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Keine Kohle für die Kohle

21. Juli 2017

Wer das Geld gibt, trägt die Verantwortung - mit dieser Rechnung drängt die deutsche NGO Urgewald seit 25 Jahren Banken und Konzerne zum Ausstieg aus der Finanzierung von Kohle- und Atomkraft. Auf sehr eigene Art.

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Deutschland Umweltschutzverein Urgewald e.V
Protestaktion von Urgewald gegen Braunkohle-Investitionen der Deutschen BankBild: urgewald

Die Hauptversammlung der Commerzbank vor fünf Jahren: Eindringlich schildert Bob Kincaid die Folgen der Kohleförderung durch das Wegsprengen von Bergkuppen in seiner Heimat, dem US-Bundesstaat West Virginia.

"Wegen des Mountaintop Removal Kohleabbaus verzeichnet unserer Region in diesem Jahr, im Jahr zuvor sowie im vorvergangenen Jahr 3975 zusätzliche Todesfälle. Kindern werden regelmäßig Organe entnommen. Sie sind Opfer der Gifte, mit denen Kohlefirmen unser Wasser und unsere Luft verpesten."

Dann spricht er Vorstand und Aktionäre der Commerzbank direkt an: "Ihre Bank, sehr geehrte Damen und Herren, besitzt Aktien an diesem Elend."

Deutschland Umweltschutzverein Urgewald e.V Bob Kincaid
Mit drastischen Worten schildert Bob Kincaid die Folgen der Kohleförderung per Mountaintop RemovalBild: urgewald

Kincaid ist Präsident der US-Bürgerinitiative Coal River Mountain Watch. Eigentlich dürfen auf Hauptversammlungen nur Aktionäre sprechen, doch Kincaid war von der deutschen Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald eingeladen worden. Denn sie hatte sich durch Aktien Stimm- und damit Rederechte für die Aktionärsversammlung besorgt.

"Ich wusste nicht, dass mein Geld so etwas anrichtet"

Deutschland Umweltschutzverein Urgewald e.V Geschäftsführerin Andrea Soth
Urgewald-Geschäftsführerin Andrea Soth Bild: urgewald

Worte wie die von Kincaid bewegen auch Vorstände. "Ich hab das schon oft erlebt, dass die Gesichtszüge Betroffenheit verraten", erzählt Andrea Soth, Geschäftsführerin und Gründungsmitglied von Urgewald. "Deutlicher ist es bei den Aktionären, die kommen häufig nach solchen Redebeiträgen auf uns zu und sind entsetzt und sagen 'Ich wusste nicht, dass mein Geld so etwas anrichtet'."

Während andere Umweltschutzorganisationen riesige Plakate an Kohle- oder Atomkraftwerke hängen, geht Urgewald einen anderen Weg, um auf Umweltverschmutzung aufmerksam zu machen. Die kleine Organisation mit Sitz im westfälischen Sassenberg besorgt sich Aktien von Versicherungen und Banken und verschafft sich so ein Rederecht auf deren Hauptversammlungen.

Dort präsentiert sie ihre Recherchen über Projekte und Firmen, die Natur zerstören oder Menschenrechte verletzen - beides geht meist Hand in Hand - und die von den jeweiligen Investoren finanziert werden. Derzeit hat Urgewald Stimm- und Rederechte bei den Energiekonzernen Uniper und RWE, der Deutschen Bank, der Commerzbank sowie  dem Versicherungskonzern Allianz; die Organisation hält außerdem Aktien des Rüstungskonzerns Rheinmetall und des Versorgers EnBW.

Einfluss durch Aktien

Oft beißt das Urgewald-Team trotz eindringlicher Worte auf Granit. Manchmal werde man von linientreuen Aktionären sogar ausgebuht, aber ab und an gebe es auch Applaus, berichtet Andrea Soth. "Manchmal übertragen uns Aktionäre ihre Stimmrechte und sagen: 'Ich möchte, dass meine Stimme dafür eingesetzt wird, um so etwas zu unterbinden.'"

Und ab und an kämen Verantwortliche der Banken und Konzerne abseits des Podiums auf die Umwelt- und Menschenrechtsschützer zu, um Kontakt aufzunehmen oder einen Gesprächstermin zu vereinbaren. In den vergangenen Jahren habe durchaus einen Bewusstseinswandel geben, sagt die Urgewald-Geschäftsführerin.

Kein neues Geld für die Kohleindustrie

2015 gelang Urgewald und anderen Nichtregierungsorganisationen nach langer Kampagnenarbeit ein Durchbruch in Sachen Kohlefinanzierung. Die Allianz verkündete ein weitgehendes Kohle-Divestment, also eine Reduzierung ihrer Investitionen in die Kohleindustrie.

Ein Jahr später beschloss die Commerzbank eine Kohlerichtlinie, die festlegt, fortan keine neuen Kohlekraftwerke und keine neuen Kohleminenprojekte mehr direkt zu finanzieren. Dafür gab es viel Lob von Urgewald.

Doch bei aller Freude bleibt auch Kritik. "Ein Kohlekraftwerk oder ein Staudamm oder die Ausrüstung für ein bestimmtes Projekt - das wird durch die Richtlinie verhindert", erklärt Soth. "Aber es wird nicht verhindert, dass ein Unternehmen wie Rheinmetall weiterhin Unternehmenskredite bekommt und damit Dinge passieren, die eben nicht zustimmungsfähig wären, wenn sie als Projektfinanzierung angefragt worden wären."

Deutschland Umweltschutzverein Urgewald e.V
Auch keine Kohle für Waffen: Protestaktion von Urgewald gegen Rüstungskredite der Sparkasse DüsseldorfBild: urgewald

Dialog zwischen Bank und Umweltorgansiation

Trotz solcher Kritik sieht man die Umweltschützer in der Unternehmenszentrale der Commerzbank mittlerweile mehr als kritischen Partner denn als Gegner und pflegt den Dialog mit Urgewald, sagt Rüdger Senft, Leiter der Abteilung Corporate Responsibility. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir hier auf einen Gesprächspartner gestoßen sind, mit dem ein fachlich sehr fundierter und auch konstruktiver Dialog möglich ist. Gerade beim Thema Mountaintop Removal hat Urgewald uns darin bestärkt, dass wir das Thema angegangen sind."

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Urgewald-Flyer zum Jahresbericht 2015 der Commerzbank: Die NGO sucht den Dialog mit Banken, bleibt aber kritischBild: urgewald

Mittlerweile profitiere man, neben den Studien, vom regelmäßigen Austausch mit der Organisation - etwa um ergänzende Informationen für die Risikobewertung von Finanzierungen zu erhalten, da man unter anderem dank der Recherche von Urgewald das Geschäftsgebaren von Kunden noch umfassender einschätzen könne.

"Es geht nicht nur um den guten Ruf"

Seit 2006 hat das Geldhaus laut eigenen Angaben eine Abteilung für Umwelt- und Sozialrisiko-Management aufgebaut. Auch dem "UN Global Compact" ist man beigetreten, einer freiwilligen Selbstverpflichtung, initiiert von den Vereinten Nationen, mit dem sich Unternehmen verpflichten, die Globalisierung sozialer und ökologischer zu gestalten. Da passt die Zusammenarbeit mit Umweltschützern gut.

Doch insbesondere beim Kohle-Divestment geht es auch wirtschaftliche Interessen. "Ein Klimakiller zu sein, ist nicht nur für die Reputation ein Risiko, sondern auch für das Geschäft", sagt Urgewald-Mitgründerin Soth. "Sektoren wie die Kohlebranche rechnen sich nicht mehr. Im Gegensatz dazu werden erneuerbare Energien weltweit immer günstiger."

Seit 25 Jahren für Umwelt  und Menschenrechte

An diesem Sonntag (23.07.2017) wird Urgewald 25 Jahre alt. Gefeiert wird das Jubiläum erst im Herbst. "Im Moment haben wir einfach zu viel zu tun", sagt Soth. Soeben hat die Organisation ihre Recherche zu den wichtigsten Entwicklern neuer Kohlekraftwerke veröffentlicht.

Und das nächste Ziel hat das Urgewald-Team bereits vor Augen: Um den Kapitalfluss in die derzeit noch geplanten 1600 Kohlekraftwerke zu stoppen, sollen nicht nur große Investoren, sondern auch Stiftungen, Pensionsfonds, Kirchen und Kommunen vom Ausstieg aus der Kohlefinanzierung überzeugt werden.

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen