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Politik

Kleine Hände, große Waffen

12. Februar 2017

Jedes Jahr erinnert am 12. Februar der "Tag der Kindersoldaten" an die vielen jungen Menschen, die weltweit an bewaffneten Konflikten teilnehmen. Die meisten von ihnen kämpfen in schwachen, zerrissenen Staaten.

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Südsudan Kindersoldaten
Bild: picture alliance/AA/UNICEF/S. Rich

Eines der wichtigsten Erziehungsziele war die Abstumpfung gegen äußerste Gewalt. Also mussten die Kinder sich vor einen Bildschirm setzen und Videos von Enthauptungen und anderen Hinrichtungsarten anschauen, und das wieder und wieder, mehrere Wochen lang. Erst wenn sie sich an diese Brutalität gewöhnt hatten, hatten die Kinder in den Augen ihrer Lehrer ihr Lernziel erreicht. So berichteten es der DW im vergangenen Jahr zwei junge Jesiden von 11 und 13 Jahren, die im Irak von der Dschihad-Organisation Islamischer Staat (IS) entführt worden waren und neun Monate in dessen Trainingslagern verbrachten.

Noch heute, berichtet einer der beiden Brüder Adel und Asse, Monate nach ihrer Flucht aus dem Camp, raubten ihm die Bilder oft den Schlaf. Für die IS-Kämpfer sei es normal gewesen, Menschen zu töten. Das hätten sie auch den entführten Jungen beibringen wollen. "Sie haben uns gesagt: Ihr müsst das lernen, weil wir euch in ein anderes arabisches Land bringen werden, wo ihr Köpfe abschneiden müsst."

Ex-Kinder-Soldaten Adel und Asse
Brüder Adel und Asse: Vom IS zwangsrekurtiertBild: DW/J. Andert

Doch auch Hinrichtungen waren nur ein Mittel, die entführten Kinder weiter zu brutalisieren. Das eigentliche Ziel war, sie in den Kampf zu schicken - vorzugsweise mit einem Sprengstoffgürtel um die Hüften. Auch darauf sollte die kontinuierliche Brutalisierung vorbereiten. Letzte Hemmungen oder Ängste versuchten die IS-Terroristen den Kindern zu nehmen, indem sie ihnen Drogen einflößten.

Eine Viertelmillion Kindersoldaten weltweit

Das Schicksal der beiden jungen Jesiden ist nur einer von zahllosen Fällen, in denen Kinder als Soldaten missbraucht werden. Bis zu 250.000 Jungen und Mädchen, schätzt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF, erleiden weltweit dieses Schicksal.

Als Kindersoldaten gelten gemäß der maßgeblichen, 2007 formulierten und von 105 Staaten - auch Deutschland - unterzeichneten Pariser Prinzipien "alle Personen unter 18 Jahren, die von Streitkräften oder bewaffneten Gruppen rekrutiert oder benutzt werden (…), darunter Kinder, die als Kämpfer, Köche, Träger, Nachrichtenübermittler, Spione oder zu sexuellen Zwecken benutzt wurden."

Die Vereinten Nationen veröffentlichen alljährlich eine sogenannte "Liste der Schande", in der die jeweils jüngsten Zahlen zu Kindersoldaten dokumentiert sind. Darauf befinden sich derzeit 59 bewaffnete Gruppen und Armeen aus 14 Ländern.

Kämpfen, um essen zu können

Am stärksten verbreitet ist das Phänomen der Kindersoldaten in Afrika. Dort werden sie vor allem in von Bürgerkriegen oder starken inneren Konflikten zerrissenen Ländern eingesetzt. In Nigeria werden sie etwa von der dschihadistischen Terrorgruppe Boko Haram zwangsrekrutiert, in Somalia von der Al-Shabab-Miliz und in Mali von den islamistischen Rebellen. Im Südsudan kämpfen sie auf beiden Seiten der miteinander rivalisierenden Gruppen: auf der des amtierenden Präsidenten Salva Kiir Mayardit ebenso wie auf der seines ehemaligen Stellvertreters Riek Machar.

Jemen Sanaa Huthi Kämpfer
Junger Kämpfer in den Reihen der Huthis in Jemen: "Albträume, Entfremdung, Wutausbrüche"Bild: Reuters/M. al-Sayagh

UNICEF hat mit mehreren der in den beiden Gruppen kämpfenden Kinder Interviews geführt. Nicht alle von ihnen sind zum Kampf gezwungen worden. "Unsere Feinde haben meine Schwester und meinen Onkel getötet", zitiert UNICEF einen Dreizehnjährigen. "Deshalb habe ich mich der Miliz angeschlossen." Andere waren schlicht froh, etwas zu essen zu bekommen.

Im Dienst der Revolutionäre

Auch außerhalb Afrikas finden sich Kindersoldaten überwiegend in Staaten mit starken inneren Spannungen oder Konflikten. In Afghanistan und Pakistan werden sie von den Taliban rekrutiert, im Jemen kämpfen sie in allen am Bürgerkrieg beteiligten Parteien: den Huthi-Rebellen, den Truppen des vertriebenen Präsidenten Mansur Hadi sowie dschihadistischen Gruppen wie Al-Kaida und dem IS.

Doch auch linksextremistische Gruppen scheuen vor dem Einsatz von Kindern in Kampfgebieten nicht zurück. Auf den Philippinen etwa zählt die kommunistische Rebellenorganisation "New Peoples' Army" (NPA) auch Kinder in ihren Reihen. In Kolumbien griffen bis zum Waffenstillstand vom Juni 2016 auch die "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) auf den Dienst von Kindern an der Waffe zurück.

Junge auf einem Panzer in der Ostkraine (2015)
Junge auf einem Panzer in der Ostkraine (2015): An ein Leben unter Waffen gewöhntBild: Getty Images/AFP/A. Filippov

In der Ukraine nehmen Kinder an den Kämpfen zwar nicht teil. Durch die andauernde Gewalt haben sie sich jedoch an ein Leben unter Waffen gewöhnt.

Physische und psychische Folgen

Die langfristigen Folgen für das psychische und körperliche Wohl der Kinder wiegen schwer. Vor allem in der ersten Zeit nach der Entlassung aus den jeweiligen Kampfverbänden seien sie aggressiv und gewalttätig, heißt es in einer Studie von Amnesty International. "Sie leiden an Albträumen, Entfremdung, Wutausbrüchen und an der Unfähigkeit zu sozialem Verhalten."

Oft kennen sie ihre Familien auch nicht, da sie von diesen in sehr jungem Alter getrennt wurden. In extremen Fällen haben sie gegen jene Gemeinschaft gekämpft, der sie ursprünglich entstammen. "Ich will nicht zurück in mein Dorf, weil ich dort alle Häuser niedergebrannt habe", zitiert Amnesty einen sechzehnjährigen Kämpfer aus Sierra-Leone. "Ich weiß zwar nicht, was, aber die Leute würden mir mit Sicherheit etwas tun. Ich glaube nicht, dass man mich je wieder in meinem Dorf aufnehmen wird."

Das Phänomen der Kindersoldaten, so der Tenor der Studien, wird sich allenfalls langfristig lösen lassen. Solange Rebellengruppen, Terrormilizen und paramilitärische Verbände ihre sogenannten irregulären Krieg führen, werden zur Teilnahme auch und gerade die Schwächsten der Schwachen rekrutiert.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika