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Kuranyi: "Ganz Russland schwelgt in Euphorie"

Kevin Kuranyi
Kevin Kuranyi
2. Juli 2018

Ex-Nationalspieler Kevin Kuranyi ist überrascht von der Begeisterung für das Gastgeber-Team. In seiner WM-Kolumne benennt er den neuen Superstar im Weltfußball - und hat auch eine Meinung zu Bundestrainer Joachim Löw.

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Titelbilder für die neue Kolumne von WM-Experte Kevin Kuranyi
Bild: DW

Die Euphorie um die russische Mannschaft ist wirklich riesig geworden. Damit konnte man in dieser Form tatsächlich nicht rechnen. Als das Team Spanien im Elfmeterschießen im Achtelfinale besiegt hatte, war ich gerade kurz vor Moskau im Landeanflug. Der Pilot hat das Ergebnis durchgesagt, und die Leute sind durch das Flugzeug gesprungen und haben den Sieg enthusiastisch gefeiert. Danach musste ich erstmal tief durchatmen, weil es wirklich gewackelt hat und ich gehofft habe, dass wir sicher runterkommen. Die paar Minuten hätte der Pilot ehrlich gesagt noch warten können. Aber das Land hat die WM endgültig für sich entdeckt.

Es ist in Russland genau das passiert, worauf alle gehofft haben. Die "Sbornaja" hat einen riesigen Teamgeist entwickelt und wird von der Euphorie der Fans getragen. Trainer Stanislaw Tschertschessow führt die Spieler mit väterlicher Strenge. Und die Spieler wachsen über sich hinaus. Torhüter Igor Akinfejew zum Beispiel. Der war schon immer ein Riesentalent, aber in der Vergangenheit hat er sich immer mal wieder ein paar haarsträubende Fehler geleistet. Das hat seinen Ruf leider geschädigt. Aber diese Fehler passieren ihm momentan nicht, er zeigt sein wahres Können. Das ist momentan der große Unterschied. Ich halte ihn für einen Top-Torwart.

"Mbappé tritt das Erbe von Messi und Ronaldo an"

Gegen die starken Kroaten wird es deshalb ein ganz enges Viertelfinale geben. Denn spielerisch wird die Mannschaft von Trainer Zlatko Dalic sicher besser sein. Aber die Russen werden mit ihrer gesamten Kampfkraft dagegenhalten. Und die ist wirklich groß mit den vielen Fans im Rücken.

FIFA Fußball-WM 2018 in Russland | Achtelfinale | Frankreich vs. Argentinien | Mbappe
Mbappé (r.) war mit zwei Toren Matchwinner der Franzosen im Achtelfinale gegen ArgentinienBild: Reuters/D. Martinez

Aber neben dem russischen Team hat mich auch ein einzelner Spieler bei dieser WM fasziniert. Kylian Mpappé ist wirklich ein unglaublicher Kicker. Seine Schnelligkeit, sein Torabschluss sind einzigartig. Der Franzose ist eine echte Rakete, und dabei ist er mit seinen 19 Jahren noch total jung. Meiner Meinung nach wird er der nächste Superstar des Weltfußballs und das Erbe von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo antreten.  

"Löw sollte weitermachen - wenn er will"

Von solchen Erwartungen und Hoffnungen sind wir in Deutschland derzeit leider weit entfernt. Das Abschneiden der deutschen Mannschaft war wirklich katastrophal und total enttäuschend. Es hat einfach so gut wie nichts funktioniert. Die Diskussionen um den Bundestrainer bekommt man natürlich auch hier vor Ort in Moskau mit.

Ich finde, dass Joachim Löw dann weitermachen sollte, wenn er es sich selbst noch zutraut. Wenn er der Auffassung ist, er hat noch den Biss und die Kraft für diesen Neuaufbau, sollte man ihm auf jeden Fall die Gelegenheit geben - denn er hat es über so viele Jahre sehr gut gemacht. Sollte er aber Selbstzweifel haben, dann wäre es besser, ein anderer Coach würde übernehmen. 

Uruguay besticht durch Leidenschaft

Auffällig ist bei dieser WM, dass die vermeintlich kleinen Fußball-Länder sich immer weiter entwickeln. Auch die Trainer werden dort immer besser. Die Teams spielen organisiert und sind unglaublich kampfstark. Wenn so ein kleines Land wie Uruguay es mit knapp 3,5 Millionen Einwohnern schafft, solch großartige Spieler wie Luis Suarez oder Edison Cavani hervorzubringen und auch noch solch einen leidenschaftlichen Fußball spielt, dann sagt das viel darüber aus, was man mit Teamgeist und guter Vorbereitung trotz schlechterer Voraussetzungen alles erreichen kann.

Kevin Kuranyi begleitet die WM in Russland als DW-Kolumnist und TV-Experte der ARD. Er besitzt drei Staatsbürgerschaften von aktuellen und bereits ausgeschiedenen WM-Teilnehmern: Deutschland, Panama und die seines Geburtsland Brasilien. Für die DFB-Elf hat er 52 Spiele absolviert, wurde 2008 mit ihr Vize-Europameister. Nach einem Zerwürfnis mit Bundestrainer Joachim Löw, das Kuranyi im DW-Interview als "größten Fehler, den ich in meiner Fußballkarriere gemacht habe", bezeichnete, spielte er fünf Jahre lang in Russland und beendete 2017 seine aktive Laufbahn.

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