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Kino und Lesen - Paul Maar im Gespräch

20. März 2011

Was kann die Literatur, was das Kino nicht kann? Und was kann man beim Filmesehen erleben, was man wiederum beim Lesen vermisst? Der erfolgreiche Kinderbuchautor im Gespräch mit der Deutschen Welle.

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Schriftsteller Paul Maar (Foto: Martin Timphus)
Bild: Martin Timphus

Deutsche Welle: Können Sie sich eigentlich noch an Ihr Urerlebnis im Kino erinnern?

Paul Maar: Ja, ich erinnere mich genau an meinen ersten Film, den ich im Kino sah. Das war ein amerikanischer Western und der hieß "Mein großer Freund Shane" (US-Western aus dem Jahre 1953). Im Nachhinein finde ich es frappierend, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit, also nach dem Faschismus, ein Film gezeigt wurde, wo der Held blond und blauäugig und groß war, Alan Ladd, und der Bösewicht, der Gegenspieler, schwarzhaarig. Es war Jack Palance mit hohen Wangenknochen. Der hatte etwas leicht Mongolisches. Im Nachhinein dachte ich, der Film hätte auch während des Dritten Reiches in Deutschland entstehen können. Aber als Kind hat er mich fasziniert.

Schon als Jugendlicher kinobegeistert

Buchcover von Paul Maars Eine Woche voller Samstage (Foto: Verlag Friedrich Oetinger)
Erschien erstmals 1972Bild: Oetinger

Wie ging es dann weiter mit Ihrer Beziehung zum Kino?

Ich war als Jugendlicher, auch als junger Mann, als Student, sehr kinobegeistert. Ich bin mindestens einmal in der Woche während meiner Zeit als Kunststudent ins Kino gegangen. Ich habe dann, als ich Kunsterzieher an einem Gymnasium war, selbst mit den Schülern kleine Filme gedreht. Dann hörte diese aktive Arbeit mit Film für lange Jahre auf, weil mich das Schreiben so im Griff hatte. Bis dann der Filmproduzent Ulrich Limmer kam, der mich davon überzeugte, dass ich vielleicht doch mal wieder Filme machten sollte. Und dann entstand unser erster Film "Das Sams" (2001). Ich habe gemerkt, welchen großen Spaß es macht Drehbücher zu schreiben, zusammenzuarbeiten mit Schauspielern, mit einem Regisseur. Darum bin ich dabei geblieben.

"Ich war ein Filmverhinderer"

Es gibt ja die alte Diskussion, dass ein Film auch die Phantasie behindert, gerade wenn man vorher das Buch gelesen hat und sich erst danach den Film anguckt. Es gibt aber auch das umgekehrte Phänomen.

Ich hatte lange Zeit Bedenken, meine Bücher verfilmen zu lassen. Ich war ein "Filmverhinderer". Der Verlag von "Das Sams" hätte die Rechte ja auch schon vorher weggeben können. Es gab viele Produzenten, die das Sams-Buch verfilmen wollten. Ich hatte Angst, dass es die Phantasie der Kinder stört oder zerstört. Inzwischen - nachdem ich selbst das Drehbuch geschrieben habe -, bin ich nicht mehr der Meinung. Ich habe auch die Reaktion der Kinder gespürt. Ich habe gelernt, dass Buch und Film eigentlich keine Gegensätze und keine Feinde sind.

Ausschnitt aus dem Buch Eine Eine Woche voller Samstage von Paul Maar (Foto: Verlag Friedrich Oetinger)
Bild: Oetinger

Als in Erfurt "Das Sams" im Kino gezeigt wurde - die Sams-Bücher waren ja in der ehemaligen DDR nicht bekannt und wurden nicht verlegt -, kamen nach einer Lesung ganz viele Kinder mit Sams-Büchern zu mir. Einer hatte einen ganzen Stapel von Büchern. Deswegen habe ich ihn gefragt, wieso er so viele Bücher hat. Er antwortete, er hätte zuerst den Film gesehen. Ich darauf: Ja und? Der Film genügt Dir nicht? Und da sagte der Junge: Nein, ein Film dauert zwei Stunden und dann ist er vorbei. Wenn er aber das Buch habe, könne er jeden Abend seine Lieblingsszene aus dem Film beziehungsweise aus dem Buch nachlesen. - Also, das Buch hat eine ganz andere Qualität … noch!

Über die Vorteile von Film und Literatur

Was kann Ihrer Meinung nach die Literatur, was der Film nicht kann? Was kann das Kino, was die Literatur nicht kann?

Das ist eine schwierige Frage. Also, was kann Literatur? Man liest natürlich häufig - das ist schon ein Allgemeinplatz -, dass die Literatur die Phantasie weckt. Das ist so, das will ich deswegen gar nicht in den Vordergrund stellen. Aber was Literatur und Bücher vor allen Dingen auch bewirken, sie fördern die emotionale Intelligenz. Ein Kind, das liest, fühlt sich ein in die Hauptperson, empfindet mit ihr. Es erlebt, wie andere Freude und Trauer und Wut empfinden. Es hat dann sehr viel mehr Kompetenz im täglichen Leben zu erkennen - schon am Gesichtsausdruck des anderen -, in welchem Gemütszustand der Andere ist. Das ist der Vorteil des Lesens.

Christine Urspruch im Film "Das Sams" (Foto: dpa)
Christine Urspruch im Film "Das Sams"Bild: picture alliance/dpa

Allein beim Lesen - Zusammen im Kino

Kino oder Filme sind dagegen ganz starke Gemeinschaftserlebnisse. Während das Lesen sehr individuell ist. Man ist weg von seiner Umgebung. Ist abgesunken in eine Phantasiewelt. Sitzt irgendwo im Sessel und liest und ist für andere nicht ansprechbar. Das Kino ist ein ganz starkes Gemeinschaftserlebnis. Man kommt gemeinsam ins Kino. Es wird dunkel. Wenn andere lachen, lacht man sehr viel bereitwilliger mit und lässt sich anstecken. Wenn eine traurige Szene kommt, dann hat man überhaupt keine Angst seine Trauer zu zeigen, weil es ist dunkel ist und man feststellt, dass die anderen genauso reagieren. Das ist der Vorteil von Film.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Redaktion: Gudrun Stegen