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Klima und Einkauf

25. Januar 2010

Obst, Gemüse und andere Lebensmittel aus der Region sind angeblich in jedem Fall "umweltschonender" als Importware. Dabei kommt es aber auf den Einzelfall oder sogar auf die Jahreszeit an, meint Jürgen Wiemann.

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Symbolbild Gastkolumne Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (Foto: DW)
Bild: DW

Die vor Weihnachten an dieser Stelle geäußerte Erwartung, dass ein Erfolg des Klimagipfels in Kopenhagen auf andere internationale Verhandlungen abstrahlen könnte und z.B. die Unterhändler in der WTO beflügeln möge, die überreife Welthandelsrunde zu einem guten Abschluss zu bringen, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, nach dem Scheitern der Kopenhagen-Konferenz, bei der sich China als neue Blockademacht unrühmlich hervorgetan hat, könnte sich die Stimmung in den alten Industrieländern drehen und nicht nur die Regierungen dazu bewegen, in anderen Foren eine härtere Gangart einzulegen, sondern auch jeden Einzelnen dazu motivieren, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und sich dabei von folgender Überlegung leiten zu lassen.

Rechnung geht nur scheinbar auf

Könnten wir nicht gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn wir in Zukunft soweit wie möglich regionale Lebensmittel einkaufen? Wir würden doch damit nicht nur transportbedingte Treibhausgasemissionen vermeiden helfen, sondern – klammheimlich – auch noch den widerspenstigen Entwicklungsländern eins auswischen, indem wir zeigen, dass wir guten Gewissens auf ihre billigen Produkte verzichten können. Hat nicht sogar ein vom Klimagipfel enttäuschter Bundesumweltminister in einem Interview zu bedenken gegeben, es sei doch "kein Verzicht, (…) regionale Lebensmittel zu kaufen statt solche mit langen Transportwegen" ("Der Spiegel" 53/2009)? Wäre das aber die Lösung? Zwar spricht nichts dagegen, dass jedermann (und jede Frau) mehr als bisher zur Minderung von Treibhausgasemissionen beiträgt. Aber wir alle müssen schon aufpassen, dass wir dabei das Richtige tun und nicht, in bester Absicht, das Klima noch mehr schädigen – und die Entwicklungsländer obendrein.

Dr. Jürgen Wiemann, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und ehem. Stellv. Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). (Foto: DIE)
Dr. Jürgen WiemannBild: DIE

Inzwischen liegen weltweit umfangreiche wissenschaftliche Studien vor, die den Klimaeffekt von Lebensmitteln genau analysieren und dabei auch regionale Produkte mit Importen aus Übersee vergleichen. Diese Studien gehen von der Erkenntnis aus, dass es verkürzt wäre, den Klimaeffekt allein an der Länge der Transportwege vom Produzenten zum Verbraucher abzulesen. Gemessen an diesem Kriterium wären natürlich Produkte aus der Umgebung in jedem Fall vorzuziehen. Tatsächlich müssen aber die Klimaeffekte sämtlicher Inputs berücksichtigt werden und nicht nur die des Transports.

Bei einer konsequenten Lebenszyklusbetrachtung (carbon life cycle assessment) würde auch der Klimaeffekt chemischen Düngers, des fossilen Treibstoffs der Traktoren, der Aufzucht in beheizten Gewächshäusern, der energieintensiven Weiterverarbeitung, der Lagerung (Kühlung!) und schließlich der Beschaffung durch die Konsumenten (im Supermarkt nebenan oder – spritintensiv – mit dem Auto bei den Bauern in der Umgebung) in Anschlag gebracht. Dann wird das Bild höchst differenziert. Der mit dem Schiff aus Neuseeland nach Deutschland transportierte Apfel oder auch das Lammkottelet können durchaus weniger klimabelastend sein als die gleichen Produkte vom Bauern in der Region. Der Transport, vor allem per Containerschiff, trägt nämlich nur einen geringen Teil zum gesamten Treibhauseffekt eines Nahrungsmittels bei. Eine viel größere Rolle spielt der Energieeinsatz für die Herstellung sämtlicher Inputs und für die verschiedenen Produktions- und Verarbeitungsstufen der Wertschöpfungskette.

Die generelle Aussage, regionale Produkte seien klimafreundlicher als importierte, ist also wissenschaftlich nicht begründet. Es kommt vielmehr auf den Einzelfall an und sogar auf die Jahreszeit. Der im Herbst in Europa gepflückte Apfel ist klimafreundlicher als der aus Argentinien oder Neuseeland importierte Apfel. Aber im Sommer, bevor in Europa die Äpfel geerntet werden, kann der monatelang im Kühlhaus gelagerte europäische Apfel dem kurz vorher auf der Südhalbkugel gepflückten und mit dem Schiff nach Europa geschafften Apfel klimapolitisch unterlegen sein.

Fossile Energieträger müssen teurer werden

Nun kann aber vom gestressten Stadtmenschen nicht erwartet werden, dass er/sie bei jedem Einkauf die höchst differenzierten Erkenntnisse der Lebenszyklusanalysen aller möglichen Produkte im Kopf hat. Auch Umweltengel und die anderen Ökosiegel helfen da nicht weiter. Sie berücksichtigen bisher nicht die Klimarelevanz der Produkte – und ein Aufdruck der zurückgelegten Meilen würde ja nur in die Irre führen. Der Wunschtraum umweltbewusster und klimabesorgter Ökonomen wäre nun, dass jeder schnell und unkompliziert an den Preisen ablesen kann, wie klimafreundlich oder -schädlich der begehrte Apfel oder das Lammkotelett ist.

Natürlich kennt niemand die ökologisch "richtigen" Preise aller Güter und Dienstleistungen. Aber nach den Erkenntnissen der Klimaforscher besteht kein Zweifel daran, dass die Preise fossiler Energieträger erheblich höher sein müssten als die heutigen Weltmarktpreise – nämlich so hoch, dass genau so viel weniger Energie verbraucht und verschwendet wird, wie für die Abbremsung des Klimawandels erforderlich ist. Erst recht dürfen fossile Energien nicht subventioniert, ihre Übernutzung nicht noch künstlich gefördert werden. Dies ist vor allem in den Entwicklungsländern ein Problem, wo die Energiepreise weitaus höher subventioniert werden als in den Industrieländern. Vielmehr müssten die Energiepreise durch Steuern Schritt für Schritt erhöht werden, möglichst im Gleichschritt aller Länder, um Wettbewerbsverzerrungen und Umgehungseinfuhren zu vermeiden.

Über die höheren Preise fossiler Energieträger (und weitere Preiserhöhungen knapper werdender Umweltgüter) würden sich dann alle Produkte entsprechend dem Treibhauseffekt der in der Produktion verbrauchten Inputs sowie des Energieeinsatzes auf allen Verarbeitungsstufen und im Transport bis hin zum Endverbraucher verteuern. Wenn so die Preise "die ökologische Wahrheit" sagen, würden die Konsumenten von ihrem Portemonnaie zu klimagerechtem Einkaufen angehalten. Es gibt keinen wirkungsvolleren Mechanismus demokratischer Klimapolitik. Gleichzeitig würden auch die Produzenten und die Transport- und Logistikunternehmen noch stärker motiviert, durch Kosteneinsparung einen Beitrag zur Minderung von Treibhausgasemissionen zu leisten.

Nur ein Beispiel: Wenn die Treibstoffkosten sehr viel höher als heute wären, könnten sogar Segelschiffe (natürlich in High-Tech-Gestalt!) wieder modern werden und die Produkte ohne Klimabelastung aus fernsten Weltregionen zum Kunden nach Europa schaffen. Dank deutscher Ingenieurskunst wird heute schon die Windkraft genutzt, um die Treibstoffkosten moderner Frachtschiffe mit Hilfe eines computergesteuerten Zugdrachens um bis zu 30 Prozent zu senken und damit den Klimaeffekt des ohnehin günstigen Seetransports weiter zu reduzieren.

Abbau von Arbeitsplätzen schadet dem Klima

Schließlich kommt aber noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: Selbst wenn aus Kenia importierte Bohnen einen größeren Treibhauseffekt hätten als Bohnen aus der Region, wäre dem Klima mit dem Kauf europäischer Bohnen nicht automatisch gedient. Denn was machen die afrikanischen Bauern, Landarbeiter und die in der Vermarktungskette Beschäftigten, wenn sie durch einen klimapolitisch motivierten Käuferstreik der Europäer ihre Beschäftigung und Einkommensquelle in der Exportwirtschaft verlieren? Sie müssten nach alternativen Erwerbsquellen suchen oder auf karge Selbstversorgung durch Bearbeitung marginaler Böden und gerodeter Flächen ausweichen. Der damit einhergehende Klimaeffekt wäre aber möglicherweise größer als die Einsparung durch den Umstieg europäischer Konsumenten auf regionale anstelle importierter Produkte. Für den Klimaeffekt jeder Kaufentscheidung sind also auch die "ökologischen Opportunitätskosten" zu bedenken. Sie treten immer dann auf, wenn in bester Absicht eine klimapolitisch nachteilige Kettenreaktion – womöglich in fernen Weltgegenden – ausgelöst wird.

Der Klimawandel zwingt uns endgültig dazu, global vernetzt zu denken, die Folgewirkungen jeder Aktion zu bedenken und uns bewusst zu werden, dass jeder Erdenbürger das gleiche Recht auf Leben, Arbeit und einen klimaverträglichen Lebensstandard hat. Schillers "alle Menschen werden Brüder", in jedem Silvesterkonzert gesungen, erhält angesichts der globalen Klimabedrohung beklemmende Aktualität.

Der Beitrag stellt die persönliche Meinung des Autors dar und muss sich daher nicht mit den Ansichten der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) oder des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) decken.

Autor: Dr. Jürgen Wiemann, Bereich Wirtschaft und Beschäftigung - Welthandelsordnung und Entwicklungszusammenarbeit, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH und ehem. Stellv. Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.