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Europa sollte beim Klimaschutz ambitioniert bleiben

15. Dezember 2010

Jo Leinen sieht im Klimaschutz eine Chance für neues Wirtschaftswachstum mit grünen Jobs in Europa. Der Vorsitzender des Ausschusses für Umweltfragen im Europaparlament war beim Klimagipfel in Cancun.

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Jo Leinen
Jo Leinen, Vorsitzender des Umweltausschusses im EuropaparlamentBild: Jo Leinen

DW-WORLD.DE: Herr Leinen, Sie sind gerade vom Klimagipfel in Cancun zurückgekommen. War der Klimagipfel jetzt nach dem Desaster von Kopenhagen ein unerwarteter aber kleiner Etappensieg?

Jo Leinen: Das ist richtig, dass die, die in Kopenhagen sich bekriegt haben, nämlich China und die USA, in Cancun zumindest, was das Verfahren angeht, sich einigen konnten. Also man muss da in kleinen Etappen wohl denken und nicht im großen Wurf. Da hatten wir eine Illusion. Es geht jetzt langsam weiter. Aber immerhin, die Welt erkennt, dass der Klimaschutz ein absolutes Muss ist im 21. Jahrhundert.

Das klingt sehr bescheiden. Herr Leinen, was ist denn für sie das wichtigste Ergebnis des Gipfels?

Immerhin ist der Klimafonds jetzt etabliert worden. Also, die Solidarität zwischen dem reichen Norden und den armen Ländern in der Dritten Welt, das wird Bedeutung haben für viele Maßnahmen, die wir brauchen. Also von der Vorbereitung nationaler Klimaschutzpläne bis zum Technologietransfer, bis natürlich auch Hilfen zum Schutz der Tropenwälder. Also, in diesen 100 Milliarden-Dollar-Fonds steckt viel Musik drin und das ist wohl auch die Brücke, damit Arm und Reich zusammenkommen für diese anderen Bausteine, die wir dann noch zu beschließen haben.

Schauen wir uns die EU an. Welche Ziele sollte sich die Europäische Union denn setzen?

Europa ist nicht schlecht, aber noch lange nicht gut genug. Wir haben ja beschlossen, 20 Prozent der Klimagase zu reduzieren. Das Europa-Parlament hat im November schon gesagt, dass das nicht reicht. Wir müssten auf 30 Prozent hochgehen, bis zum Jahre 2020. Die Langfristvision für Europa wird heißen, dass wir ca. 80 bis 90 Prozent der Klimagase reduzieren müssten. Und daran kann man sehen, dass noch viel, viel vor uns liegt und jetzt erst die erste Etappe gegangen wurde.

Da haben wir ja den alten Streit zwischen Ökologie und Ökonomie. Kann es sich die EU überhaupt leisten, diese Vorreiterrolle einzunehmen, wenn gleichzeitig andere Staaten konkurrenzlos billig produzieren können?

Ich bin der Meinung, dass hinter dem Klimaschutz sich ein Wettlauf um neue Technologien und um ein grünes Wachstum verbirgt. China mag zwar nicht sehr begeistert sein, sich international zu verpflichten, aber zuhause im Land gibt es große Technologieprogramme für die erneuerbaren Energien, für das Elektroauto und für Super-Hochspannungsleitungen. Und in Amerika ist man langsamer, weil einfach die Signale nicht richtig gesetzt werden. Also für Europa gilt es vorne mitzumachen und nicht in die Mitte zurück zu fallen. Also im eigenen Interesse sollten wir Klimaschutz betreiben und nicht schauen, was die Anderen machen. Es geht um neue Produkte, um neue Dienstleistungen, neue Technologien. Letztendlich geht es um ein neues Wirtschaftswachstum mit grünen Jobs. Und wer da vorne mit dabei ist, der gewinnt; und wer zu spät kommt, der verliert.

Viele Schwellenländer sind doch gerade deshalb so konkurrenzfähig, weil dort überhaupt kein Umweltschutz stattfindet oder kaum. Zum Beispiel im Bezug auf Umweltgifte, Schwermetalle oder Pestizide. Vom harmlosen CO2 gar nicht zu sprechen.

Ja, in der Tat ist das ein Problem. Aber jeder soll ja nach seinen Kapazitäten einen Beitrag leisten. Und da muss man einfach sagen, dass Europa, Japan und die USA in einer anderen Liga spielen als die Schwellenländer und erst Recht die Entwicklungsländer. Wir können einfach nicht warten, bis die Schwellenländer dasselbe machen wie wir. Ich glaube, wir haben die Aufgabe, die Führung zu übernehmen.

Lassen sie mich noch mal auf dieses doch etwas vage Ergebnis des Gipfels schauen. Sie sagen, man muss weiter denken und mit diesem Schritt jetzt schon zufrieden sein. Aber ist das vage Ergebnis des Gipfels nicht auch ein Hinweis darauf, dass die Wissenschaft an der Erderwärmung zweifeln könnte?

Also, da hatte ich in Cancun doch den Eindruck, dass alle Länder der Wissenschaft vertrauen. Und die übergroße Mehrheit der Forschungsinstitute sagt, dass der Mensch für die Klimaerwärmung verantwortlich ist. Zweifel an dieser Analyse waren bei der Klimakonferenz kaum zu hören, wenn denn überhaupt. Ich weiß, dass es einen Trommelwirbel gibt in Amerika, in der angelsächsischen Welt gegen die Klimaforschung. Da muss man auch genau hinschauen, ob es da gute Argumente gibt. Aber die Welt ist sich einig, die Klimagase sind Teil einer beschleunigten Erwärmung. Und die wollen wir reduzieren. Ich meine, wenn die Gestirne sich verändern, da kann der Mensch nichts daran tun. Aber wenn in wenigen Jahrzehnten Energien verbrannt werden, die hunderte von Millionen Jahren gebraucht haben, um sich zu bilden. Also, Kohle, Öl und Gas, da ist es schon plausibel, dass das für Ökosysteme nicht gut sein kann und in der Erdatmosphäre sammelt sich das eben alles.

Das Gespräch führte Günther Birkenstock
Redaktion: Gero Rueter