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Schluss mit Geheimnissen

23. März 2010

Sie wurden im Zweiten Weltkrieg in Verstecken zur Welt gebracht, mussten ihre Herkunft verleugnen und durften über ihre Väter nicht sprechen: Besatzungskinder galten in Frankreich als "deutsche Bastarde".

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Eine Frau stöbert in alten Fotos (Foto: Ruth Reichstein)
Mijo Panier hat bald zwei PässeBild: DW

Mehr als 200.000 Kinder wurden während der deutschen Besatzung in Frankreich von deutschen Soldaten mit französischen Frauen gezeugt, schätzt der französische Historiker Fabrice Vergili. Nach dem Krieg waren die Mütter dem Hass ihrer Landsleute ausgesetzt. Wegen "horizontaler Kollaboration" schor man fast 20.000 Frauen die Haare und jagte sie durch die Dorfstraßen. Auch die Kinder sind mit dieser Scham aufgewachsen und versteckten sich jahrelang. Vor ein paar Jahren wagten sich die ersten in die Öffentlichkeit - und seit ein paar Monaten können sie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, ohne ihre französische zu verlieren.

Europäerin mit zwei Pässen

Vier Frauen sitzen am Tisch und unterhalten sich (Foto: Ruth Reichstein)
Nicht alle können so offen über ihre Vergangenheit reden wie diese FrauenBild: DW

"Das ist eine späte Anerkennung für mich. Ich bin stolz, bald Europäerin mit zwei Pässen zu sein. Ich werde mal den einen, mal den anderen benutzen", sagt Mijo Panier. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist ein wichtiger Schritt zu ihrer Identität. Panier wurde 1943 geboren, ihr Vater war Wehrmachtssoldat. und nun hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Erst mit 16 erfuhr sie, dass ihr Vater ein Deutscher ist.

Ihr Stiefvater verbietet ihr, über ihren Vater zu sprechen. Trotzdem begibt sich Mijo Panier auf die Suche nach ihrem leiblichen Vater. Fünf Jahre dauert es, bis sie ihn findet, in der Nähe von Frankfurt. Nach ein paar Briefen treffen sich Vater und Tochter zum ersten Mal. "Es war, als hätte ich meine zweite Hälfte wieder gefunden", sagt Mijo Panier. Ihr Vater war damals bereits schwer krank, wenige Monate nach dem Treffen starb er. Aber Mijo Panier hält den Kontakt zu ihrer Familie in Deutschland.

Gemeinsame Suche nach familiären Wurzeln

Ein Haus mit französischer Flagge (Foto: Beatrix Beuthner)
Zwei Pässe für die KriegskinderBild: DW

Mijo Panier geht offen mit ihrer Familiengeschichte um, aber ihre Mutter will nach wie vor nicht über die Vergangenheit sprechen. Sich von dieser Scham zu befreien, ist für viele Kriegskinder der Grund dafür, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Auch Hedwige Roberval hat ihren Antrag an die deutsche Botschaft geschickt. Jahrelang hat sie niemandem erzählt, dass sie das Kind eines deutschen Besatzers ist. "Als ich kurz vor meiner Hochzeit meinem Verlobten von der Identität meines Vaters erzählte, hatte ich große Angst, dass er mich danach nicht mehr heiraten will. Aber zum Glück hat er nur darüber gelacht."

Die Kriegskinder haben sich vor einigen Jahren in einem Verein zusammengeschlossen, L'Amicale Nationale des Enfants de la Guerre. Sie helfen sich gegenseitig bei der Suche nach ihren Wurzeln und machen sich Mut, offen mit ihrer Geschichte umzugehen. Mijo Panier tut das bereits: Auf ihrem Briefkasten steht bereits der Familienname ihres Vaters. Sobald ihr Antrag auf deutsche Staatsbürgerschaft durch ist, will sie auch offiziell den Namen ihres Vaters annehmen.


Autorin: Ruth Reichstein
Redaktion: Beatrix Beuthner/Julia Kuckelkorn