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Mehr direkte Demokratie?

Das Gespräch führte Matthias Klein25. Juni 2007

Horst Köhler hat die Direktwahl des Bundespräsidenten und mehr Beteiligungsrechte für die Bürger gefordert. Der Parteienforscher Prof. Karl-Rudolf Korte hält das im DW-WORLD.DE-Interview für wenig realistisch.

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Karl-Rudolf Korte
Karl-Rudolf Korte, Parteienforscher an der Universität Duisburg-EssenBild: dpa

DW-WORLD.DE: Bundespräsident Horst Köhler hat sich für mehr direkte Demokratie ausgesprochen. Wie überraschend kommt eine solche Forderung?

Karl-Rudolf Korte: Das ist nicht überraschend, weil er selbst dies schon einmal im Vorwahlkampf zur Bundespräsidentenwahl geäußert hat und es entspricht auch einem fast schon gängigen Klassiker, so etwas zu fordern.

Köhler bringt eine Direktwahl des Staatsoberhaupts ins Spiel. Was würde das konkret bedeuten?

Wenn man ein Verfassungsorgan von seiner Legitimation her verändert, muss man das Gesamtgefüge beachten. Und wenn es jetzt darum geht, den Bundespräsidenten direkt zu wählen, ihm also eine besondere Legitimation zu verleihen, dann muss man ihm auch mehr Kompetenzen geben. Sonst ist es eine reine Luftnummer.

Welche Kompetenzen sind da denkbar?

Man kann sich am Modell der Österreicher orientieren, die auch seit vielen Jahrzehnten ihren Bundespräsidenten direkt wählen. Dort hat der Bundespräsident bei der Regierungsbildung und auch bei der Regierungsauflösung mehr Rechte. Nicht nur, dass er hier praktisch den Bundeskanzler vorschlägt und ihm nachher die Urkunde aushändigt, sondern dass er konkret bei der Regierungsbildung mehr Kompetenzen bekommt. Das ist dort geregelt.

Nun sieht das deutsche Grundgesetz eine direkte Wahl des Bundespräsidenten unter anderem wegen der schlechten Erfahrungen aus der Weimarer Republik nicht vor. Ist das auch mehr als 60 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ein Argument?

Nein, diese Angst vor Weimar ist unbegründet. Gerade in Zeiten einer großen Koalition kann man darüber nachdenken, auch direktere Beteiligungsverfahren für die Bürger einzuführen. Es geht ja nicht um einen Austausch, sondern es geht um Ergänzungen der repräsentativen Demokratie.

Die Sendung "Sabine Christiansen" am 24.6.2007, Quelle: AP
Bundespräsident Horst Köhler befürwortete in der Talksendung "Christiansen" mehr direkte DemokratieBild: AP

Horst Köhler hat neben der Direktwahl des Bundespräsidenten auch in anderen Bereichen für mehr direkte Demokratie plädiert und Volksbegehren ins Spiel gebracht. Auf Bundesebene gibt es so etwas bislang nicht. Wie ließe sich das konkret umsetzen?

Dies ist konkret in Landesverfassungen geregelt. Es wäre zu überlegen, was auf die bundespolitische Gesetzgebung zu übertragen ist. Das ist dort ja bislang nur bei der Möglichkeit der Bundesländerveränderung gegeben. Insofern ist zu schauen, wieweit man mit bestimmten Quoren das einführt, was andere Länder haben. So könnte auch hier eine Form von Bürgerreferenden möglich werden. Letztlich kann man sehen, dass Anträge für so etwas bereits häufig von Parteien in Deutschland gestellt worden sind – allerdings wussten sie meistens, dass es sowieso keine Zweidrittelmehrheit dafür gibt.

Kritiker befürchten, dass durch Volksbegehren auf Bundesebene populistischen Aktionen Tür und Tor geöffnet würden. Müsste man sich da Sorgen machen?

Nein, nicht grundsätzlich. Das hätte Vor- und Nachteile. Es ist klar, dass es grundsätzlich möglich ist, dass man über Stimmungen versucht, Stimmen zu erzeugen. Auch hier kann man mit organisierten Interessen, mit Werbung, mit populistischen Maßnahmen Stimmung machen für ein bestimmtes Thema. Das ist zweifellos denkbar. Aber die Länder, die Erfahrung haben mit solchen Formen der direkten Demokratie, zeichnen sich eher durch weniger Staatlichkeit aus - auch dadurch, dass die Bürger im Prinzip den Sozialstaat behutsamer ausbauen, als in anderen Ländern, weil es immer bei allen Fragestellungen zu bedenken gibt, haben wir überhaupt das Geld für das, was wir gerade beschließen? Und da sind die meisten doch eher zurückhaltend.

Wie schätzen Sie momentan die Stimmung in der deutschen Parteienlandschaft zu diesem Thema ein? Gibt es in den Parteien Mehrheiten für mehr direkte Demokratie?

Die Parteien hätten im Moment in der großen Koalition die große Chance, so etwas relativ schnell und zügig durchzusetzen - weil sie die nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag haben und fast annähernd diese Mehrheit auch im Bundesrat. Insofern wäre jetzt ein gutes Zeitfenster, so etwas zu beschließen. Aber ich sehe bei den Parteien im Moment keine große Vehemenz, so etwas umzusetzen.

Das heißt, die Chance, dass diese Vorschläge jetzt aufgegriffen und konkret umgesetzt werden, ist gering?

Ja, ich sehe keine Chance, dass sich das in absehbarer Zeit ändert.

Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt "Das politische System der Bundesrepublik Deutschland und moderne Staatstheorien" an der Universität Duisburg-Essen. Er leitet außerdem die "NRW School of Governance".