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Kaum Daten zu Islamfeindlichkeit

Bernd Riegert20. August 2013

In Großbritannien können sich Opfer von anti-islamischen Vorfällen an "Tell Mama" wenden. Im Rest Europas wird der Kampf gegen Islamfeindlichkeit allerdings nur langsam ernst genommen.

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Frauen mit Gesichtschleier (Foto: ddp images/AP Photo/ Fred Ernst)
Bild: AP

"Ich wurde mehrfach angegriffen. Ich wurde geboxt, ich wurde bespuckt und umgestoßen", erzählt ein weibliches Opfer, das anonym bleiben will. "Mir wurde brutal auf den Kopf geschlagen und dann wurde ich mit Absicht vor den Augen meines Mannes und meines kleinen Sohnes umgerannt. Da war ich im sechsten Monat schwanger."

Die Frau, die ein Kopftuch trägt, schildert ihre Erlebnisse in einem Videofilm auf der Internetseite der Hilfsorganisation "Tell Mama". Die britische Organisation mit dem einprägsamen Namen "Erzähle es deiner Mutter" registriert islamfeindliche Angriffe auf der Straße und im Internet, die die Opfer selber per Telefon, SMS oder Internet melden. "Mama" ist eine Abkürzung für "Meldestelle für anti-muslimische Attacken".

Seit Januar 2012 arbeitet "Tell Mama" mit freiwilligen Helfern im Stil einer Telefonseelsorge. Das Portal wird von einer interreligiösen Stiftung getragen. Direktor Fiyaz Mughal sagt, dass "Tell Mama" in 18 Monaten fast 1200 Vorfälle in England und Wales registriert hat. "Bei unseren Erhebungen sehen wir ganz klar, dass die Vorfälle zunehmen, wenn sich im Vorfeld irgendwas ereignet hat - sei es national oder auch international", so Fiyaz Mughal gegenüber der DW. Als zum Beispiel ein britischer Soldat in Woolwich am 22. Mai 2013 von zwei Islamisten brutal ermordet wurde, habe sich die Zahl der islam-feindlichen Vorfälle und Angriffe auf Moscheen für einige Zeit verachtfacht.

Islamophobe Kommentare bei Facebook und Twitter

Die überwiegende Zahl der Vorfälle ereigne sich aber nicht mehr auf der Straße, sondern im Internet, sagt Fiyaz Mughal. Auf Facebook, bei Twitter oder in anderen sozialen Netzwerken werden Frauen mit Kopftuch oder Schleier oder Menschen, die als Muslime zu erkennen sind, attackiert und beleidigt. "Es gab auch schon ernste Morddrohungen", so Fiyaz Mughal. "Die Online-Aktivitäten sind enorm. Es gibt Gewalt auf der Straße, aber sie ist nicht ausschlaggebend."

Screenshot der Startseite von "Tell Mama"http://tellmamauk.org/ (Foto: Tell Mama)
Die Startseite von "Tell Mama"Bild: tellmamauk.org

Wichtiger seien die Online-Aktivitäten, wo sehr organisiert, islamfeindliche Dinge verbreitet würden. Meist seien es "Rechtsradikale, Rassisten, Islam-Hasser, aber auch andere Leute, die Muslime einfach nicht mögen." In Großbritannien tut sich vor allem die rechts-extreme "English Defence League" mit islamfeindlichen Internet-Kampagnen hervor.

Auch in Frankreich haben die Angriffe auf Muslime zugenommen, schrieb Elsa Ray von der Organisation "Pan-europäisches Programm gegen Islamphobie in Europa" im Online-Dienst "EU-Observer". Im Juni wurde in Frankreich ein schwangere Muslima von zwei Männern misshandelt. Danach kam es zu tagelangen Krawallen von muslimischen Jugendlichen.

Elsa Ray und ihre Organisation werfen französischen und europäischen Politikern vor, sie würden wegschauen und anti-islamische Vorurteile hinnehmen. Die Debatte um ein Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit habe die Spannungen noch verstärkt, so Marwan Muhammed vom französischen Kollektiv gegen Islamophobie.

Keine verlässlichen Zahlen für Europa

Großbritannien und Frankreich scheinen in Europa im Moment die Länder für islamfeindliche Vorfälle zu sein. Genaue Zahlen für die Europäische Union gibt es aber nicht, bestätigt Katya Andrusz von der Europäischen Agentur für Grundrechte, einer EU-Behörde, in Wien. "Viel zu wenige Mitgliedsstaaten erheben überhaupt Daten zu solchen Delikten. Die EU-Grundrechteagentur appelliert seit langem an die europäischen Regierungen, solche Daten zu erheben und zu veröffentlichen", sagte die Sprecherin der EU-Agentur der Deutschen Welle.

Fiyaz Mughal, Direktor von "Tell Mama" (Foto: privat)
Fiyaz Mughal leitet "Tell Mama"Bild: privat

Nur sechs der 28 Mitgliedsstaaten erfassen islamfeindliche Taten. Manche werfen sie mit anderen "Hass-Verbrechen", die sich gegen Juden, Christen, Homosexuelle und Minderheiten richten, in einen Topf. "Es liegt wirklich im Interesse der Mitgliedsstaaten zu wissen, welche Vorfälle es gibt und gegen welche Gruppen, damit man das überhaupt bekämpfen kann." Katya Andrusz meint aber festzustellen, dass sich das Bewusstsein für das Problem bei den Mitgliedsstaaten nach und nach entwickelt. Im Moment könne sie aber keine Aussagen zu Tätern, Opfern und Fallzahlen im europäischen Vergleich treffen.

Neues Register in Deutschland gefordert

In Deutschland werden islamfeindliche Vorfälle nicht separat erfasst und folglich auch nicht der EU-Agentur gemeldet. Erst kürzlich hat der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Wilfried Albishausen, ein spezielles Register für anti-muslimische Straftaten gefordert. Als Vorbild solle der Umgang mit anti-jüdischen Taten dienen, die bereits gesondert erfasst werden, sagte Albishausen in der Zeitung "Die Welt". Der deutsche Verfassungsschutz schrieb in seinem letzten Jahresbericht erstmals, dass "das Agitationsfeld Islam-Feindlichkeit im Rechtsextremismus in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnt."

Bei "Tell Mama" in Großbritannien beobachtet Direktor Fiyaz Mughal, dass rechtsextreme Briten nicht mehr gegen Juden hetzen, sondern den Islam als neues Feindbild entdeckt haben. "Es gibt einen Wechsel weg von der einen Gruppe hin zu der anderen, besonders im Internet", so Mughal. In den Niederlanden, Belgien und Deutschland gibt es kleine Parteien, die vor der "Überfremdung" durch muslimische Einwanderer warnen. Der Massenmörder von Oslo, Anders Behring Breivik, hat seine Taten mit islamfeindlichen Thesen begründet.

Strafverfolgung von Vorfällen im Internet schwierig

Nicht alle Opfer nehmen das auf sich. Etwa 60 Prozent melden sich weder bei Hilfsorganisationen noch bei der Polizei, schätzt "Tell Mama". Das hat man auch bei der zuständigen Grundrechte-Agentur der EU in Wien festgestellt: "Bei den Muslimen, die befragt wurden, war es die überwiegende Mehrheit, die nichts gemeldet hat. Das ist ein Problem, denn was die Behörden nicht wissen, findet man auch nicht in den Zahlen", sagte Katya Andrusz von der EU-Agentur der DW. "Gebt euch nicht geschlagen", appelliert die anonyme Muslima im Video von "Tell Mama". "Mir ist das als Kind schon passiert. Und weil ich nicht will, dass es meinen Kindern passiert, tue ich dies hier für sie."

Demonstration von "Pro Deutschland" gegen Moscheen in Deutschland (Foto: DPA)
Demonstration gegen Moscheen in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

Nach der Meldung eines Vorfalls, egal ob in der realen Welt oder im Internet, übergibt "Tell Mama" die Unterlagen der Polizei. In Großbritannien sei die Polizei bei der Aufklärung von realen Gewalttaten eigentlich ganz gut, sagte Fiyaz Mughal von "Tell Mama", aber "die Strafverfolgung von Taten im Internet ist sehr gering. Das meiste ist nur symbolisch, und auch nur dann wenn prominente Opfer öffentliches Interesse hervorrufen", sagt er. Das sei falsch. "Es sind die normalen Nutzer und nicht berühmte Fußballstars, die Hilfe brauchen, wenn sie auf Twitter beleidigt werden."