipen, Hotels, Taxifahrer - sie alle teilen sich den großen Kuchen, der vom 11.11. bis Aschermittwoch allein in Köln bis zu 600 Millionen Euro generiert. Diesen Umsatz hat die Unternehmensberatung Boston Consulting Group mit der Rheinischen Fachhochschule Köln 2018 errechnet. Fallen die Karnevalsfeiern in dieser Session aus, wird das für viele Gastronomen und Künstler das Aus bedeuten.

Aufwendig kostümierte Tänzerinnen und Tänzer beim Straßenkarneval in São Paulo im Februar 2020 (Bild: Getty Images/AFP/N. Almeida)
Den Karneval in São Paulo wird es wohl 2021 nicht gebenBild: Getty Images/AFP/N. Almeida

Deswegen sind die Bemühungen groß, den rheinischen Karneval unter strengen Sicherheitsvorkehrungen trotz Pandemie stattfinden zu lassen. Die Karnevalsgesellschaften aus Köln, Düsseldorf und Aachen haben dem nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium ihre Sicherheitskonzepte vorgelegt. Diese werden nun geprüft, und dann wird anhand der Entwicklung der Infektionszahlen entschieden, was geht und was nicht.

Weniger Menschen, größere Abstände

Viele kreative Ideen sind längst da - so denkt man in Köln etwa über einen stehenden Rosenmontags"zug" nach, an dem die Menschen vorbei spazieren können.

Fensterpartys, Livestream-Karnevalssitzungen und kleine Konzerte mit Karnevalsmusik sind vorstellbar. Die Veranstaltungen der Traditionsvereine, zu denen sonst hunderte Menschen auf engstem Raum zusammenkommen, könnten wie gewohnt in großen Hallen, aber im kleineren Rahmen stattfinden - so wie es jetzt schon bei Konzerten geschieht.

Karnevalist mit einer Gesichtsmaske beim Karneval in Venedig (Bild: Reuters/M. Silvestri)
Doppel-Maske: Der Karneval in Venedig fand 2020 wegen der Pandemie nur verkürzt stattBild: Reuters/M. Silvestri

Video statt großer Bühne

Zum Teil werden Alternativkonzepte bereits umgesetzt. Die Kölner Karnevalsgesellschaft "Kajuja" fördert den künstlerischen Nachwuchs im Karneval und verhilft jungen Bands jedes Jahr zu Auftritten auf den großen Karnevalsbühnen. "Gerade in dieser Zeit müssen wir unseren Künstlern eine Plattform bieten", sagt "Kajuja"-Präsident Dr. Sven Behnke. In ungewöhnlichen Zeiten müsse man auch mal neue Wege gehen. Und so finden in diesem Jahr die Bewerbungen um die Förderung virtuell statt: Per Video stellen sich die Bands vor und werden genauso auch schließlich den Veranstaltern und Booking-Agenturen präsentiert.

Video statt großer Bühne: Das gibt auch den leiseren Bands die Chance, gehört und für kleinere Veranstaltungen - wenn sie denn stattfinden - gebucht zu werden.

Kein Krawall und Remmidemmi

Leise, das ist das Stichwort, das diesen Karneval noch retten kann: Keine Großveranstaltungen, keine biergeschwängerten Sitzungssäle, keine vollgestopften Kneipen. Wenn man sich unter Karnevalisten in Köln umhört, können sich einige das Feiern im Kleinen vorstellen und würden sich freuen, wenn es mal wieder etwas ruhiger im Karneval zuginge. Selbst Kneipenwirte können sich mit einem "kleinen" Karneval anfreunden, trotz sicherer Umsatzverluste.

"Das unkontrollierte Feiern ist das Problem. Wenn die Kneipen nicht aufmachen, dann kommen die Leute trotzdem und feiern auf den Straßen. Man kann die Kontakte nicht zurückverfolgen, was in einer Kneipe immerhin möglich wäre", sagt Lutz Nagrotzki, Betreiber einer traditionsreichen Kölschkneipe in Köln. Deswegen könne er sich durchaus vorstellen, "was Kleines" zu machen, mit weniger Leuten und den nötigen Sicherheitsvorkehrungen. "Natürlich wäre das ein Verlustgeschäft. Aber das Fest selber und die Gesundheit der Menschen sind wichtiger als Umsatz."

Karnevalshochburgen wollen nicht Virenhotspot werden

Verkleidete Menschen drängen sich durch die Zülpicher Straße in Köln an Weiberfastnacht (Bild: picture-alliance/C. Hardt)
Szenen wie diese an Weiberfastnacht in Köln werden während der Corona-Pandemie nicht zu sehen seinBild: picture-alliance/C. Hardt

Die Massen, die dicht an dicht an den "Tollen Tagen" in die deutschen Karnevalsmetropolen strömen, um sich dort sinnfrei zu besaufen und herumzupöbeln, wollen weder Gesundheitsministerium noch Ordnungsamt, Polizei, Anwohner, Karnevalsvereine oder Kneipenwirte diese Session sehen.

Der 11.11. könnte ein erster Testlauf für einen Corona-sicheren Karneval sein. "Der Kölner Karneval wird in dieser Krise ein kleines aber feines Gesicht zeigen", ist sich Horst Müller von der Künstleragentur "Go/Alaaaf" sicher. Keine Karnevalshochburg möchte sich der Welt mitten in der Corona-Pandemie als unkontrollierter Virenhotspot präsentieren.

Straßenkarneval komplett als Stream

In anderen Teilen der Welt musste man schon jetzt eine Lösung fürs Feiern finden. Der karibische Karneval geht auf die Befreiung von Sklaverei und Unterdrückung durch die kolonialen Besetzer zurück und wird traditionell im Sommer gefeiert. Im Zuge der Corona-Pandemie sind alle Festlichkeiten abgesagt worden - mit schlimmen finanziellen Folgen für diejenigen, für die der Karneval eine Art Lebensgrundlage ist.

"Mas"-Tänzer beim virtuellen Notting Hill Carnival, gefilmt in London (Bild: picture-alliance/PA Wire/Y. Mok)
So sieht der virtuelle Karneval von Notting Hill aus: Die Performance wurde gefilmtBild: picture-alliance/PA Wire/Y. Mok

Die karibische Community in London lädt alljährlich zum Notting Hill Carnival ein - bis zu zwei Millionen Besucher folgen normalerweise diesem Ruf. In diesem Jahr wird die Feier am letzten Augustwochenende ins Netz verlegt. Dutzende DJs und Tanzgruppen, sogenannte Mas-Bands, in ihren ausladenden bunten Kostümen wurden im Vorfeld gefilmt - das Ganze wird nun gestreamt. Der künstlerische Leiter Ansel Wong möchte damit "der Erfahrung der Straße so nahe wie möglich kommen".

Ein kleiner Trost - und vielleicht die Zukunft für Massenveranstaltungen - auch für den Karneval im brasilianischen São Paulo: Der soll eigentlich im Februar 2021 stattfinden, ist aber bereits jetzt auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Rio de Janeiro und Venedig werden diesem Beispiel vermutlich folgen.

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Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online