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Kirchenskandal in Polen: Die Last der Vergangenheit

11. Januar 2007

Wegen seiner Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst während der kommunistischen Ära ist der designierte Erzbischof von Warschau, Stanislaw Wielgus zurückgetreten. Er tat das Richtige, meint Miodrag Soric.

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Dieser Fall stürzt die katholische Kirche in Polen, dem früheren Bollwerk gegen die totalitäre kommunistische Diktatur, in eine tiefe Krise: Einer ihrer höchsten Würdenträger, der an diesem Sonntag (7.1.) beinahe zum Primas geweiht worden wäre, hat offensichtlich mit dem früheren kommunistischen Geheimdienst kollaboriert.

Rückzieher verdient Respekt

Unmittelbar vor der Amtseinführung machte Erzbischof Stanislaw Wielgus einen Rückzieher, verzichtete nach wochenlangem öffentlichen Druck und immer neuen Enthüllungen auf die Ernennung zum polnischen Primas. Das verdient Respekt. Ein Primas Stanislaw Wielgus hätte der Glaubwürdigkeit der römischen Kirche geschadet, wäre zu einer ernsthaften Belastung geworden.

Er wäre verglichen worden mit dem früheren Primas Stefan Wyszynski, den die Kommunisten jahrlang interniert haben; Wielgus wäre gemessen worden an dem polnischen Papst Johannes Paul II., der stets couragiert gegenüber der totalitären Diktatur aufgetreten ist. Vor diesem Hintergrund traf Wielgus die richtige Entscheidung - auch wenn sie sehr spät kam.

Osteuropas Kirchen waren Opfer

Die bisherigen Veröffentlichungen belegen: Wielgus war nie ein Geheimdienstmann in der Kirche, sondern - umgekehrt - ein Kirchenmann, der zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst gezwungen wurde. Niemand missbrauche diesen Fall, um historische Tatsachen umzudeuten: Die Kirchen in Osteuropa im Kalten Krieg waren Opfer, nicht Täter. Das gilt für katholische, evangelische und orthodoxe Kirchen gleichermaßen.

Allein in der stalinistischen Sowjetunion wurden mehrere hunderttausend Gemeinde-Priester, Bischöfe, Mönche, Nonnen und einfache Kirchengänger allein wegen ihres Glaubens ermordet, interniert, gefoltert. Die so genannten ausführenden Organe bei der größten Kirchenverfolgung in der Geschichte der Menschheit waren meist Mitarbeiter des KGB. Dass bis 1991 in den ehemaligen Ostblockstaaten einzelne Kirchenvertreter dem Druck durch den Geheimdienst nachgegeben haben, ist nur allzu verständlich. Die wenigsten Menschen sind zum Heldentum geboren.

Kirchen sollten Vorbild sein

Inzwischen gehört der Kommunismus der Vergangenheit an. Die Kirchen aber blicken in die Zukunft, haben eine Zukunft. Sie erfüllen wichtige moralische Aufgaben beim Aufbau einer demokratischen Zivilgesellschaft. Sie könnten und sollten ein moralischer Kompass sein für all diejenigen, die mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus geistige Orientierung suchen.

Dieser Herausforderung werden die Kirchen nur gerecht, wenn sie an sich selbst hohe moralische Maßstäbe anlegen. Im Klartext: Wer - wie Erzbischof Wielgus - offensichtlich mit dem Geheimdienst zusammen arbeitete, darf keine herausragende Stellung in der Kirchenhierarchie bekleiden.

Für die neuen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien bedeutet das: Wenn in absehbarer Zeit die Bischöfe zusammen kommen, um den jeweiligen Patriarchen zu wählen, sollte jemand zum Zuge kommen, der nicht vorbelastet ist. Gleiches gilt für andere Länder Ost- und Südost-Europas, etwa für Serbien.

In Russland werden inzwischen immer mehr Führungspositionen in Staat und Gesellschaft mit ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern besetzt. Statt sich ihrer dunklen Vergangenheit zu schämen, trumpfen sie auf, suchen vor laufenden Fernsehkameras sogar die Nähe zur Kirche. Doch schon Jesus Christus warnte vor den Wölfen im Schafspelz. Die Moskauer Bischöfe sollten das Wort dieses guten Hirten nicht vergessen.

Miodrag Soric
DW-RADIO/Osteuropa, 7.1.2007, Fokus Ost-Südost