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Keine Koranschule

Emir Numanovic4. Dezember 2007

260 Schüler aus der Türkei, Marokko und Bosnien drücken im Islamischen Gymnasium in Wien die Schulbank. Fünf Gebete pro Tag und Streitgespräche über die Evolutionstheorie gehören zum Schulalltag.

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Junge Muslime in Österreich (Archiv, Quelle: AP)
Junge Muslime in Österreich: der Islam ist die zweitgrößte ReligionsgemeinschaftBild: AP

Freitags können die Schüler des Islamischen Gymnasiums nur die Hälfte der Mittagspause genießen. Das Freitagsgebet steht auf dem Stundenplan. Für den reibungslosen Ablauf der Gebete ist der Religionslehrer Kenan Ergün zuständig. "Die Schule hat eine Aufgabe: Dass die muslimischen Jugendlichen erstens ihre Identität bewahren, zweitens, dass sie die Matura, das österreichische Abitur machen, studieren und als intellektuelle Menschen und Moslems hier ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen."

Einen Platz in der Gesellschaft haben die Muslime in Österreich schon seit 1912, als der Islam als Religion anerkannt wurde. Damals kämpften bosnische Muslime in der Armee der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. 1978 wurde die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich gegründet. Sie fungiert als Vertretung aller Muslime im Land und ist auch für den islamischen Religionsunterricht an österreichischen Schulen zuständig. Heute leben rund 450.000 Muslime in Österreich. Der Islam ist somit die zweitgrößte Religionsgemeinschaft.

Zwischen gesetzlichem Lehrplan und religiöser Erziehung

Koranschule in Pakistan (2005, Quelle: AP)
Gegenmodell zur Koranschule - der Islam ist in Wien nur eines von vielen FächernBild: AP

Auf Initiative der Organisation SOLMIT (Solitärisch miteinander), deren Präsident Religionslehrer Kenan Ergün ist, wurde vor acht Jahren das Islamische Gymnasium gegründet. Eltern, die ihre Kinder auf diese Schule schicken, wünschten sich für diese eine muslimische Umgebung und Erziehung, erzählt Schuldirektor Ludwig Sommer.

Manche Vorstellungen streng religiöser Eltern könnten jedoch nicht erfüllt werden. "Es ist nicht möglich, dass der Unterricht in nur muslimischen Tugenden abläuft", sagt Sommer. So entstand manchmal eine Zwischenlösung: Den Kindern bleibt nichts vorenthalten, was andere österreichische Schüler lernen, und die Eltern hätten auf der anderen Seite keine Einbußen in der religiösen Erziehung.

Evolutionstheorie vs. Islamische Schöpfungslehre

Das Islamische Gymnasium in Wien ist eine Privatschule nach dem österreichischen Privatschulgesetz, der Lehrplan wird nach dem Schulunterrichtsgesetz gestaltet. Alle muslimischen Gebets- und Speisevorschriften werden eingehalten, auch gibt es eine Garantie für schulfreie Tage an religiösen Feiertagen.

Rund 260 Schüler kommen aus der Türkei, Ägypten, Marokko oder Bosnien, ihre Lehrer sind jedoch fast alle Österreicher christlichen Glaubens - was manchmal zu Diskussionen führt, berichtet der Deutschlehrer Friedrich Vastian.

Ein Beispiel ist die Evolutionstheorie: Während der Islam die Entstehung des Menschen durch Gott lehrt, vertritt der Biologielehrer die naturwissenschaftliche Theorie. Dies bewirke ein Nachdenken über andere Auffassungen, sagt Vastian. "Die Aufklärung besagt ja, du musst selbst denken, dann erst existierst du. Und das wird zur Kenntnis genommen und dann sehen wir Erfolge, weil Dinge kritisch hinterfragt werde."

Menschen aus Bakterien geschaffen?

Besonders die älteren Schüler setzen sich mit religiösen Dogmen kritisch auseinender - bei den jüngeren setzt der Prozess langsamer ein. Sara und Karim, deren Eltern aus Ägypten kommen, besuchen die zweite Klasse. "Im Islam sagen sie, das hat alles Allah erschaffen. Unser Biologielehrer sagt, wir waren früher alle Bakterien und jetzt sind wir Menschen geworden. Daran will ich gar nicht denken", sagt Sara und Karim fügt hinzu. "Ja, wir lernen, wie der Mensch entstanden ist. Zuerst waren da Affen und dann gab es einen Affen, der wie Mensch ausgesehen hat, nicht wahr?"

Für welche Theorie sich die Kinder dann im Laufe des Lebens entscheiden, dass bliebe ausschließlich ihnen überlassen, sagt Religionslehrer Kenan Ergün. "Wir unterrichten so, die Bio-Lehrer unterrichten so und dann entscheiden die Schüler selbst. Sie diskutieren mit mir natürlich, mit den anderen auch."

Religionslehrer zwischen Tradition und westlicher Realität

Ergün kommt aus der Türkei, dort hat er Theologie und Pädagogik studiert. Er unterrichtet auf Deutsch. Im Unterricht legt er großen Wert auf Transparenz. Das ist auch ein Anliegen der Lehrenden am Universitäts-Lehrgang für islamische Religionslehrer in Wien, den es seit acht Jahren gibt. Die Jobaussichten der Studenten sind hervorragend.

Denn bei Religionslehrern, die aus dem Ausland nach Wien kommen, mangelt es manchmal an Deutschkenntnissen und einer adäquaten pädagogischen Ausbildung, sagt die Professorin für Sonderpädagogik, Zeynep Elibol. Für sie stünde im Unterricht manchmal eher Tradition als Religion im Vordergrund.

Der erste Jahrgang

Im letzten Jahr hat das Islamische Gymnasium die ersten Maturanten hervorgebracht - eine Generation von Muslimen also, die ihre Identität bewahrt haben, die nun aber auch das europäische, naturwissenschaftliche Bild kennen. Eine Generation europäischer Muslime also? Deutsch-Lehrer Friedrich Vastian findet das schon: "Wir Lehrer tragen zur Integration bei. Aufgrund des Unterrichts werden die Schüler europäisiert. Es darf alles kritisiert werden, auch die religiösen Dogmen. Und das ist das wichtigste, glaube ich."