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"Keine Aussicht auf Einigung"

Marcus Lütticke5. Oktober 2014

Vor Ablauf einer Frist zur Beendigung der Studentenproteste in Hongkong hat die Demokratiebewegung einen Teilrückzug angekündigt. DW-Korrespondent Philipp Bilsky sieht aber keine Anzeichen für eine Einigung.

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Proteste in Hongkong (Foto: REUTERS/Carlos Barria)
Bild: Reuters/Carlos Barria

DW: Seit Ende September gehen vor allem die Studenten in Hongkong für Freiheit und Demokratie auf die Straße. Warum kommt es gerade jetzt zu so massiven Protesten?

Philipp Bilsky: Nach der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an China wurde den Menschen in Hongkong in Aussicht gestellt, dass sie ihren Regierungschef selbst wählen können. Ende August gab es eine Entscheidung, nach der es dazu aber eine Vorauswahl geben soll. Peking will also die Kandidaten bestimmen, aus denen die Bevölkerung dann wählen kann. Das ist im Kern das, was die Demonstranten hier nicht akzeptieren wollen.

Welchen Einfluss übt China denn auf Hongkong aus?

Grundsätzlich hat der Hongkonger Regierungschef schon große Machtbefugnisse. De facto steht Hongkong aber unter der staatlichen Souveränität der Volksrepublik, denn es gilt die Doktrin "Ein Land, zwei Systeme". Hongkongs Regierungschef Leung ist daher nur Verwaltungschef. Staatsoberhaupt ist der chinesische Staatspräsident Xi Jinping. Der Einfluss Chinas zeigt sich unter anderem darin, dass China der Wahl des Verwaltungschefs zustimmen muss. Bislang wird der Verwaltungschef auch durch einen Wahlausschuss bestimmt, der mit Pro-Peking-Kräften besetzt ist.

Gehen die Proteste nur von den Studenten aus? Wie steht der Rest der Bevölkerung zu den Forderungen?

Nach meinen Beobachtungen hier vor Ort sind die Menschen, die auf den Straßen protestieren, zu 80 bis 90 Prozent junge Leute. Wenn man sie darauf anspricht und fragt, wo ihre Eltern sind, dann hört man, dass diese zu Hause seien. Für ihre Eltern seien andere Dinge, wie die Stabilität der Gesellschaft oder die Entwicklung der Wirtschaft, wichtiger als zum Beispiel die Entwicklung der Demokratie. Meiner Wahrnehmung nach gibt es deswegen hier offenbar eine Teilung zwischen den Generationen. Außerdem gibt es Geschäftsleute, die sehr unzufrieden mit den Protesten sind, weil sie einen negativen Einfluss auf ihre Geschäfte sehen. Normalerweise reisen zu dieser Jahreszeit viele Festlandchinesen nach Hongkong, um hier Geld auszugeben. Wegen der Proteste sind viele aber dieses Jahr zu Hause geblieben. Für die Geschäftsleute heißt das, dass sie erheblich weniger Geld verdienen. Auch Taxifahrer kommen nur noch schlecht durch die Stadt und verdienen weniger. Und dann gibt es noch Menschen, die sich einfach wieder freie Straßen und normal geöffnete Geschäfte wünschen. Die BBC hat neulich berichtet, dass etwa 30 - 50 Prozent der Hongkonger hinter den Studenten stünden. Ich weiß nicht, wie verlässlich dieses Zahlen sind. Aber sie klingen für mich nicht unplausibel.

Es gab Berichte über von Peking beauftragte mafiöse Schlägerbanden, die auf die Demonstranten losgehen. Können Sie dazu etwas sagen?

Die Hongkonger Polizei hat selbst erklärt, dass sie nach den Zusammenstößen zwischen Studenten und Gegendemonstranten unter anderem Mitglieder von Triaden, also mafiaähnlichen Vereinigungen, festgenommen hat. Dass Triaden eine Rolle gespielt haben, ist also ziemlich sicher. Was genau dahinter steckt ist, ist allerdings schwer zu beurteilen. In Festlandchina wurden in der Vergangenheit auch immer wieder Schlägertrupps angeheuert, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Es kann aber genauso gut sein, dass die Triaden sich von den Protesten und den blockierten Straßen bei ihren Geschäften gestört fühlen. Genau beurteilen kann man das nicht.

Gibt es Hinweise darauf, dass die Proteste auch auf andere Regionen Chinas übergreifen könnten?

Philipp Bilsky (Foto: DW)
Philipp Bilsky berichtet für die DW aus HongkongBild: DW/M.Müller

Zumindest scheint sich die chinesische Regierung darüber Gedanken zu machen. Denn Berichte über die Entwicklung in Hongkong werden derzeit stark zensiert. Viele Menschen in China wissen deswegen meist gar nicht, was hier los ist.

Stehen die Zeichen - trotz des Teilrückzugs der Demonstranten - aus Ihrer Sicht momentan eher auf weitere Konfrontation oder gibt es auch die Aussicht auf eine Einigung?

Ich habe bislang noch niemanden getroffen, der es für realistisch hält, dass die chinesische Regierung demokratischen Wahlen - ohne eine Vorauswahl von Kandidaten - zustimmen wird. In Deutschland nicht und auch nicht hier in Hongkong. Ich habe mit vielen Studenten auf der Straße gesprochen, und auch die haben - ohne Ausnahme - gesagt, dass sie dieses Szenario für unrealistisch halten. Gleichzeitig ist aber die Forderung nach demokratischen Direktwahlen weiterhin die Kernforderung der Studenten. Das zeigt, wie verfahren die Lage hier ist. Und ein Kompromissvorschlag war hier - zumindest nach meinem Wissen - nie auf dem Tisch.

Philipp Bilsky ist Leiter der China-Redaktion der Deutschen Welle. Der studierte Sinologe hat mehrere Jahre in China gelebt und berichtet aktuell aus Honkong über die Protestbewegung der Studenten.

Die Fragen stellte Marcus Lütticke.