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EU lässt Milde walten

Bernd Riegert 27. Juli 2016

Feige oder flexibel? Die EU-Kommission lässt Spanien und Portugal vom fiskalpolitischen Haken. Strafen würde die Krise verschärfen, meint die EU-Kommission. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Leere Taschen
Bild: Fotolia/photo 5000

In den letzten Wochen hatten Spanien und Portugal hart gearbeitet, um die EU-Finanzminister und die EU-Kommission zu überzeugen, dass Strafen wegen schlechter Haushaltsführung kontraproduktiv sein würden. Mit Briefen, Gutachten und persönlichen Gesprächen versuchten der portugiesische und der spanische Finanzminister, die Kollegen in Brüssel milde zu stimmen. Offenbar mit Erfolg.

Der für die Defizitverfahren zuständige EU-Kommissiar Valdis Dombrovskis gab nach der letzten Sitzung der EU-Kommission vor der Sommerpause bekannt, dass keine Strafen gegen die kriselnden Staaten auf der iberischen Halbinsel verhängt werden. "Wir verzichten auf die möglichen Strafen, weil wir die wirtschaftliche Gesundung nicht gefährden wollen", begründete Dombrovskis den nicht sonderlich überraschenden Schritt seiner Behörde. Wegen der multiplen Krisen in der Europäsichen Union, von Brexit über Flüchtlinge bis Terrorgefahr, wolle die Kommission nicht noch mehr Unruhe und Unsicherheit stiften, ließ der für die Währung Euro zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici durchblicken. "Strafen sind nicht die beste Herangehensweise in Zeiten, wenn es weitgehende Zweifel an Europa gibt."

Belgien EU-Kommission Pressekonferenz Valdis Dombrovskis
Dombrovskis: Strafen helfen nichtBild: Reuters/E. Vidal

Nach vorne schauen?

"Es geht ja um die Zukunft", sagte Kommissar Valdis Dombrowski. Man wolle durch empfindliche Geldstrafen, die in den Gesetzen der EU vorgesehen sind, nicht noch die Sünden der Vergangenheit verstärken. Strafen würden jetzt nicht weiterhelfen, weil sie die öffentlichen Haushalt zusätzlich belasteten und die Effekte der durchaus tief greifenden Reformen in Portugal und Spanien zunichte machen würden. In den letzten sechs bis sieben Jahren habe es große Anstrengungen gegeben, die Wirtschaft wachse wieder, leider seien immer noch zu viele Menschen arbeitslos. "Die Erholung kommt bei vielen noch nicht an", konstatierte Vladis Dombrowskis.

Spanien und Portugal verstoßen seit Jahren gegen die Defizitkriterien und ignorierten zuletzt auch die Auflagen, die die EU-Kommission zur Reform der Steuer-, Renten- und Arbeitsmarktsysteme erlassen hatte. Trotzdem erhalten die beiden Staaten jetzt eine neue Chance, ihre Neuverschuldung unter Kontrolle zu bringen. "Wir haben jetzt einen realistischen Pfad vorgezeichnet", so der EU-Kommissar. Spanien erhält sogar noch ein Jahr mehr Zeit als ursprünglich geplant, nämlich bis 2018, um seine Neuverschuldung auf unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken. In diesem Jahr wird die Neuverschuldung bei 4,6 liegen. Portugal soll bereits in diesem Jahr seine Neuverschuldung auf 2,5 Prozent absenken können, meint die EU-Kommission.

Nachahmen erlaubt?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht sich schon seit längerem für eine "flexible" Auslegung der Regeln im Stabilitätspakt der Währungsunion aus. Der Chef der Währungsunion, der niederländische Finanzminister Geroen Dijsselbloem, hatte eine zu flexible Auslegung hingegen abgelehnt. Die Finanzminister der Europäischen Union haben jetzt das letzte Wort. Sie müssen die Straffreiheit für die Defizitsünder Portugal und Spanien noch förmlich billigen.

Starke Fürsprecher für den lockeren Kurs sind Frankreich und Italien, die gerne mehr Schulden machen würden, um staatliche Investitionsprogramme zu finanzieren. In Italien schöpft man Hoffnung, dass die EU-Kommission nun auch bei der anstehenden Rettung von Pleite-Banken die strikten Regeln "flexibel" auslegen wird. Italiens Premier Matteo Renzi möchte einigen Banken mit Steuergeldern helfen, was in der EU eigentlich inzwischen an sehr strenge Bedingungen geknüpft ist.

Noch nicht entschieden hat die EU-Kommission, wie viele Fördergelder aus Strukturfonds der EU für Spanien und Portugal im kommenden Jahr gestrichen werden. Diese Strafe ist nach den EU-Regeln zwingend vorgeschrieben für Staaten, die zu lange im Defizitverfahren verharren. Allerdings muss hier noch das Europäische Parlament zustimmen. Die Strafe kann umgangen werden, falls Madrid und Lissabon sich von nun an brav an alle Vorschriften aus Brüssel halten.

Lob und Tadel

Der Finanzexperte der konservativen Fraktion im Europäischen Parlament, Markus Ferber (CSU), kritisierte die EU-Kommission als feige. "Der Kommission fehlt der Mut, endlich die überfälligen Sanktionen gegen Spanien und Portugal auszusprechen." Stattdessen würde die Verantwortung für die Kürzung von Strukturmitteln jetzt beim EU-Parlament abgeladen. Die Finanzexperte der linken Fraktion, Fabio de Masi, lobte dagegen die Kommission: "Strafen für vermeintliche Defizitsünder wären ohnehin so absurd, wie Koma-Patienten Blut abzuzapfen." Der Europaabgeordnete, der für ein Ende der Sparpolitik eintritt, sagte in Brüssel, der Stabilitätspakt sei tot und das wisse die EU-Kommission auch.

Die Regeln des Euro-Stabilitätspaktes zur Überwachung von Schulden und Wirtschaftspolitik in den EU-Staaten waren nach der Finanzkrise 2008 einvernehmlich verschärft worden, aber in letzter Konsequenz angewendet wurden sie noch nie.