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Ende der Erreichbarkeit

Martin Koch18. Februar 2014

Überall in Cafés, Bussen und Bahnen sitzen Menschen vor Smartphones, Tablets und Laptops. Doch auf Dauer ist es ungesund, immer erreichbar zu sein. Einige Arbeitgeber wollen ihre Mitarbeiter vor sich selbst schützen.

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Überall erreichbar
Bild: picture-alliance/dpa

Es macht "ping", "tataa" oder "beep" - und schon weiß der vernetzte Mensch von heute: Ich habe eine neue Nachricht bekommen. Schnell mal nachschauen, vielleicht ist sie vom Chef. Und dann natürlich sofort antworten, es geht ja darum, einen guten Eindruck zu machen. Beim Chef und auch sonst, denn es wirkt ja ungeheuer kompetent und cool, wenn man ständig Nachrichten erhält und beantwortet.

Damit seine Mitarbeiter diesem Drang wenigstens teilweise entkommen können, lässt der Wolfsburger Autohersteller Volkswagen seit fast drei Jahren die dienstlichen Smartphones kollektiv abschalten: abends wird der Server, über den die E-Mails auf die Handys verwaltet werden, eine halbe Stunde nach Dienstschluss aus- und erst am kommenden Morgen eine halbe Stunde vor Arbeitsbeginn wieder angestellt. Dazwischen erhalten die VW-Mitarbeiter keine E-Mails auf ihren Dienstgeräten.

Keine Umgehung möglich

Ausnahmen bestätigen die Regel: "Oh, da erwischen Sie mich aber auf dem falschen Fuß, das war schon heute morgen um kurz nach sieben", antwortet Jörg Köther mit einem Lachen auf die Frage, wann er denn an diesem Tag seine erste E-Mail gelesen hat. Der Sprecher des Volkswagen-Gesamtbetriebsrats gehört aus dienstlichen Gründen nicht zu der Gruppe von rund 4000 VW-Mitarbeitern, die von der Regelung profitieren.

Jörg Köther
Köther: Stolz auf Hardware-Lösung bei VWBild: Volkswagen AG

Trotzdem sei man stolz auf diese Regelung, die der Betriebsrat gemeinsam mit dem Unternehmen anlässlich der Einführung von Diensthandys erarbeitet hat, sagt Betriebsratssprecher Köther: "Weil diese Hardware-Lösung sicherstellt, dass keine Umgehung möglich ist und man nicht darauf angewiesen ist, dass die Beschäftigten sich mit ihrem Vorgesetzten darüber einigen müssten, wie das konkret aussieht."

Die Rückmeldungen von Seiten der Angestellten seien durchweg positiv und auch die Unternehmensführung habe von Anfang an volles Verständnis dafür gehabt, Arbeit und Freizeit deutlich voneinander zu trennen.

Arbeitszeit auf Vertrauensbasis

Der bayerische Automobilkonzern BMW fährt einen anderen Kurs. Er hat gemeinsam mit dem Betriebsrat ein Modell entwickelt, bei dem Angestellte mit ihren Chefs vereinbaren können, in welchem Umfang sie von unterwegs oder von zu Hause aus arbeiten. Die geleistete Arbeitszeit notieren sie dann auf Vertrauensbasis und erhalten sie vergütet.

Jochen Frey BMW Group
Frey: Recht auf Unerreichbarkeit ist gut für Mitarbeiter und UnternehmenBild: BMW Group

Dem Vorwurf, damit seien der (Selbst-)Ausbeutung der Mitarbeiter Tür und Tor geöffnet, widerspricht BMW-Pressesprecher Jochen Frey: "Genau im Gegenteil: Die Möglichkeit zur Mobilarbeit wird geregelt. Wir setzen stark auf den Dialog zwischen den Führungskräften und den Mitarbeitern. Das heißt, der Mitarbeiter vereinbart mit seinem Chef Zeiten, in denen er verfügbar ist." Und damit ergäben sich automatisch auch Zeiten, in denen er eben nicht erreichbar ist.

Zauberwort Kommunikation

Dieser Ansatz ist aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll, sagt Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. Denn er biete beiden Seiten eine Reihe von Vorteilen. Einer der wichtigsten: "Dadurch, dass ich vielleicht einen Tag von zu Hause arbeiten kann, kann ich mehr Zeit mit der Familie verbringen. Dann sind diese neuen Medien und diese Erreichbarkeitsoptionen natürlich Dinge, die einen positiven Einfluss auf das Privatleben haben".

Entscheidend seien klare Absprachen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern innerhalb der jeweiligen Unternehmen oder Abteilungen, so Brenscheidt. Aber trotzdem müsse genügend Spielraum für individuelle Absprachen bleiben, betont der Wissenschaftler: "Also wenn ein Produktionsleiter von Zuhause Schlimmeres verhindern kann, dann ist es sinnvoll, ihn anzurufen. Man muss nur sehen, dass man Wichtiges von Unwichtigem trennt und es auf ein Minimum begrenzt."

Frank Brenscheidt Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Brenscheidt: Absprachen zwischen Chefs und Mitarbeitern sind wichtigBild: privat

Win-win-Situation

Natürlich geht es bei solchen Modellen vor allem um die Gesundheit der Mitarbeiter. Letztlich sind die Angestellten ja das Kapital der Unternehmen. Doch die Konzerne profitieren auch in einer weiteren Hinsicht, gibt BMW-Sprecher Frey zu: "Wir möchten ein attraktiver Arbeitgeber sein. Deshalb nutzen wir diese Möglichkeiten, um zu zeigen: Bei uns kann sich die Arbeit dem Leben anpassen und nicht das Leben der Arbeit."

Allerdings müssen sich für ein solches Absprache-basiertes Modell vor allem die Führungskräfte auf die neue Situation einstellen, betont Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. "Gesundes Führen" müsse in die Ausbildung von Nachwuchsführungskräften eingehen.

Auf diese Weise könne von vornherein verhindert werden, dass zwischen Kollegen kein Misstrauen entsteht, weil der eine denkt, der andere habe beim Chef ein höheres Ansehen, weil er länger und häufiger erreichbar ist. "Damit dieses nagende Gefühl nicht entsteht, haben wir das gemacht", sagt BMW-Sprecher Frey. "Das Ziel der Vereinbarung ist ein Verständniswandel, dass niemand schief angeschaut wird, weil er nicht erreichbar oder mal nicht im Büro ist."

Und was im Beruf sinnvoll ist, kann übrigens auch im Privaten viel Stress vermeiden helfen, ergänzt der Arbeits-Experte Frank Brenscheidt: "Eine Empfehlung ist, sich selber Freiräume zu schaffen, indem man zum Beispiel nur zwei oder dreimal am Tag E-Mails beantwortet und nicht sofort auf jede SMS antwortet."