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Kindergärten für Weltkinder

Lydia Heller19. August 2014

Interkulturelle Bildungs- und Beratungsangebote sind Mangelware in deutschen Kindergärten. Nur ein Drittel der Einrichtungen geht auf Kinder und Eltern aus verschiedenen Kulturen richtig ein. Doch es gibt Ausnahmen.

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Eingangsbereich der Kita Wattstraße in Berlin (Foto: DW/Lydia Heller)
Bild: DW/L. Heller

Im schattigen Erdgeschossflur der Kita Wattstraße tritt Ayse Göker (Namen geändert) nervös von einem Bein aufs andere. Immer wieder wirft die große, schlanke Frau im bodenlangen Rock und mit traditionell gebundenem Kopftuch einen vorsichtigen Blick in einen der Gruppenräume. "Eingewöhnung? Trennungszeit vom Kind?", fragt Kita-Leiterin Eva Liebke und berührt die junge Mutter sanft am Arm. "Das ist hart. Aber keine Sorge: Das klappt schon." Ayse Gökers Gesichtszüge entspannen sich sofort. Wenn Eva Liebke das sagt, ist es auch so. Der kleinen Frau mit den lachenden Augen kann man vertrauen. Jede Familie hier im Viertel weiß das. Es war ein langer Weg.

Viele Kinder kommen aus anderen Kulturen

Etwa jedes dritte Kind unter fünf Jahren in Deutschland kommt heute aus einer Einwandererfamilie. Hier, in der Kindertagesstätte in der Wattstraße im Berliner Wedding - einem Bezirk, in dem fast die Hälfte der Bewohner einen Migrationshintergrund hat -, sind 98 Prozent der Kinder nichtdeutscher Herkunft. Eltern oder Großeltern der Kinder stammen vor allem aus der Türkei und aus arabischen Ländern. "Es gab viele Missverständnisse", erzählt Eva Liebke, die die Kita seit gut zehn Jahren leitet. "Einige Eltern waren zum Beispiel überfordert von den vielen Formularen, die zu einer Kita-Anmeldung gehören, oder sie haben die Mitteilungen des Kita-Personals nicht beachtet, weil sie sie nicht verstehen konnten." Umgekehrt fühlten sich Erzieherinnen ignoriert, wenn nur wenige Eltern zum sorgfältig vorbereiteten Elternabend erschienen. Eine Zusammenarbeit zugunsten der Kinder kam kaum zustande.

Interkulturelle Kompetenzen verstärken

Über die unterschiedlichen kulturellen Ansichten Bescheid zu wissen - etwa über die Rolle, die Betreuungseinrichtungen bei der Erziehung von Kindern spielen -, sollte ein ganz wesentlicher Teil in der Aus- und Weiterbildung von Erziehern sein, empfiehlt Mohini Lokhande. Die Bildungsexpertin beim Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat in einer Studie die interkulturelle Ausrichtung deutscher Kitas erforscht. Das Ergebnis: Nur knapp ein Drittel der Kitas erfüllt die Bedingungen für die Arbeit mit verschiedenen Kulturen. Neben ungenügenden interkulturellen Kompetenzen des Personals fehle es häufig auch an einfachen Möglichkeiten für Eltern, sich in Abläufe und Bildungsprogramm ihrer Kita einzubringen. In der Kita Wattstraße ist das anders.

Innenraum der Kita Wattstraße in Berlin (Foto: DW/Lydia Heller)
Mit den Erzieherinnen können die Mütter über alles redenBild: DW/L. Heller

Im ersten Stock des bunt gestrichenen Gebäudes verabschiedet Birgül Dogan (Name geändert) ihre kleine Tochter Asli. Bevor sie geht, wechselt sie ein paar Worte mit Erzieherin Barbara Berger. "Wir können mit den Erziehern unserer Kinder immer über alles reden", sagt die junge Frau in Skinny-Jeans und ärmellosem Top, die selbst im Wedding aufgewachsen ist. "Umgekehrt holen sie uns zur Hilfe, wenn es Probleme zum Beispiel bei anderen Eltern gibt." Erst gestern, erzählt sie, habe es Schwierigkeiten gegeben, weil sich ein Junge in der neuen Gruppe nicht wohlfühlte, in die er gewechselt war. "Da kam Frau Liebke zu mir und fragte, ob ich zwischen Mutter und Erzieherin übersetzen und vermitteln könne. Sowas passiert häufig, und wir machen es gern."

Elternarbeit für das Kindeswohl

Eltern dürfen auch immer einen Dolmetscher ihres Vertrauens mitbringen - egal ob für Informationsgespräche, Anmeldeformalitäten oder bei privaten Angelegenheiten. Es kommt vor, dass Feste verschoben werden, weil sie mit dem Ramadan kollidieren. Das Zuckerfest wird ebenso gefeiert wie Weihnachten, und die Erzieher wissen, dass ein Kopftuch nicht automatisch Unselbständigkeit bedeutet. "Die Türken" und "die Araber" gibt es genau so wenig wie "die Deutschen". Erst der sensible Blick für jede einzelne Familie habe Vertrauen geschaffen, sagt Eva Liebke. "Auf dieser Basis haben die Eltern es auch nicht mehr als Bevormundung empfunden, wenn wir zum Beispiel einer Mutter zu einem Deutschkurs geraten haben. Einige haben wir sogar ermuntern können, eine Ausbildung zu beginnen."

Eva Liebke, Leiterin der Berliner Kita Wattstraße (rechts) im Gespräch mit einer Mutter (Foto: DW/Lydia Heller)
Leiterin Eva Liebke (rechts) im Gespräch mit einer MutterBild: DW/L. Heller

Am Ende sind es dann wiederum die Kinder, so Mohini Lokhande, die davon profitieren, wenn Eltern und Betreuer eng kooperieren. Das belegen Studien über die Early-Excellence-Zentren in Großbritannien, in denen bereits seit Ende der 1990er Jahre frühkindliche Förderung mit Elternbildung verknüpft wird. "Die Eltern konnten ihre Kinder besser beim Lernen unterstützen. Dies wiederum hatte einen deutlichen Effekt auf die Entwicklung der sozialen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder." Zwar haben sich auch 14 deutsche Bundesländer mittlerweile gemeinsam auf einen Lehrplan für die Erzieherausbildung verständigt, der die Kita-Eltern-Kooperation als zentrales Modul enthält. Im Kita-Alltag jedoch mangelt es den Erzieherinnen häufig noch immer an Zeit, um sich neben der Betreuung der Kinder auch um besondere Bedürfnisse der Eltern zu kümmern.

Bildungseinrichtungen und Beratungsstellen können helfen

Für eine erfolgreiche interkulturelle Elternbildung zugunsten ihrer Kinder sei deshalb auch eine Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen, Beratungsstellen oder anderen lokalen Initiativen nötig, so die Bildungsforscherin. Diese Einrichtungen könnten die Kitas dabei unterstützen, Vertrauen zu den Eltern aufzubauen - oder könnten Beratung und Kurse für die Eltern anbieten. Ohne das Familienzentrum direkt gegenüber etwa wäre auch in der Kita Wattstraße vieles schwieriger.

Jekaterina Lauer (links) und Emilia Kieselmann, Mitarbeiterinnen der Berliner Kita Wattstraße (Foto: DW/Lydia Heller)
Jekaterina Lauer (links) und Emilia Kieselmann suchen Bücher für das Bilderbuchkino ausBild: DW/L. Heller

"Wir haben jeden Tag geöffnet", sagen Jekaterina Lauer und Emilia Kieselmann, die hier seit einem Jahr den Kreativkurs betreuen. "Wir basteln mit den Kindern, wir stricken, und wir reden natürlich viel miteinander. Viele Eltern kommen einfach auf einen Kaffee vorbei." Hier gibt es auch eine Hebammensprechstunde, Deutschkurse, sportliche Aktivitäten oder eine Vätergruppe. Und es gibt das Bilderbuchkino, zu dem regelmäßig Eltern und Kinder zusammenkommen und Geschichten lesen. Auf Deutsch, Türkisch, Arabisch und Russisch. Das kommt vor allen Dingen bei den Kindern sehr gut an: "Auf einmal wollten einige Kinder, dass die Eltern ihnen auch vor dem Einschlafen Geschichten vorlesen", sagt Eva Liebke. "Und sie wünschten sich Bücher."