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Welche Zukunft hat die Wasserkraft?

7. September 2021

Wasserkraft galt bisher als besonders verlässlich und flexibel unter den erneuerbaren Energien. Doch Dürreperioden und Starkregen legen Wasserkraftwerke lahm. Bedeutet der Klimawandel das Aus für die diese Energieform?

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Blick auf den Salto-Damm in der Region Paraná in Brasilien
Wassermangel am Salto-Damm in der Region Paraná in BrasilienBild: Dario Oliveira/Zumapress/picture alliance

Einmal gebaut, könne ein Wasserkraftwerk zu jeder Zeit flexibel Strom produzieren - so lautete über lange Jahre das Hauptargument für die Stromgewinnung aus Wasserkraft. Noch 2019 wurde mehr als die Hälfte des erneuerbaren Stroms weltweit aus Wasserkraft gewonnen, berichtet das politische Netzwerk Ren21 mit Sitz in Paris.

Doch mit dem sich wandelnden Klima geht der Wasserkraft genau dieser Vorteil verloren. Klimabedingte Dürreperioden sorgen in diesem Jahr für die größten Einbrüche in der Wasserkrafterzeugung seit Jahrzehnten.

Einbußen bei der Stromerzeugung weltweit

Am Lake Mead, unweit der US-Metropole Las Vegas, staut der Hoover-Damm den Colorado River und versorgt mehr als 140 Millionen US-Bürger mit Wasser. Doch der große Stausee ist derzeit gerade einmal zu einem Drittel gefüllt. Wegen des niedrigen Pegelstands produzierte sein Kraftwerk im Juli dieses Jahres ein Viertel weniger Strom als üblich. Jüngst verfügte die Bundesbehörde für Wasserressourcen, dass die Orte flussabwärts des Damms ab Januar 2022 weniger Wasser erhalten sollen.

Hausboote liegen auf dem stark abgesunkenen Lake Oroville in Kalifornien
Dürre auch am Lake Oroville in Kalifornien, hier lief das Wasserkraftwerk im August 2021 gar nicht mehr - zum ersten Mal seit seinem Bau im Jahr 1967 Bild: Patrick T. Fallon/AFP

Im Süden des amerikanischen Kontinents stellt sich die Situation an vielen Stellen ähnlich dar - am Paraná-Fluss, der durch Brasilien, Paraguay und Argentinien fließt, herrscht historisches Niedrigwasser. Südbrasilien, wo der Paraná entspringt, leidet seit drei Jahren unter einer schweren Trockenheit.

Im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre sind die Pegel in den Stauseen im Zentrum und im Süden Brasiliens um mehr als die Hälfte gesunken und derzeit nur noch knapp zu einem Drittel ihrer Kapazität gefüllt. Da Brasilien gut 60 Prozent seines Stroms aus der Wasserkraft bezieht, könnte dem Land ein Blackout drohen.

Rückgriff auf fossile Brennstoffe

Um das zu verhindern, aktivieren die brasilianischen Behörden nun wieder Kraftwerke, die mit Erdgas betrieben werden. Das lässt die Treibhausgasemissionen ansteigen und ebenso die Strompreise. Ähnliches geschieht in den USA. Dort erlaubte die Regierung des Bundesstaats Kalifornien industriellen Verbrauchern und Schiffen, ihren Strombedarf zusätzlich mit Dieselgeneratoren zu decken. Auch Erdgaskraftwerke sollen wieder mehr Gas zur Stromgewinnung verbrennen dürfen.

Luftbild vom fast ausgetrockneten See Furnas in Brasilien
Wassermangel am See Furnas in BrasilienBild: Douglas Magno/AFP/Getty Images

Aber nicht nur Dürre, auch Starkregen und Überflutungen können die Stromerzeugung durch Wasserkraft lahmlegen. So wurden durch Überschwemmungen nach dem Zyklon Idai im März 2019 in Malawi zwei große Wasserkraftwerke beschädigt, wodurch die Stromversorgung in Teilen des Landes für mehrere Tage zusammenbrach.  

Afrika - Wasserkraft marsch?

In Ländern wie Malawi, der Demokratischen Republik Kongo, Äthiopien, Mosambik, Uganda und Sambia liegt der Anteil der Wasserkraft an der Stromerzeugung laut der Internationalen Energie Agentur (IEA) bei über 80 Prozent. Insgesamt wurden in Afrika demnach Ende 2019 rund 17 Prozent des Stroms aus Wasserkraft erzeugt. Prognosen zufolge soll der Anteil bis 2040 auf mehr als 23 Prozent ansteigen.  

Bauarbeiten an der Staumauer des äthiopischen Wasserkraftwerks Gibe III
Wasserkraft kann auch geopolitische Spannungen auslösen: Das äthiopische Projekt "Gibe III" lässt in den Nachbarländern Ägypten und Sudan Sorgen vor Hochwasser und Dürren wachsenBild: Getty Images/AFP

Ein weiteres Problem laut IEA: In den meisten Plänen für neue Wasserkraftprojekte in Afrika sind die möglichen Auswirkungen des Klimawandels gar nicht oder nur unzureichend berücksichtigt.

Viele laufende Wasserkraftwerke stehen zudem vor einem weiteren Problem: ihrem Alter. Laut einer Studie der Universität der Vereinten Nationen erreichen Staudämme 50 bis 100 Jahre nach ihrem Bau das Ende ihrer Lebensdauer. Durch die Verwitterung des Baumaterials wachse dann die Gefahr von Dammbrüchen, so die Autoren.

Schon ab einem Alter von 25-35 Jahren könnten die Maßnahmen zur Instandhaltung von Staudämmen die Betriebskosten von Wasserkraftwerken erheblich erhöhen.

Warnungen vor Ausbau der Wasserkraft

Auch vor diesem Hintergrund wäre es fatal, wenn beim Ausstieg aus den fossilen Energieträgern nun ausgerechnet in ärmeren Ländern in den Ausbau der Wasserkraft investiert werde, sagt Thilo Papacek von der deutschen Nichtregierungsorganisation Gegenströmung, die sich für sozial- und umweltverträgliches Handeln deutscher Akteure im Ausland einsetzt. 

Wasserkraftwerke griffen meist massiv in das Ökosystem ein und könnten auch zu Gefahren für Menschen werden, so Papacek. Denn Dämme und Wehre behinderten nicht nur Fischwanderungen sondern auch den Transport von Sediment, also festen Stoffen, weiter flussabwärts. "Ohne Sedimentanreicherungen an den Flussufern, gräbt sich der Fluss hinter der Staumauer immer tiefer und enger in die Landschaft. Bei Starkregen kann er dann eine enorme Kraft entwickeln, vor allem, wenn auch noch Wasser aus dem Stausee abgelassen werden muss." Dadurch steige die Gefahr, dass angrenzende Siedlungen überflutet werden. 

Ein überschwemmtes Dorf nach dem Bruch des Staudamms Xepian-Xe Nam Noy in Laos
Starker Regen und Risse im Material ließen 2018 den Staudamm Xepian-Xe Nam Noy in Laos brechenBild: picture alliance/XinHua/Chanthathonglith

"Wir werden zwar auf die Wasserkraft in Zukunft nicht verzichten können", sagt Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und Professor für Ökosystemwissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt. "Aber die Frage ist: Wo bauen wir, wie bauen wir und wie betreiben wir in Zukunft Wasserkraftwerke?"  

Naturnahe Wasserkraft statt Megadämme

Laut Tockner sollten Kraftwerke nicht in bestehenden Schutzgebieten errichtet werden, wo es noch ausreichend frei fließende Flüsse gebe. Gegebenenfalls müsste es Ausgleichsmaßnahmen geben, um negative Auswirkungen von Kraftwerken auf das Ökosystem zu kompensieren, etwa Renaturierungen beeinträchtigter Gewässer oder den Rückbau von Dämmen. Neue Anlagen müssten so gebaut werden, dass Flüsse so durchgängig wie möglich bleiben - sowohl für die Wassermassen bei Hochwasser als auch für Fische und Sediment. Und auch das Management der Anlagen müsse die natürliche Dynamik imitieren.

Bildergalerie Deutsche Wälder
Überflutungsräume, wie hier an der Elbe, leisten Hochwasserschutz - auch für WasserkraftwerkeBild: picture-alliance/ZB

"Das heißt, die Fließgeschwindigkeit darf nicht zu sehr beeinflusst werden und der Fluss muss genügend Restwasser und auch Überflutungsgebiete behalten", führt Stefan Uhlenbrook, Hydrologe beim International Water Management Institute (IWMI) aus. "Notfalls muss Sediment mechanisch wieder zurück in den Flusslauf gebracht werden."

Große Anlagen würden durch den Klimawandel tendenziell immer uneffektiver, so Uhlenbrook. Grundsätzlich müssten Wasserkraftwerke kleiner und die Versorgung dezentraler werden.

Luftaufnahme des Wasserkraftwerks Belo Monte in Brasilien
Das Belo-Monte-Kraftwerk in Brasilien ist eines der größten der Welt, doch ihre Spitzenkapazität von 11.000 Megawatt erreicht die Anlage so gut wie nie Bild: picture-alliance/dpa/Misereor/F. Kopp

Technik alleine reicht nicht

Besonders durchlässig sind sogenannte Instream-Turbinen, die in die Mitte eines Flusses gehängt werden und Strom aus der Fließgeschwindigkeit des Wassers generieren. Sie funktionieren auch bei niedrigem Wasserstand, benötigen keine aufwändigen Baumaßnahmen aus und eignen sich für abgelegene Gebiete - Ballungsgebiete lassen sich damit aber nicht versorgen.

Eine hohe Durchgängigkeit und Hochwassersicherheit verspricht auch das Schachtkraftwerk der Technischen Universität München (TUM), das den Angaben zufolge auch für Naturschutzgebiete zugelassen ist. Rund 800 Haushalte versorgt eine Pilotanlage im süddeutschen Bundesland Bayern. 

Gegen massive Dürre aber hilft neue Technik alleine nicht. "Wir können über die Änderung von Landnutzung die Auswirkungen von Dürren mindern. Naturnahe Wälder speichern sehr viel Wasser, das sie während der Dürreperioden dann abgeben - wir müssen schauen, wie wir mit naturverträglichen Maßnahmen sowohl die Dürren als auch die Hochwässer reduzieren können", sagt Ökosystemwissenschaftler Tockner. Klar sei aber: "Angesichts der Zunahme von Extremwetterereignissen wird Wasserkraft nicht mehr in dem gleichen Maß eine zuverlässige Energiequelle sein."

Und Hydrologe Uhlenbrook erinnert an einen Aspekt, der bei der Frage nach der Energie der Zukunft seiner Ansicht nach zu oft außer Acht gelassen wird: "Wir müssen vor allem darauf setzen, künftig möglichst viel Energie einzusparen."

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen