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Kein Ende im Fall Gurlitt?

Philipp Jedicke26. November 2015

Seit 2013 kümmert sich eine Taskforce um die Klärung der Besitzverhältnisse aus dem Schwabinger Kunstfund: NS-Raubkunst oder nicht? Jetzt wird sie aufgelöst. Doch was hat sie erreicht? Und wie geht es weiter?

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Türschild von Cornelius Gurlitt
Bild: picture alliance / AP Images

2011 wurden in München und Salzburg in den Wohnungen von Cornelius Gurlitt, dem Sohn des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, durch Zufall knapp 1500 Kunstwerke, teils von international bekannten Künstlern und von zweifelhafter Herkunft, entdeckt. Mehr als eineinhalb Jahre schwieg die Augsburger Staatsanwaltschaft über ihren spektakulären Zufallsfund. Dementsprechend groß war die Aufmerksamkeit im In- und Ausland, als die Taskforce zur Provenienzforschung der Werke aus dem Schwabinger Kunstfund im November 2013 von drei bayerischen Ministerien und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur eingesetzt wurde.

Harsche Kritik an der vorläufigen Bilanz

Das Land Bayern und Bundespolitiker gelobten damals Besserung und schnelle Aufklärung. Raubkunst-Werke sollten zügig identifiziert und gegebenenfalls ihren rechtmäßigen Besitzern oder deren Nachkommen zurückgegeben werden. Die eingesetzte Leiterin der Taskforce, die hoch dekorierte Juristin und Politikerin Ingeborg Berggreen-Merkel, ging zunächst von einer Klärung innerhalb eines Jahres aus. Nach zwei Jahren musste sich Berggreen-Merkel am Mittwoch (25.11.2015) , fünf Wochen vor Auflösung der Taskforce, vor dem Bayerischen Landtag den Fragen ihrer Kritiker stellen. Die Bilanz ihres internationalen Teams wird von zahlreichen Medien als gescheitertes Unterfangen beurteilt, die "Süddeutsche Zeitung" spricht gar von einer "Blamage". Doch wie sieht diese Bilanz genau aus?

Rückgabe des Gemäldes "In einem Sessel sitzende Frau" von Matisse an den Vertreter der Familie Rosenberg
Rückgabe des Gemäldes "In einem Sessel sitzende Frau" von Matisse an den Vertreter der rechtmäßigen BesitzerBild: picture-alliance/dpa/Art Recovery Group/W. Heider-Sawall

Die Forschergruppe um Berggreen-Merkel konnte bislang die genaue Herkunft von vier Werken klären, von einem fünften wurde jetzt im Bayerischen Landtag gesprochen. Bei etwas mehr als 500 von insgesamt 1497 Werken aus dem Schwabinger und dem Salzburger Fund kann die Taskforce einen "NS-verfolgungsbedingten Entzug", wie es im Amtsdeutsch heißt, ausschließen. Die Herkunft der restlichen Werke konnte sie nicht klären; zu 104 weiteren Werken liegen der Taskforce insgesamt 114 konkrete Ansprüche und rund 300 Anfragen aus dem In- und Ausland vor.

Verteidigung und Anklage

Im Hinblick auf die Ergebnisse warnte Berggreen-Merkel in einem DW-Interview schon im Oktober 2015 vor Vergleichen mit der Arbeit in Museumsbeständen oder anderen Bereichen der Provenienzforschung. Im Fall Gurlitt handele es sich um einen "Privatbestand, der erst einmal wissenschaftlich erschlossen werden musste, ehe man damit arbeiten konnte." Sie verwies auf die Lücken in der Dokumentation und ergänzte: "Die Versäumnisse der Provenienz-Recherche in den 50er und 60er Jahren sind die Schwierigkeiten von heute."

Die "Süddeutsche Zeitung" hält Berggreen-Merkels Argumentation die Aussage eines nicht genannten Experten aus der Taskforce entgegen. Er behauptet, dass Auktionshäuser in der Lage seien, "in 48 Stunden Provenienzen zuverlässig zu klären." Zu diesem Vorwurf sagt Carsten Felgner, Provenienzforscher beim Kunsthaus Lempertz, einem großen Kölner Auktionshaus: "Wenn alle Dokumente vorliegen, geht es vielleicht mal in 48 Stunden, aber das ist eher selten der Fall. Daher ist diese Zahl übertrieben. Es kommt bei der Provenienzforschung immer auf die Einzelfälle an. Und je weniger Informationen vorliegen, umso schwerer wird die Einordnung eines Werks."

Ingeborg Berggreen-Merkel @DW/Heike Mund
Die Leiterin der Taskforce, Ingeborg Berggreen-Merkel, steht im Zentrum der KritikBild: DW/H. Mund

Öffentlichkeit als "Störfaktor"

Einer der schärfsten Kritiker der Taskforce ist der bayerische Grünenpolitiker Sepp Dürr, kulturpolitischer Sprecher seiner Partei im Bayerischen Landtag. "Die Taskforce wird natürlich am Ergebnis gemessen, das muss man ganz klar sagen. Da nützt es auch nichts, wenn Frau Berggreen-Merkel darauf verweist, dass alle fleißig gearbeitet haben", so Dürr. Seine Hauptkritik gilt jedoch nicht dem Forscherteam und seiner Leiterin, sondern der Politik, die beide eingesetzt hat. Anstatt sinnvoll zu handeln, habe die bayerische Landesregierung Erwartungen geschürt, die mit der Taskforce nicht erfüllbar waren. So sei von Anfang an die Öffentlichkeit im Fall Gurlitt als "Störfaktor" betrachtet und nicht mit einbezogen worden. "In dem Moment, in dem es in die Hände von Sachverständigen übergegangen ist, haben wir gefordert: mehr Personal und die Einbeziehung der Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit. Da wurde aber immer nur auf Druck und scheibchenweise gehandelt. Am Anfang war zum Beispiel das Institut für Kunstgeschichte in München nicht einbezogen, eigentlich die erste Adresse in München zu Raubkunst."

Die Grünen im Bayerischen Landtag - Sepp Dürr Copyright: Bündnis 90/Die Grünen
Sepp Dürr übt Kritik am Umgang mit Themen wie Provenienz und Restitution seitens der PolitikBild: Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag

Auch habe man weder mit Cornelius Gurlitt noch mit den Anspruchstellern geredet. Der gesamte Umgang mit dem im Mai 2014 verstorbenen Gurlitt sei höchst "blamabel" gewesen. Man habe ihm anfangs keinen Rechtsbeistand gegeben, sein Besitz wurde unter der Prämisse beschlagnahmt, der Kunsterbe würde auf einem "Nazischatz" sitzen, so Dürr: "Das war immer die Rechtfertigung, sozusagen ein außergesetzlicher Notstand. Man hat über den Mann hinweg sich durchgesetzt, immer mit dem Verweis auf die Nazikunst, und von der Nazikunst bleibt jetzt leider nicht so wahnsinnig viel übrig." Für Dürr steht die Geschichte des Gurlitt-Fundes und der Umgang mit ihr beispielhaft für den Umgang mit Raubkunst in Bayern und in Deutschland. Von Anfang an habe in dem Fall niemand die Verantwortung übernehmen wollen, und nun werde nur noch der schwarze Peter hin- und hergeschoben. Die Politik nehme das gesamte Thema Restitution nicht wirklich ernst. "Dass auch die Staatlichen Sammlungen in 15 Jahren nur zwölf Bilder finden, ist aus meiner Sicht unerhört. Es werden große Sprüche geklopft, aber wenn es ans Eingemachte geht, trennt man sich sehr ungern von den Bildern."

2016 übernimmt Magdeburg

Bei aller medialen Polemik und Wut rund um die Taskforce steht eines fest: Sie wird wie geplant zum Jahreswechsel aufgelöst. Von 2016 an soll das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg die weitere Forschungsarbeit um den Schwabinger Kunstfund übernehmen. Ihr Vorstand, Uwe Schneede, warnt vor einer vorschnellen Verurteilung der Taskforce vor dem Abschlussbericht, der im Januar vorgelegt werden soll: "Wie man Ergebnisse von Forschung beurteilen kann, ohne sie zu kennen, ist mir völlig unverständlich. Es geht um Forschung. Und es scheint mir so, als wenn da auf eine sehr konsequente und professionelle Weise Forschung betrieben worden ist."

Uwe M. Schneede vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste
Professor Uwe Schneede wird mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste die Arbeit der Taskforce fortführenBild: Ottmar von Poschinger

Der Erwartungsdruck seitens der Öffentlichkeit sei sehr hoch und erzeuge ein falsches Bild. "Der Eindruck, der nach außen immer wieder erweckt wird, ist ja: Wenn da mehr als 1000 Kunstwerke untersucht werden und nur zwei restituiert werden, dann stimmt irgendwas nicht. Diese Unterscheidung von Forschung und Restitution wird häufig unterlassen. Wir haben nichts mit Restitution zu tun, aber wir sorgen für die Klärung, damit Entscheidungen im Hinblick auf Restitutionen gefällt werden können." Auch wenn vor dem Abschlussbericht der Taskforce keine abschließende Beurteilung ihrer Arbeit möglich ist, hat Schneede bereits einen klaren Vorsatz für seine eigene Arbeit: "Klar ist, dass wir ein Fortsetzungsprojekt betreiben werden, und dann aber sicher auf eine schlanke, effiziente, transparente Art und Weise."