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Film

Neu auf DVD: Französische Filmklassiker

Jochen Kürten
29. November 2010

Unsere Nachbarn dürfen sich mit Fug und Recht "Grande Nation" nennen - zumindest was das Kino betrifft. Besonders fruchtbar und spannungsreich waren die 1960er und 70er Jahre. Auch abseits der "Nouvelle Vague".

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Catherine Deneuve in einer Szene des Films Die Regenschirme von Cherbourg (Foto: Kinowelt)
"Die Regenschirme von Cherbourg"Bild: Kinowelt/Arthaus

Ende der 1950er Jahre zog die inzwischen legendäre filmische Erneuerungsbewegung, die "Nouvelle Vague", gegen den routinierten Kommerz im französischen Kino zu Felde. Regisseure wie François Truffaut und Jean-Luc Godard standen an der Spitze dieser Kinorevolution. In den folgenden Jahren schufen sie gemeinsam mit Mitstreitern wie Claude Chabrol und Eric Rohmer wegweisende Filme und erneuerte das Kino Frankreichs. Doch es gab auch ein paar herausragende Filmemacher abseits der "Nouvelle Vague": Melville, Demy und Tavernier.

Jean-Pierre Melville war einer der wenigen Regisseure, die von den Jungspunden um Truffaut und Godard akzeptiert wurden. Und der in der Bretagne geborene Jacques Demy fand nicht wie seine Kollegen über den Umweg der Filmkritik zum Regieführen. Er drehte seine Filme oft in Nordfrankreich und probierte bis zu seinem frühen Tod immer wieder etwas Neues auf der Leinwand aus - nicht selten ging er dabei ein großes Risiko ein. Bertrand Tavernier schließlich gehörte zur ersten Generation nach den Nouvelle Vague-Stürmern und legte sein Spielfilmdebüt im Jahre 1974 vor.

Jean-Pierre Melville: "Der Teufel mit der weißen Weste" (1962)

Zu der Zeit als Chabrol, Godard und Truffaut mit ihren Filmen gerade ihren Durchbruch feierten, lieferte Melville seine heute als Klassiker des Kriminalfilms geltende Verbrecherstudie ab. Jean-Paul Belmondo spielt hier einen auf den ersten Blick zwielichtigen Gangster, der zwischen Ober- und Unterwelt agiert. Verrat und Freundschaft, Vertrauen und Ehre sind die Hauptmotive. Melville baute das Handlungsgerüst dermaßen komplex auf, dass auch beim Wiedersehen der Überblick schwer fällt: "´Le Doulos´ (so der Originaltitel) ist eine Antitragödie und auf dem Prinzip der Lüge aufgebaut, die jede Äußerung und jedes Bild sogleich wieder relativiert." (Hans Gerhold). Der Film fasziniert durch grandiose Darstellerleistungen, eine düster-melancholischen Atmosphäre, die so wohl nur die Franzosen im Kino hinkriegen, und eine wunderbare Schwarz/Weiß-Fotografie.

Jean Paul Belmondo und Jean Desailly in einer Szene aus Der Teufel mit der weißen Weste (Foto: Kinowelt)
Partner oder Gegenspieler der Polizei? Belmondo und Jean Desailly im Zwiegespräch.Bild: Kinowelt/Arthaus

Vier im Roten Kreis (1970)

Melvilles vorletzte Arbeit gehört zu den perfekten Gangsterepen der Filmgeschichte. Alain Delon und Gian Maria Volontè als cooles Gangsterpaar sind unübertroffen. Zu ihnen gesellt sich noch Yves Montand in der Rolle eines traurigen, alkoholabhängigen Ex-Killers. Auch die Gegenspieler (Bourvil) agieren auf höchstem Niveau. Wie Melville die einzelnen Handlungsstränge miteinander verschränkt, wie er Szenen und Spannung aufbaut, das kann man nur als meisterlich bezeichnen. Hollywoods aktuelle und ärmliche Versuche das Gangstergenre wiederzubeleben und dabei häufig französisches Gangsterkino zitieren, verblassen dagegen deutlich.

Drei Männer Mäbber in Duellsituation im Film Vier im Roten Kreis (Foto: Kinowelt)
Endstation Wald: Alain Delon entledigt sich seiner Gegenspieler.Bild: Kinowelt/Arthaus

Jacques Demy: Die Regenschirme von Cherbourg (1963/64)

Das Kontrastprogramm zu Melvilles kühlen Gangsterdramen. Die Filme Demys sind tieftraurige bunte Popmärchen - ein singuläres Phänomen innerhalb des französischen Kinos. In den "Regenschirmen" wurde gesungen statt gesprochen, ohne dass Demy ein Musical nach amerikanischem Vorbild vorgelegt hat. Erzählt wird die herzzerreißend-bittersüße Geschichte der jungen Geneviève (Catherine Deneuve), die ihre große Liebe verliert, weil ihr Ausgewählter in den Algerienkrieg zieht. Beide finden schließlich andere Partner und begegnen sich erst nach Jahren wieder - haben sich dann aber nichts mehr zu sagen. Wer sich auf Demys gesungene Zauberwelt einlässt, der wird mit einer der schönsten Kinoerfahrungen der 60er Jahre beglückt. Zudem bietet die deutsche DVD-Premiere der "Regenschirme" eine wunderbar restaurierte Fassung des Films mit strahlenden Farben.

Catherine Deneuve und Anne Vernon in Die Regenschirme von Cherbourg (Foto: Kinowelt)
Die Mutter sucht den richtigen Mann aus für Catherine Deneuve.Bild: Kinowelt/Arthaus

Bertrand Tavernier: "Der Uhrmacher von St. Paul" (1974)

Das Debüt Taverniers, der wie seine Vorbilder von der "Nouvelle Vague" zunächst über das Kino schrieb, bevor er sich selbst auf den Regiestuhl setzte, ist eine berührende Studie über einen Vater, dessen Sohn des Mordes beschuldigt wird. Philippe Noiret spielt ungeheuer intensiv einen stillen Uhrmacher aus Lyon, dessen Leben aus den Fugen gerät. Ein leiser, sensibler Kriminalfilm nach einem Roman von George Simenon. Unter der Oberfläche zog Tavernier aber auch ein paar Widerhaken in seine Filmerzählung - hier ist es vor allem Jean Rochefort in der Rolle eines leicht verrückten Kommissars.

Philippe Noiret in dem Film Der Uhrmacher von St. Paul (Foto: Kinowelt)
Ein stiller Arbeiter und leidender Vater: Philippe Noiret.Bild: Kinowelt/Arthaus

Die Filme sind beim Anbieter "Kinowelt/Arthaus" erschienen. Zu den Extras gehören zahlreiche Interviews und Fotogalerien. Besonders zu erwähnen ist die Dokumentation "Die Welt ist ein Chanson – Das Universum des Jacques Demy", in der Demys Lebensgefährtin, die Regisseurin Agnes Varda, zu einem Spaziergang durch das Werk ihres Mannes einlädt.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Marlis Schaum