1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kinder aus "Horror-Heim" befreit

Greta Hamann17. Juli 2014

Über 400 Kinder wurden in einem Heim gefangen gehalten, missbraucht und gedemütigt. Sie lebten zwischen Unrat und Ratten. Erst jetzt wurde der Fall bekannt, obwohl es schon lange Hinweise an die mexikanische Polizei gab.

https://p.dw.com/p/1CeaZ
Befreite Kinder des Heims. (Foto: AP Photo/Rebecca Blackwell)
Bild: picture-alliance/AP Photo

"La Gran Familia" - Die große Familie. Ein Name wie er idyllischer nicht klingen kann. Doch das Heim und Internat im Westen Mexikos war alles andere als ein friedlicher Zufluchtsort für arme und hilfesuchende Menschen. Am Dienstag (15.07.2014) befreiten mexikanische Polizei- und Armeeangehörige 597 Menschen aus dem Haus. 438 von ihnen sind noch minderjährig, sechs Babys.

Bewohner und mexikanische Generalstaatsanwaltschaft werfen der Gründerin und Leiterin, Rosa del Carmen Verduzco (79 Jahre), auch bekannt als "Mamá Rosa", zahlreiche Gräueltaten vor: Die Kinder wurden zum Betteln gezwungen, mussten sich von verfaulten Lebensmitteln ernähren und schliefen inmitten von Ungeziefer und Ratten. Eine Bewohnerin erzählt, dass sie mit 18 Jahren das Heim verlassen wollte, man sie aber nicht gehen ließ. Andere berichten von körperlicher und psychischer Gewalt.

"Die Bewohner haben unter unmenschlichen Bedingungen gelebt", sagt auch Tomás Zerón, Chefermittler der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft. Seitdem das Heim geräumt wurde, kommen immer mehr erschreckende Details ans Licht. So berichten Bewohner von sexuellem Missbrauch, Essensentzug als Strafe oder, dass man ihnen ihre Kinder wegnahm, die sie im Heim geboren hatten. Diese wurden dann als Kinder der Heimleiterin registriert. Im Speisesaal und im Keller des Hauses fanden die Polizisten rund 20 Tonnen Müll vor.

Familienangeghörige stehen vor dem Heim. (Foto: REUTERS/Henry Romero)
Viele Angehörige fordern jetzt ihre Kinder zurückBild: Reuters

Die Generalstaatsanwaltschaft veranlasste die Durchsung des Heims, da sie fünf vermisste Kinder in dem Haus vermutete. Diese fanden die Behörden dann auch tatsächlich vor Ort - und die rund 600 anderen Menschen, die dort in Gefangenschaft lebten.

Ex-Präsident unterstützt Heimleiterin

Heimleiterin Verduzco sowie acht weitere Mitarbeiter wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft festgenommen. In den mexikanischen Medien erheben immer mehr Eltern schwere Vorwürfe. Unter anderem werfen sie der Heimleiterin vor, ihre Kinder mit dem Versprechen entführt zu haben, es ginge ihnen in dem Heim besser.

Generalstaatsanwalt und Governeur bei Pressekonferenz. (Foto: dpa)
Der Generalstaatsanwalt mit Governeur Jara bei einer Pressekonferenz zu dem FallBild: picture-alliance/dpa

Die Nachrichtenagentur AFP berichtet, dass Eltern Verduzco als Furcht einflößende Figur mit guten Verbindungen in die Politik beschrieben. Diese Verbindungen hätten sie jahrelang vor Strafverfolgung geschützt. Die Heimleiterin war sowohl beim ehemaligen Präsidenten Vicente Fox, der von 2000 bis 2006 an oberster Stelle in Mexiko regierte, als auch bei Felipe Calderón (2006-2012) zu Besuch gewesen. Die Frau, die bereits mit 13 Jahren entschied, ein Heim für Bedürftige zu eröffnen, erhielt zahlreiche Auszeichnungen für ihre Arbeit.

Besonders pikant ist angesichts der zahlreichen Vorwürfe, die es nun gegen Verduzco gibt, ein Tweet des Ex-Präsidenten Vicente Fox. Bei Twitter sprach er ihr seine volle Unterstützung aus: "Mama Rosa, ich bin solidarisch mit dir. Ich weiß, dass du stark bist, und ich weiß von all dem Guten, das du für tausende Kinder und Jugendliche getan hast. Habe Mut. Ich schicke dir eine feste Umarmung", schrieb er einen Tag nach der Durchsuchung des Heims.

Justiz funktioniert nicht

Der deutsche Politologe Günther Maihold ist erschrocken über das Ausmaß der Grausamkeiten, die jetzt bekannt werden. Er leitet den Humboldt-Lehrstuhl am "Colegio Mexico": "Dieser Fall zeigt jedoch auch von Neuem, wie schlecht die Justiz in Mexiko funktioniert." Bereits Jahre zuvor hatte es von besorgten Eltern Vorwürfe gegen das Heim gegeben, anscheinend ist man diesen jedoch nie nachgegangen. Die Justiz sei verstrickt in den Machtkampf lokaler Eliten, so der Politologe.

Maihold sieht die Verantwortung dafür, dass dem Fall nicht frühzeitig nachgegangen wurde, auch bei den vorangegangenen Regierungen des Bundesstaates Michoacán, in dem das Heim steht. Erst als der aktuelle Governeur, Salvador Jara, sich des Falles angenommen habe, wurde die Generalstaatsanwaltschaft aktiv. Das sei nur möglich gewesen, da Jara selbst keiner der alt eingesessenen mexikanischen Parteien angehöre, so Maihold.

Während immer mehr schreckliche Fotos aus dem "Horror-Heim", wie es einige Medien bezeichnen, veröffentlicht werden, laufen die Ermittlungen rund um "La Gran Familia" weiter. Die Heimleiterin befindet sich derzeit in einem Krankenhaus, berichtet die Tageszeitung Milenio. Sie sei am Rande eines Nervenzusammenbruchs.