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Architektur in Zeiten des Klimawandels

Torsten Landsberg
20. Juli 2021

Flutkatastrophen und Dürren häufen sich. Der Mensch muss lernen, mit der Natur zu leben, statt sie beherrschen zu wollen. Das gilt auch fürs Bauen.

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Luftaufnahmen vom Ort Dernau in der Eifel, der unter Wasser steht.
Überflutet: Der Ort Dernau im Landkreis Ahrweiler steht unter WasserBild: Christoph Hardt/Future Image/imago images

Es ist eine alte Binsenweisheit: Wasser findet seinen Weg. Was passiert, wenn ihm seine natürlichen Wege verbaut werden, hat die Hochwasser-Katastrophe in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und den Nachbarländern dramatisch veranschaulicht.

Hochwasser ist ein natürliches Phänomen, das etwa durch Schmelzwasser, Stark- oder Dauerregen auftreten kann. Ursprünglich hatten Kommunen und Länder die Risiken auch einkalkuliert und Überschwemmungs- oder Flutungsgebiete vorgehalten. Doch die Zahl dieser Flächen nahm in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich ab.

Ursache von Flutkatastrophen: Flächenversiegelung

Deutschlandweit liegt der Flächenverbrauch, also die Umwandlung von landwirtschaftlichen oder naturbelassenen Flächen in Siedlungs- und Verkehrsfläche, bei täglich zwischen 50 und 60 Hektar - doppelt so hoch, wie die Bundesregierung 2018 als Ziel ausgegeben hatte. Die Fläche wird für Wohnungsbau, Gewerbe, Verkehr und Erholungsflächen versiegelt. Dabei wird der Boden weitgehend luft- und wasserdicht abgedeckt, Regenwasser kann praktisch nicht mehr abfließen. Hinzu kommen Umbaumaßnahmen an Flüssen, die begradigt wurden, was deren Fließgeschwindigkeit erhöhte. Nahezu alle Maßnahmen, mit denen der Mensch in die Natur eingegriffen hat, haben finanzielle Ursachen.

Umweltkatastrophen alle 10.000 Jahre

Die jüngste Hochwasser-Katastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen "zeigt uns gnadenlos unsere Schwachstellen auf", sagt Holger Schüttrumpf, Professor für Wasserbau und Direktor der Fakultät für Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen im Gespräch mit der DW. Diese Schwachstellen seien teilweise historisch begründet. "In der Eifel haben sich Kommunen an Flüssen angesiedelt, um die Kraft des Wassers zu nutzen, erst in den Mühlen, später für die Papier- und Stahlindustrie." Durch die Ansiedlung von Städten sei nach und nach jedoch der natürliche Verlauf der Flüsse blockiert worden.

Auf zwei Bildern ist der Ort Altenahr vor und nach dem Hochwasser zu sehen.
Vom Wasser überspült: Altenahr im Ahrtal

Grundsätzlich habe es außergewöhnliche Wetterereignisse schon immer gegeben, sagt Holger Schüttrumpf, der auf die Sturmflut 1962 und die Hochwasser an Oder (1997) und Elbe (2002) verweist. Ein so extremes Ereignis wie in der vergangenen Woche komme jedoch nur einmal alle 10.000 Jahre vor. 

"Es ist wirklich brutal, was hier passiert ist", sagt er kurz nach einem Besuch im nordrhein-westfälischen Stolberg. "Die Menschen haben kein Wasser, keinen Strom und das Abwassersystem funktioniert nicht."

Hochwasser war frühzeitig absehbar

Weltweit sind sich Klimaforscher darin einig, dass sich Wetterextreme infolge des Klimawandels häufen werden. Dennoch schienen viele Menschen vom Hochwasser überrascht worden zu sein. Meteorologen und Forscher hatten nach dem Hochwasser kritisiert, dass die betroffenen Gebiete nicht rechtzeitig evakuiert worden seien - obwohl die Wetterlage lange im voraus erkennbar war.

"Diese Phänomene treten an unterschiedlichen Orten auf, wir sehen sie im Fernsehen, sind davon aber nicht persönlich betroffen", sagt Holger Schüttrumpf. "Es war frühzeitig klar, dass ein Hochwasser auf uns zukommt." Um Personenschäden künftig zu vermeiden, müsse "die Wahrnehmung für Warnungen erhöht werden".

Wie kam es zur Flutkatastrophe? – Hydrologe Bruno Merz im Gespräch

Umsiedlung aus riskanten Gebieten

Neben dem Ausbau von Rückhaltebecken und höheren Deichen plädiert Holger Schüttrumpf dafür, den Flüssen wieder mehr Platz zu geben - "auch wenn das in besiedelten Gebieten schwierig umzusetzen ist".

Der Natur Raum zurückzugeben, bedeutet nämlich auch, dass der Mensch sich aus riskanten Regionen zurückziehen muss. Der Architekturforscher und Urbanist Mark Kammerbauer sieht deshalb in der Umsiedlung ein wichtiges Instrument. "Beim Wiederaufbau sollte berücksichtigt werden, wer besonders verwundbar ist", sagt Kammerbauer im DW-Gespräch. Es sei denkbar, Menschen, die sich nicht schützen könnten, Anreize zu bieten, aus einer bedrohten Region weg zu ziehen.

Weil die Hürde sehr hoch sei, müsse der Schutz insbesondere der Menschen gewährleistet werden, die sich finanziell nicht vor den Folgen eines Hochwassers schützen könnten. "Eine 80-Jährige mit Grundrente kann sich eine Versicherung gegen Elementarschäden vielleicht nicht leisten". Einkommensschwachen Menschen könne schon vor einer Katastrophe geholfen werden, etwa durch freiwillige Fonds und öffentliche Förderung.

Das Whitney Museum of American Art liegt an einer Straßenecke. Auf einer Empore davor wachsen Bäume.
Wasserdicht: Flutschutztore und mobile Hochwasserschutzwände schützen die Kunstwerke im New Yorker Whitney MuseumBild: imago/Arcaid Images/P. Karatzas

"Beim Wiederaufbau geht es darum, nicht ad-hoc, sondern besser aufzubauen", sagt Mark Kammerbauer. Zur bloßen Rekonstruktion nennt er zwei Alternativen: die Natur aussperren oder mit der Natur zu leben. "Ein Gebäude so zu gestalten, dass nirgends Wasser eindringt, ist sehr teuer", sagt er, "deshalb ist es sinnvoll, zu akzeptieren, dass es passieren kann." Ein Haus müsse dann so konzipiert werden, "dass ein Hochwasser so wenig Schäden verursacht wie möglich und die Aufräumarbeiten überschaubar bleiben".

Präventionsmaßnahmen sparen Geld

Um die Folgen eines Hochwassers zu minimieren, müsse auch in die Baubehörden ein Bewusstsein für nachhaltige Maßnahmen einziehen. "Wir brauchen Genehmigungsverfahren, die bei der Planung keine Öl-Heizungen mehr zulassen, damit bei einem erneuten Hochwasser nicht wieder alles mit Öl kontaminiert wird."

Gestalterisch müssten die potenziell von Wasser bedrohten Untergeschosse aus Beton gebaut werden, erst darüber sei Holzbau denkbar, ebenso die Unterbringung der technischen Anlagen. Das wäre auch eine Rückbesinnung, erklärt Kammerbauer am Beispiel von Passau: "Vor der industriellen Revolution wurden die Erdgeschosse zur Lagerung genutzt - bis man erkannt hat, sie kommerziell nutzen zu können."