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Backsen: "Die Politik muss endlich handeln"

30. Oktober 2019

Erstmals steht die deutsche Bundesregierung wegen unterlassenen Klimaschutzes vor Gericht. Greenpeace und drei Landwirte, die ihre Existenz durch den Klimawandel bedroht sehen, stehen hinter der Klage.

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Auf einem Protestplakat mit dem Zeugnis für die BRD gilt es für Klimaschutz, Ethik und Verantwortung jeweils eine sechs als Note
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

An diesem Donnerstg wird eine Klima-Klage gegen die Bundesregierung vor dem Berliner Verwaltungsgericht verhandelt. Eingereicht wurde sie im Herbst 2018 von der Umweltschutzorganisation Greenpeace und von drei Familien, die ihre Lebensgrundlage durch die Erderwärmung bedroht sehen. Die Kläger, die von ökologischer Landwirtschaft leben und von Klimaveränderungen direkt betroffen sind, werfen der Regierung vor, ihr Klima-Ziel für das Jahr 2020 nicht einzuhalten und dadurch ihre Grundrechte zu verletzen.

Sie hoffen, dass das Gericht die Bundesregierung dazu verurteilt, wirksame Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, um das Klima-Ziel doch noch zu erreichen. Eine der Klägerinnen ist Silke Backsen, die einen Biobauernhof auf der Nordseeinsel Pellworm betreibt und sich Sorgen macht, was aus ihrem Zuhause wird, wenn der Meeresspiegel weiter ansteigt. Das Wetter ist für einen landwirtschaftlichen Betrieb elementar, sagt sie, und Wetterveränderungen haben in der Vergangenheit schon zu 30 Prozent Ernteausfall auf ihrem Hof geführt. Im Vorfeld der Verhandlungen hat die Deutsche Welle mit Backsen gesprochen. 

DW: Frau Backsen, was hat Sie zu dieser Klage gegen die Bundesregierung bewogen?

Silke Backsen: Uns in die Karten gespielt hat natürlich das Wetter 2017/2018. Wir sind hier von einer kompletten Regenzeit 2017 in eine extreme Trockenheit gerutscht. Der Dürre-Sommer 2018 hat ja bei vielen ganz viel bewirkt. Das ist aber erst mal einfach Wetter. Klimaveränderungen sind, finde ich, immer schwer zu merken, weil es ein langsamer und fortschreitender Prozess ist.

Deutsches Wattenmeer in der Nordsee (DW/Tamsin Walker)
Deutsches Wattenmeer in der NordseeBild: DW/T. Walker

Aber es wird eben zunehmend schwieriger, bei der Erwärmung die Landwirtschaft in der Form, wie wir sie betreiben, noch zu betreiben. Und wir leben in einem Lebensraum, der extrem vom Meeresspiegelanstieg betroffen ist und auch sein wird, sodass wir letztendlich alle hier in der Region uns fragen müssen: Wie soll es aussehen, wenn der Meeresspiegel auch nur annähernd so steigt, wie prognostiziert.

Können Sie das noch näher beschreiben, auch anhand Ihres landwirtschaftlichen Betriebes?

Wir halten Rinder, machen Rindermast, weibliche und männliche Nachzucht, haben Schafe, betreiben relativ viel Ackerbau. Beschreiben kann ich die konkreten Auswirkungen an diesen Wetterextremen 2017/18, wo wir komplett abgesoffen sind. Dann verschwemmen die Felder. Und auf Pellworm haben wir dann auch ein Entwässerungsproblem, weil wir das Wasser nicht mehr loswerden.

Silke Backsen (dpa/Fabian Sommer)
Silke Backsen Bild: picture-alliance/dpa/F. Sommer

Daraufhin rutscht man in eine Trockenheit, wo letztendlich überhaupt keine Weidehaltung mehr möglich ist, weil auf den grünen Dauerweiden nicht mehr genug wächst, um Bullen oder Rinder zu mästen. Und generell ist es eben so, dass wir in den letzten Jahren gemerkt haben, dass die Wetterextreme einfach viel mehr werden. Es wird zunehmend schwieriger für die Landwirtschaft, speziell für den ökologischen Landbau, sich dann auf diesen schweren Marschböden darauf einzustellen.

Wie war die Resonanz auf ihre Klage?

Am Anfang war es so, dass die Reaktionen sehr verhalten waren. Wir haben uns natürlich lange mit dem Thema beschäftigt, bevor wir uns getraut haben, diese Klage einzureichen mit mehreren Familien. Und dann ist uns klar geworden, dass es doch auch noch einer massiven Aufklärungsarbeit bedarf. Und dann hat es sich eigentlich völlig gewandelt und wir haben ganz viel Unterstützung bekommen und das Thema ist auch wirklich breit diskutiert worden in vielen Gremien, privat, in der Familie, mit Freunden und Bekannten, auch in der Politik hier, in der Kommunalpolitik. Man wird einfach auch mehr wahrgenommen. Die Unterstützung ist jetzt groß.

Aufstand der Jugend: Klima retten um jeden Preis?

Fühlen Sie sich durch Bewegungen wie Fridays for Future auch gestärkt?

Ja, als wir die Klage im Oktober eingereicht haben, ist zur selben Zeit die Fridays for Future Bewegung groß geworden und ich glaube, man stärkt sich gegenseitig und es ist einfach wichtig, auf ganz vielen Ebenen Druck zu machen und deutliche Signale zu setzen, dass viele Menschen wach werden und sagen, wir haben jetzt wirklich die Nase voll und so geht es einfach nicht mehr weiter. Ihr könnt 1,4 Millionen Menschen auf den Straßen nicht ignorieren und ihr könnt eigentlich auch so eine Klage nicht ignorieren. 

Erleben Sie auch Anfeindungen?

Ja klar, das haben wir auch erlebt. Das ist ja normal, wenn man sich so präsent macht. Und natürlich, als Landwirtsfamilie sind wir immer Opfer und Täter zugleich. Landwirtschaft ist natürlich auch an vielen Dingen "schuld". Es ist natürlich klar, wenn man Rinder hält, dass manche das einfach total lächerlich finden zu sagen, "wir wollen was gegen den Klimawandel tun". Aber es kommt letztlich darauf an, wie man wirtschaftet und da sehen wir ganz große Unterschiede zwischen der konventionellen Wirtschaft und dem ökologischen Landbau.

​​​​Vertrocknetes Kartoffelfeld bei Cuxhaven (2018) (Patrick Stollarz/AFP/Getty Images)
​​​​Vertrocknetes Kartoffelfeld bei Cuxhaven (2018)Bild: Getty Images/AFP/P. Stollarz

Bei wem sind Sie auf Widerstand oder Unverständnis gestoßen?

Naja im direkten Umfeld. Wenn man in der kleinen Gemeinde ist oder auch bei engeren Freunden, die nicht verstanden haben, wieso man jetzt die Bundesregierung verklagt, warum man so einen gravierenden Schritt tut, um auf das Thema aufmerksam zu machen, oder um auch die Klima-Ziele wirklich 2020 zu erreichen. Wir haben uns auch vorher nicht groß ausgetauscht, damit wir erst einmal zu dem Ziel kommen, dass wir die Klage einreichen können. Das muss ja auch nicht jeder gut finden, dass wir so dafür brennen oder dahinter stehen. Das hat sich aber wirklich gewandelt im Laufe der Zeit.

Was erwarten Sie, wenn das jetzt verhandelt wird?

Wir sind ja keine Juristen und von daher können wir eigentlich schwer eine Prognose abgeben, ob man da jetzt "gewinnt" oder "verliert", aber wir haben auf jeden Fall in der Zeit vom vergangenen Oktober bis jetzt unglaublich viel für das Thema getan, um es publik zu machen, um auf die konkrete Betroffenheit einzelner Menschen hinzuweisen, und um zu sagen, dass ist nicht irgendwie abstrakt und irgendwo in der Welt, sondern das betrifft eben doch deinen Nachbarn oder jeden einzelnen von uns. Im allerbesten Fall wäre es natürlich so, dass wir wirklich inhaltlich Recht bekommen und die Bundesregierung verpflichtet wird, ihre Klima-Ziele einzuhalten.

Schafe grasen auf einem Nordseedeich in Niedersachsen (DW/Dirk Kaufmann)
Nordseedeich in NiedersachsenBild: DW/D. Kaufmann

Und wenn das Gericht ihrer Klage statt gibt, mit welchen Schritten würden Sie rechnen oder welche Schritte würden Sie sich wünschen?

Ich glaube, dass jedem von uns klar ist, worum es geht, welche Ministerien zumindest krasse Schritte machen müssten, um die Ziele noch einzuhalten. Es gibt ein großes Verkehrsproblem. Es gibt ein großes Problem mit der Braunkohle, im Kohlesektor, im Energiesektor. Da hätte es schon lange einen großen Umbruch, einen Umbau geben müssen und auf allen Ebenen bedarf es letztendlich auch Leitplanken, an die wir uns als Bürger zu halten haben oder die uns das erleichtern, klimaverträglicher zu leben. Das ist ja eine klare Sache. Ich möchte der Regierung nicht vorgeben, welche konkreten Maßnahmen sie umzusetzen hat. Die hat die Experten in den eigenen Reihen. Aber sie müssen endlich anfangen, mehr zu tun.

Also mehr ordnungspolitische Maßnahmen?

Das ist immer so ein schönes Wort. Ich glaube nicht, dass es reicht, wenn man immer wieder sagt, jeder einzelne stellt sein Leben um. Das ist extrem wichtig, dass jeder einzelne Schritt etwas bewirken kann. Aber für die großen Maßnahmen brauchen wir die Politik, dafür ist sie ja da. Als ich Kind war, habe ich mich nicht angeschnallt, da sind wir hinten im Auto alle rumgekugelt. Jetzt gibt es einfach eine Gurtpflicht und das ist zu meiner eigenen Sicherheit. Maßnahmen gegen den Klimawandel sind auch zu meiner eigenen Sicherheit.

Rheinisches Braunkohlerevier bei Garzweiler (dpa/Ziese)
Rheinisches Braunkohlerevier bei GarzweilerBild: picture-alliance/dpa/S. Ziese

In Zukunft, kriegen wir die Kurve, die Erderwärmung aufzuhalten? Sind Sie da eher optimistisch oder pessimistisch?

Ich bin immer optimistisch. Ich bin ein optimistischer Mensch und ich würde sagen, wir schaffen das. Oder ich sage: Wir schaffen das. Wir müssen letztendlich alle unser Leben umstellen und erkennen, dass es so nicht mehr weitergeht. Redet weiter drüber. Werdet aktiv. Auf geht's! Es ist auf jeden Fall noch rumzureißen, das Ruder.

Das Interview führte Mabel Gundlach.