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PolitikKasachstan

Kasachstan: Streit um Hidschab-Verbot in Schulen

Anatolij Weißkopf
20. Oktober 2023

In die Debatte über das Verbot des Hidschab in Schulen hat sich auch der Präsident des Landes eingeschaltet. Welche Argumente führen Gegner und Befürworter an - und wo wäre ein Kompromiss möglich?

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Mädchen und Frauen im Hidschab sitzen im Halbkreis
Mädchen und Frauen in der Großen Moschee in AstanaBild: Meiramgul Kussainova/AA/picture alliance

Das Verbot, den Hidschab in Bildungseinrichtungen zu tragen, hat die kasachische Regierung auf ihrer Website veröffentlicht. Obwohl darauf hingewiesen wird, dass dieses Verbot außerhalb von Schulen nicht gilt, hat es im Land heftige Diskussionen ausgelöst. 

"Mit der Forderung, eine Schuluniform zu tragen, wird das Tragen eines Hidschab verboten, da alle Attribute, Symbole oder Elemente auf die eine oder andere Weise die religiösen Lehren propagieren, auf die sie sich beziehen. Die Prinzipien des Säkularismus, die Gleichheit aller Religionen vor dem Gesetz, erlauben keine Bevorzugung irgendeiner Religionszugehörigkeit", heißt es in den am 16. Oktober ergänzten Erläuterungen der "Regierung für die Bürger". Hierbei wird auch betont, dass Lehrerinnen vom Verbot des Hidschab in Kasachstan nicht ausgenommen sind.

Hidschab in Schulen - Pro und Contra

Nach offiziellen Angaben bekennen sich fast 70 Prozent der Einwohner Kasachstans zum Islam. Schnell meldeten sich sowohl Befürworter als auch Gegner des Verbots. Die Befürworter argumentieren, Kasachstan sei ein säkulares Land und es sollte daher keine besonderen Privilegien für irgendeine Religion geben. Die Gegner sind davon überzeugt, dass die Rechte derjenigen gemindert würden, die einen Hidschab in der Schule tragen möchten. Damit verstoße das Verbot gegen die Grundsätze der Gewissensfreiheit.

Die Gegner des Verbots demonstrieren ihren Unmut auch mit recht radikalen Methoden. Der kasachische Bildungsminister Gani Bejsembajew bestätigte frühere Informationen, wonach allein in der Region Atyrau aufgrund des Verbots seit Anfang September 150 Mädchen den Schulbesuch abgebrochen haben. Und in der Region Turkestan schlugen Berichten zufolge zwei Männer die Direktorin einer örtlichen Schule zusammen, weil sie Mädchen mit Hidschab nicht zum Unterricht zulassen wollte.

Portrait des kasachischen Präsidenten Kassim-Schomart Tokajew
Kasachstans Präsident Kassym-Schomart TokajewBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Auch der Präsident Kasachstans, Kassym-Schomart Tokajew, schaltete sich in die Kontroverse ein. Auf dem landesweiten Lehrerkongress in der Hauptstadt Astana erklärte er, eine Schule sei eine Bildungseinrichtung, in die Menschen kommen, um sich Wissen anzueignen, während religiöse Überzeugungen eine Privatsache der Bürger seien. "Die Religionsfreiheit ist in unserem Land gesetzlich garantiert. Ich halte es für richtig, wenn Kinder selbst entscheiden, wenn sie erwachsen sind und ihre eigene Weltanschauung entwickelt haben", betonte Tokajew. Er versicherte, Kasachstan sei und bleibe ein säkularer Staat.

"Niemand verbietet das Tragen von Kreuzen"

Die Worte des Präsidenten konnten viele Gegner des Hidschab-Verbots in Schulen nicht überzeugen. In den sozialen Netzwerken werden Flashmobs organisiert. Die Schülerinnen, die daran teilnehmen, verbrennen ihre Schulhefte und fordern das Recht, muslimische Kleidung zu tragen oder bieten Gleichaltrigen an, den Hidschab direkt auf der Straße anzuprobieren. Dabei betonen sie, dass sie "ihren Hidschab gegen nichts eintauschen würden". Dem Protest haben sich auch führende Vertreterinnen des öffentlichen Lebens angeschlossen. Sie veröffentlichen in sozialen Netzwerken Fotos von sich im Hidschab.

Eine Frau mit rotem T-Shirt, gelber Strickjacke und Sonnenbrille im Haar steht ohne Kopftuch vor einem Gebäude in Almaty
Togjan Qojaly warnt vor einer bestimmten Form der SegregationBild: Anatolij Weißkopf/DW

Unter denjenigen, die die Aktion unterstützten, ist Togjan Qojaly, ein Mitglied des Gesellschaftlichen Rates von Almaty. Im Gespräch mit der DW sagt sie, das von den Behörden verhängte Verbot sei rechtswidrig.

"Erstens muss man wissen, dass der Hidschab eigentlich ein Kopftuch ist, mit dem Mädchen in Kasachstan ab der Pubertät, also ab dem 13. Lebensjahr, bedeckt wurden. Es gibt hier keine religiöse Konnotation. Zweitens verankert das Gesetz das Recht auf Bildung, und das erlassene Verbot stellt ein künstliches Hindernis für die Wahrnehmung dieses Rechts dar. Warum hindern Kopftücher plötzlich muslimische Mädchen daran, sich dem säkularen Leben anzuschließen? Niemand verbietet das Tragen christlicher Kreuze oder Tubeteika-Kappen. In Wirklichkeit reden wir von einer bestimmten Form der Segregation", glaubt Qojaly.

Wenn überhaupt, sollte nur völlig geschlossene muslimische Frauenbekleidung verboten werden, sagte sie, wie der Nikab, Schleier und die Burka, die keine persönliche Identifizierung mehr zulassen.

"Das Tragen eines Hidschab ist immer eine bewusste Entscheidung"

Akbope Ychylasowa, eine Krankenschwester aus Almaty, die vor vielen Jahren die Islamschule in der Zentralmoschee ihrer Stadt abgeschlossen hat, beobachtet, dass Frauen, die einen Nikab und Schleier tragen, sich in ihrem Charakter stark von denjenigen unterscheiden würden, die einen Hidschab tragen.

Blick auf eine Moschee in Almaty
Moschee in AlmatyBild: Anatolij Weißkopf/DW

"In letzter Zeit tragen viele Mädchen und Frauen einen Nikab und Schleier, ich sehe sie zunehmend in Bussen und U-Bahnen. Sie wollen nicht mit uns reden, sie reagieren auf unsere Fragen grob und schimpfen ständig. Ich bezweifle, ob sie echte Musliminnen sind. Unsere Lehrer in der Moschee sagten, der wahre Islam akzeptiere keine Feindseligkeit, genauso wenig wie Fanatismus", betont Ychylasowa. Kasachische Frauen hätten früher weder Gesicht noch Hände bedeckt.

Auch die Forderung, Schülerinnen wegen des Hidschab-Verbots zum Schulabbruch zu drängen, hält sie für falsch. "Das Tragen eines Hidschab ist immer eine bewusste Entscheidung. Aber in muslimischen Familien unterliegen Mädchen auch im Alter von 16 Jahren noch dem Einfluss ihrer Eltern. Man darf ihnen nicht ihre Kindheit nehmen. Sollen sie doch zuerst lernen und dann selbst entscheiden, ob sie fünfmal am Tag beten wollen oder nicht", sagt Ychylasowa, die selbst fünf Töchter hat.

Statt Schule eine Medrese?

Unterdessen hat die Geistliche Verwaltung der Muslime Kasachstans einen Ausweg aus der aktuellen Situation vorgeschlagen. Nach Ansicht des Obersten Mufti von Kasachstan, Nauryzbay Kazhy Taganuly, sollten Mädchen, die einen Hidschab tragen möchten, ab der 10. Klasse in einer Medrese, also in einer muslimischen Bildungseinrichtung, unterrichtet werden.

"Eine solche Möglichkeit gibt es. Dort werden religiöse und weltliche Fächer gemäß dem Standard des Bildungsministeriums für Hochschulen unterrichtet", sagte der Großmufti zur Begründung seines Vorschlags. Gegen seine Initiative gab es seitens der Behörden bislang keine Einwände, obwohl das Hidschab-Trageverbot ausnahmslos für alle Bildungseinrichtungen in Kasachstan gilt.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk