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Kirche und Staat gemeinsam gegen Armut

Mirjam Gehrke2. November 2012

In der Entwicklungspolitik arbeitet der deutsche Staat seit 50 Jahren eng mit der katholischen und der evangelischen Kirche zusammen. Es ist eine Erfolgsgeschichte, die nicht zuletzt auf gegenseitigem Vertrauen beruht.

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Sammelbox von Brot für die Welt auf einem Stuhl in einer Kirche (Foto: picture alliance/chromorange)
Brot für die WeltBild: picture alliance/chromorange

Wo die staatliche Entwicklungszusammenarbeit an politische Grenzen stößt, da können die Kirchen in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern direkt vor Ort Hilfe für die Ärmsten leisten. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) bringt es in einem Interview mit der katholischen Nachrichtenagentur (KNA) so auf den Punkt: "Als Birma mit Sanktionen belegt war, konnten wir dort nicht tätig werden. Die Kirchen waren hingegen stets aktiv. Wir kämen auch nicht auf die Idee, mit Nordkorea zu kooperieren. Die Kirche unterhält aber Hilfsprojekte."

1962, im Gründungsjahr des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, wurde die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit den Kirchen offiziell beschlossen. Für die Abwicklung der Projektarbeit wurden die Evangelische und die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE und KZE) gegründet. "Die Kirchen wählen selber aus, in welchen Ländern sie arbeiten, mit welchen Partnern und welchen Projekten", so Claudia Warning, Vorstandsmitglied des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) gegenüber der DW. "Der Staat hat erkannt, wenn er uns Mittel für Armutsbekämpfung zur Verfügung stellt, können wir damit sinnvoll arbeiten, insbesondere dann, wenn wir mit unseren Partnern, den Kirchen und kirchlichen Entwicklungsorganisationen, zusammenarbeiten."

Kinder in Nordkorea beim gemeinsamen Mittagessen in einer sozialen Einrichtung (Foto: dpa)
Die Kirchen können helfen, wo der Staat nicht hin kommt, zum Beispiel in NordkoreaBild: picture-alliance/dpa

Keine politischen Auflagen

Das Bundesentwicklungsministerium unterstützt die Entwicklungsarbeit der Kirchen in diesem Jahr mit 216 Millionen Euro. "Mit der Vergabe der finanziellen Mittel sind keine politischen Auflagen verbunden", heißt es in den Förderrichtlinien des Ministeriums. Einzige Bedingung ist, dass die Gelder nicht zu Missionierungszwecken eingesetzt werden. Die Katholische und die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe legen über die Verwendung der Mittel Rechenschaft ab. Sie verteilen die Gelder etwa an Brot für die Welt, Misereor, Caritas International oder Renovabis.

In den vergangenen 50 Jahren haben die Kirchen mit insgesamt 6,2 Milliarden Euro an staatlichen Zuschüssen knapp 20 000 Projekte gefördert. "Wir führen selbst keine Projekte durch", so Martin Bröckelmann-Simon von Misereor. "Die Verantwortung liegt in den Händen unser 2500 Partner vor Ort." Diese kümmern sich etwa um Straßenkinder in Kirgistan oder minderjährige Gefangene auf den  Philippinen, sie unterstützen Minenarbeiter in Peru oder Slumbewohner in Kenia. Ein weiterer Vorteil dieser Form der Hilfe: Die Verwaltungskosten bleiben gering.

Staaten in die Pflicht nehmen

Am Anfang der kirchlichen Entwicklungsarbeit standen Projekte im Bereich der sozialen Grundsicherung wie zum Bespiel der Aufbau eines kirchlichen Gesundheitswesens sowie von allgemeinbildenden Schulen und Handwerkerschulen, sagt Martin Bröckelmann-Simon. Doch im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Schwerpunkte verlagert. Es geht heute mehr darum, dass die "jeweiligen Staaten ihre Rechte und Pflichten wahrnehmen, dass sie selber dafür sorgen, dass soziale Grunddienste gewährleistet werden. Es ist ja nicht die Aufgabe der Kirchen, in Afrika, Asien und Lateinamerika ein eigenes Gesundheitssystem oder ein eigenes Bildungssystem aufzubauen."

Logo des Hilfswerks Misereor (Quelle: Wikipedia)
Misereor unterstützt lokale Partner in vielen Ländern

Adressaten der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit sind längst nicht mehr allein die Länder des Südens. Die Globalisierung erfordert neue Lösungsansätze. Der Grundsatz, dass es besser ist, den Menschen das Fischen beizubringen, als ihnen Fische zu schenken, greife heute zu kurz, so Bröckelmann-Simon. "Es geht auch um die Frage, ob jemand, wenn er fischen kann, auch Zugang zum Wasser bekommt, wie es aussieht mit der Vermarktung des Fisches und ob nicht vor der Küste Trawler anderer Nationen einem die Beute vor der Nase wegschnappen." Entwicklungsarbeit sei  immer auch und vor allem politische Arbeit an Systemen und Strukturen.

Blick in die Zukunft

Die Zusammenarbeit von Staat und Kirche in der Entwicklungspolitik hat sich bewährt, die Entwicklungszusammenarbeit an sich wird aber in Zukunft deshalb nicht einfacher. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat in einigen Geberländern bereits dazu geführt, dass Gelder gekürzt wurden. "Wir haben manchmal den Eindruck, dass viele Menschen angesichts der Wirtschaftskrise vergessen, dass drei Milliarden Menschen nicht genügend Kalorien am Tag zu sich nehmen können, um vernünftig zu leben", beklagt Claudia Warning vom EED.

Der Kampf gegen die Armut könne nur dann Erfolg haben, wenn die Industriegesellschaften des Nordens ihren Lebens- und Konsumstil kritisch hinterfragen. Jüngstes Beispiel, so Claudia Warning, sei die Debatte um Biosprit und die steigenden Lebensmittelpreise.