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Politik

Kiew denkt über atomare Aufrüstung nach

15. April 2021

Fast klang es wie ein Drohung: Entweder wird die Ukraine NATO-Mitglied, oder Kiew zieht eine atomare Aufrüstung in Betracht. Das sagte der ukrainische Botschafter in Deutschland in einem Interview.

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Ukrainischer Botschafter in Deutschland Andriy Melnik
Der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrej Melnik (Archivbild)Bild: Botschaft der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland

 "Entweder sind wir Teil eines Bündnisses wie der NATO und tragen auch dazu bei, dass dieses Europa stärker wird, (...) oder wir haben eine einzige Option, dann selbst aufzurüsten", sagte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrej Melnik, im Deutschlandfunk. Kiew werde dann "vielleicht auch über einen nuklearen Status" nachdenken. "Wie sonst können wir unsere Verteidigung garantieren?", fragte er.

1994 hatte Kiew den Verzicht auf das auf ukrainischem Territorium lagernde drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt aus sowjetischen Zeiten erklärt. Im Gegenzug verpflichteten sich die USA, Großbritannien und Russland, die Grenzen der Ukraine zu achten.

NATO-Mitgliedschaft gilt als unwahrscheinlich

Angesichts der neuen Spannungen im Konfliktgebiet der Ostukraine und von Truppenaufmärschen auf russischem und ukrainischem Gebiet wächst international die Sorge vor einer Eskalation. Die Ukraine strebt seit Jahren eine Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis NATO an, die aber in den nächsten Jahren als unwahrscheinlich gilt. Kiew sieht sich durch russische Truppen entlang der ukrainischen Grenze bedroht.

Weltspiegel 15.04.2021 | Ukraine Militärübung Panzer
Eine Übung mit Panzern der ukrainischen Armee in der OstukraineBild: General Staff of the Armed Forces of Ukraine/via REUTERS

"Dieser Aufmarsch ist viel mehr als Muskelspiel, Säbelrasseln oder Kriegstrommeln, wie viele glauben hier in Deutschland", sagte Melnik. "Wir brauchen militärische Unterstützung. Wir brauchen also modernste Waffensysteme, um unsere Verteidigung zu stärken." Er sprach von "realen Kriegsvorbereitungen eines neuen militärischen Angriffs auf die Ukraine, die auch in Berlin ernst zu nehmen sind".

Außenminister sieht Existenz gefährdet

Angesichts der russischen Truppenbewegungen nahe ihrer Grenze sieht sich die Ukraine in ihrer Existenz bedroht. Moskau drohe Kiew "offen mit Krieg und mit der Zerstörung des ukrainischen Staats", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba in Kiew bei einem Treffen mit seinen Kollegen aus den baltischen Staaten. Er warf Russland vor, im Konflikt um die Ostukraine "die militärischen Spannungen zu verschärfen und die diplomatischen Bemühungen zu untergraben". Er fügte hinzu: "Die rote Linie für die Ukraine ist unsere Staatsgrenze. Sollte Russland diese rote Linie überschreiten, wird es leiden."

Außenminister Maas besucht Ukraine
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba macht sich Sorgen (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/V. Ogirenko

Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis bekräftigte die westliche Solidarität mit Kiew. "Die Ukraine wird niemals allein dastehen", sagte er am Rande des Treffens mit Kuleba. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und US-Präsident Joe Biden hatten am Mittwoch in einem Telefonat über die Lage im Osten der Ukraine beraten. Sie riefen Russland auf, seine Truppenverstärkungen wieder abzubauen. Nur so könne eine "Deeskalation der Situation" erreicht werden, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.

Putin plant Rede an die Nation

Ukrainischen Medien zufolge geht der Militärgeheimdienst mittlerweile von 102.000 russischen Soldaten entlang der Grenze aus. Diese Truppenkonzentration solle bis zum 20. April auf 110.000 erhöht werden, hieß es bei einer Sitzung im Parlament in Kiew. Am 21. April plant Russlands Präsident Wladimir Putin seine Rede an die Nation.

Moskau nannte keine Zahlen, sprach aber von Manövern dort. Teile der Gebiete Luhansk und Donezk entlang der russischen Grenze stehen seit 2014 unter Kontrolle moskautreuer Kämpfer. UN-Schätzungen zufolge wurden seitdem mehr als 13.000 Menschen getötet. Allein seit Jahresbeginn gab es trotz geltender Waffenruhe mehr als 55 Tote.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beklagte indes mehr Verstöße gegen die geltende Waffenruhe. "Die Zahl der registrierten Verstöße in den vergangenen zwei Wochen hat den höchsten Wert in diesem Jahr erreicht", sagte Heidi Grau, OSZE-Vermittlerin zwischen Kiew und den Separatistenvertretern. Die Zahl sei dreimal höher als in den zwei Wochen davor.

nob/ww/kle (dpa, rtr, afp)