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Kiew hat Lage nicht unter Kontrolle

16. April 2014

Panzerbesatzungen, die überlaufen. Anti-Terror-Aktionen verlaufen im Sande: Die ukrainische Regierung macht nicht den Eindruck, als würde sie der Situation im Osten wieder Herr. Die NATO verstärkt sich an den Ostgrenzen.

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Panzer in Slawjansk (Foto: getty)
Bild: Genya Savilovia/AFP/Getty Images

Der Versuch der ukrainischen Regierung, die pro-russische Erhebung im Osten mit Panzern zu beenden, ist zunächst gescheitert: Pro-russische Milizen und Anwohner stoppten von Kiew geschickte Militärfahrzeuge und kaperten nach Agenturberichten insgesamt sechs Panzer. Die Zentralregierung hatte am Dienstag einen Konvoi mit 20 Panzern und gepanzerten Fahrzeugen in Richtung Slowjansk geschickt, wo seit Samstag zahlreiche öffentliche Gebäude von bewaffneten pro-russischen Aktivisten besetzt sind. Doch die als "Anti-Terrorismus-Einsatz" deklarierte Operation endete in einer bitteren Demütigung durch die Moskau-treuen Kräfte.

Panzer gekapert, neue Flagge

Die Kolonne wurde zunächst von Anwohnern in Kramatorsk 20 Kilometer vor Slowjansk gestoppt. Anschließend kaperten Uniformierte ohne Abzeichen sechs der Panzerfahrzeuge und fuhren damit durch die Innenstadt von Slowjansk - unter russischen Flaggen. Sie gaben sich gegenüber Reportern als "Selbstverteidigungskräfte" aus und sagten, 150 ukrainische Soldaten hätten sich ihnen angeschlossen.

Später gab dann Agenturberichten zufolge auch der Rest der Militärkolonne auf. Die Soldaten begannen damit, ihre Munition abzugeben. Im Gegenzug erhielt der Trupp die Zusicherung, mit den Militärfahrzeugen den Rückweg antreten zu können. Auch in Slowjansk liefen Regierungseinheiten mit gepanzerten Fahrzeugen zu moskautreuen Aktivisten über. Bewohner berichteten der Nachrichtenagentur dpa, dass sich aus Angst kaum noch jemand auf die Straße traue.

Sturm auf das Rathaus

In Donezk stürmten rund 20 pro-russische Bewaffnete das Rathaus. In der Region Luhansk wurden nach Angaben des Kiewer Verteidigungsministeriums zwei ukrainische Soldaten von prorussischen Aktivisten als "Geiseln" genommen. Die Separatisten fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet. Die Ukraine droht nach der Annexion der Krim durch Russland zu zerfallen.

In der Stadt Mariupol konnten ukainische Soldaten dagegen einen Angriff prorussischer Aktivisten auf eine Einrichtung der ukrainischen Nationalgarde zurückschlagen, wie Innenminister Arsen Awakow auf seiner Facebookseite mitteilte. Dabei seien drei Angreifer getötet und 13 verletzt worden. 63 weitere seien festgenommen worden. Etwa 300 Vermummte hätten Brandsätze geworfen und mit scharfer Munition geschossen. Ein Sprecher der Aktivisten in der Großstadt am Asowschen Meer erklärte, bei den Angreifern habe es sich um Ortsfremde gehandelt.

Jazenjuk:Russland erricht "neue Berlner Mauer"

Die NATO sieht Moskau für die Eskalation in der Verantwortung und reagierte mit einer Verstärkung ihrer Verteidigungsmaßnahmen an den Ostgrenzen. "Wir werden mehr Flugzeuge, mehr Schiffe und mehr Einsatzbereitschaft an Land haben", sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nach einem entsprechenden Beschluss der 28 Bündnis-Botschafter in Brüssel. Vor allem Polen und die baltischen Staaten hatten auf einen derartigen Schritt gedrungen. Vor allem im Baltikum gibt es große russischstämmige Bevölkerungsminderheiten. Der militärische Oberkommandeur, US-Generals Philip Breedlove, betonte aber, die Maßnahmen seien keine Bedrohung Russlands, sondern "von Natur aus defensiv". Deutschland hatte schon vor dem Beschluss vom Mittwoch angekündigt, sich mit sechs Eurofightern und der Leitung eines Minenabwehrverbandes in der Ostsee an einer stärkeren NATO-Präsenz im Osten zu beteiligen.

Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk warf Russland vor, in Europa eine "neue Berliner Mauer" zu errichten. Was sich derzeit abspiele, sei eine "Gefahr für Europa und die Europäische Union". Die Russen wollten offenbar eine "Rückkehr zum Kalten Krieg". Das Verteidigungsministerium in Kiew räumte ein, dass sechs gepanzerte Fahrzeuge an pro-russische Separatisten verloren gegangen seien. Die Ukraine hielt der russischen Sberbank vor, die pro-russischen Separatisten im Osten des Landes zu finanzieren. Es seien strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden, erklärte der amtierende Generalstaatsanwalt Oleh Machnizki in einem Fernsehinterview. In Kiew war zuvor die Rede davon, dass zwischen März und April Gelder in Höhe von umgerechnet rund 2,7 Millionen Euro für militante Gruppen transferiert worden sein sollen.

Die Lage in Kramatorsk am 16.04.2014
Auch in Kramatorsk konnten sich die ukrainischen Truppen am Ende nicht durchsetzenBild: Reuters

ml/se (afp, rtr, dpa)