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Keine neue Leitwährung in Sicht

18. Februar 2011

Die riesigen Handels- und Leistungsbilanzdefizite der USA haben den Dollar als Leitwährung ins Gerede gebracht. Ein neuer Anker muss her, fordern Experten. Doch der ist nicht in Sicht.

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Der Dollar verliert seinen guten Ruf - aber Alternativen gibt es noch nichtBild: AP
Michel Camdessus (Foto dapn)
Michel Camdessus: "Exzessive Schwankungen"Bild: APImages

Das Weltwährungssystem braucht nach Auffassung des früheren Chefs des Internationalen Währungsfonds, Michel Camdessus, eine radikale Reform. "Auf den Devisenmärkten kommt es immer wieder zu exzessiven Schwankungen", sagt Camdessus, der heute den französischen Staatschef und G-20-Vorsitzenden Nicholas Sarkozy berät, in einem Interview der Wochenzeitung "Die Zeit". Oft habe der Kurs der Währungen "mit den ökonomischen Rahmendaten nichts zu tun". Deshalb sei es sinnvoll, einen neuen, festen Anker für die Währungen einzuführen.

Einen solchen Anker gab es schon einmal - doch das ist lange her. Im Sommer 1944 hatten die USA zur Neuordnung der durch den Zweiten Weltkrieg zerrütteten Weltwirtschaft zu einer internationalen Konferenz nach Bretton Woods im amerikanischen Bundesstaat New Hampshire eingeladen. Dort wurden die Weltbank und der Internationale Währungsfonds gegründet. Erstere sollte sich um den Wiederaufbau in Europa und die Entwicklungsländer kümmern, der Währungsfonds sollte Staaten stabilisieren, deren Währungen unter dem Druck interner wirtschaftlicher Probleme standen.

Ein fester Anker...

Ein Schwarzweiß-Foto vom Treffen der 44 Delegierten in Bretton Woods (Foto dapn)
Historisches Treffen: Die Delegierten von 44 Staaten in Bretton WoodsBild: AP

Wichtigstes Ergebnis von Bretton Woods war jedoch, dass sich die Staaten auf den US-Dollar als Leitwährung einigten und diese Währung durch Gold gedeckt werden sollte. Weil die USA über zwei Drittel der Goldreserven der Welt verfügten, bot sich der Dollar als Leitwährung geradezu an. So konnten die USA nach Kriegsende nicht nur die politische und militärische, sondern auch die wirtschaftliche und finanzielle Führungsrolle in der Welt übernehmen. Damals war eben die Welt noch in Ordnung: Es gab feste Wechselkurse, niedrige Zinsen, und der Dollar war überall als Leit- und Transaktionswährung anerkannt.

Stephan Schulmeister, Forscher am Wiener Institut für Wirtschaftsforschung, trauert diesen Zeiten fast ein wenig nach: "Wenn die Wechselkurse fixiert sind, wenn der Zinssatz niedrig ist, wenn die Aktienmärkte schlafen und die Rohstoffpreise stabil sind, dann kann man in der Finanzwirtschaft durch Spekulation nicht reicher werden", so beschreibt Schulmeister die 1950er und 60er Jahre. Unter diesen Bedingungen habe sich daher das Gewinnstreben ausschließlich in der Realwirtschaft entfaltet, und es fand ein Wirtschaftswunder statt: "Vollbeschäftigung, Ausbau des Sozialstaats bei stetig sinkender Staatsverschuldung."

...verliert langsam den Halt

Richard Nixon (Foto: dapn/National Archives, Oliver Atkins)
Bretton Woods vom Tisch gefegt: Richard NixonBild: AP

Dumm nur, dass der 36. Präsident der USA, Lyndon B. Johnson, auf die Idee kam, der französischen Besatzungsmacht in Vietnam aus der Patsche helfen zu wollen. Kriege sind teuer - und bald waren amerikanische Dollar-Anleihen nicht mehr mit Gold gedeckt. Die festen Wechselkurse zum Dollar gerieten ins Wanken. Am 15. August 1971 hob der damalige Präsident Richard Nixon die Verpflichtung, US-Dollar in Gold zu tauschen, kurzerhand auf.

Danach wurden nicht nur die Wechselkurse freigegeben - es kam auch zu einem völligen Systemwechsel, sagt der Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister: "Der Realkapitalismus ist damals vom Finanzkapitalismus abgelöst worden." Mit verheerenden Folgen: "Bei instabilen Wechselkursen, hohen und instabilen Zinssätzen, Aktienmärkten, die mal boomen und mal abstürzen, und sehr instabilen Rohstoffpreisen wurde immer mehr spekuliert."

Verheerende Folgen

Hu Jintao (Foto: dapn)
Hu Jintao: "Der Dollar ist ein Produkt der Vergangenheit"Bild: AP

Seither ist unser internationales Geldsystem von der materiellen Realität abgekoppelt. Die Weltwirtschaft verfügt über keinen allgemein anerkannten Wertmaßstab mehr. Die Geldschöpfung beruht auf der Kreditvergabe der privaten Banken und ist an keine materielle Wirklichkeit mehr gebunden. Die Digitalisierung des Geldes durch die Computertechnik ermöglicht es zudem, große Geldsummen als elektronische Daten zu übermitteln. Dadurch haben die spekulativen Devisentransaktionen in einem ungeheuren Ausmaß zugenommen. Heute entsprechen nur etwa fünf Prozent aller Devisentransaktionen einem realen Austausch von Gütern und Dienstleistungen, 95 Prozent sind spekulativ.

Wäre es also besser, zu den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zurückzukehren? "Natürlich nicht", sagt der Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister, "wir müssen nur unternehmerisches Verhalten wieder besser stellen und stärker honorieren als die Finanzspekulation. Genau das Gegenteil ist aber in den letzten 30 Jahren passiert." Ähnlich argumentiert der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds, Michel Camdessus. Oft habe der Kurs der Währungen "mit den ökonomischen Rahmendaten nichts zu tun", sagt er in einem Interview der Wochenzeitung "Die Zeit". Deshalb sei es sinnvoll, einen festen Anker für die Währungen einzuführen. "Unsere Währungsordnung hat seit dem Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods in den siebziger Jahren keinen zentralen Referenzpunkt mehr."

Kein neuer Anker in Sicht

Rolf Langhammer (Foto: dpa)
Rolf Langhammer: "Sinnlose Diskussion"Bild: picture-alliance/ dpa

Genau das aber ist das Dilemma: Der zentrale Referenzpunkt fehlt, und so bleibt der Dollar mangels Alternative weiterhin die Leitwährung. Ein vom Dollar beherrschtes Weltwährungssystem hat nach Ansicht von Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao keine Zukunft. Die Dominanz der amerikanischen Währung sei ein "Produkt der Vergangenheit", erklärte Hu in Interviews mit der "Washington Post" und dem "Wall Street Journal" - kurz vor seinem Gipfeltreffen mit Präsident Barack Obama im Januar. Doch auch Hu Jintao weiß nicht, was an die Stelle des Dollars treten könnte.

Und weil das so ist, halten viele Experten Überlegungen zu einem neuen Weltwährungssystem für sinnlos, wie zum Beispiel Rolf Langhammer, Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel: "Wir brauchen ja eine internationale Leitwährung. Doch diese Leitwährung gibt es nur in Gestalt des Dollar." Und das sei eben das Dilemma der Chinesen: Sie sind die großen Gläubiger, sie reden schlecht über den Dollar - aber sie unterstützen ihn. "So lange dieses Dilemma nicht gelöst wird, brauchen wir über ein internationales Währungssystem gar nicht zu sprechen, das wird nicht gelingen."

Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Henrik Böhme