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Politik

Klinkhammer: Elastisches Italien

9. September 2019

Die neue italienische Regierung aus Populisten und Sozialdemokraten wurde am Montag vom Parlament bestätigt. Die Koalition überlebt vielleicht länger als man denkt, sagt Italien-Experte Lutz Klinkhammer.

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Der italienische Premierminister Giuseppe Conte winkt, als er den Senat in Rom verlässt
Giuseppe Conte - alter wie auch neuer Premierminister Bild: Reuters/R. Casilli

Die stärkste Partei im italienischen Parlament, die populistischen 5 Sterne, und die zweitplatzierten Sozialdemokraten bilden die neue Regierung in Italien. Ausgebootet wurde die rechtsradikale Lega des bisherigen Innenministers Matteo Salvini. Der wollte mit dem Bruch der Koalition Neuwahlen erreichen, doch er scheiterte. Lutz Klinkhammer, Italien-Experte am Deutschen historischen Institut in Rom, denkt, dass die neue linke Regierung nicht nur acht Monate, wie Matteo Salvini hofft, sondern vielleicht mehrere Jahre durchhält.

Deutsche Welle: Herr Klinkhammer, das neue Bündnis ist hauptsächlich eines, um Salvini als Regierungschef zu verhindern. 2018 im März hat Italien das letzte Mal gewählt. Damals taten sich völlig überraschend linke und rechte Populisten zusammen. Ist jetzt die Koaltion zusammengekommen, die damals eigentlich schon gewählt wurde?

"Die meisten Wähler hatten sich ein Bündnis mit den Sozialdemokraten erhofft, das aber nicht zustande kam. Diese unnatürliche Regierungsbildung zwischen der Lega Salvinis und den 5 Sternen ist ja auch als 'Dracula-Koalition' bezeichnet worden. Das war sicher nicht der Wunsch der Mehrheit der Wähler im vergangenen Jahr, aber als noch schlimmer hätte man eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen angesehen. Jetzt ist also die Konstellation zustande gekommen, die im letzten Jahr verhindert worden ist."

Lutz Klinkhammer, Historiker am Deutschen Historischen Institut in Rom
Lutz Klinkhammer: Das italienische System ist "elastisch"Bild: DW/B. Riegert

Wie lange wird dieses neue Bündnis halten, das ja vor Wochen noch undenkbar schien? 2023 wäre der nächste reguläre Wahltermin. Davor muss das Parlament 2022 noch einen neuen Staatspräsidenten wählen. Kann man Salvini so lange verhindern?

"Das italienische parlamentarische System hat noch einmal seine Elastizität bewiesen. Es ist eine neue Regierung zustande gekommen, ohne dass es Neuwahlen gegeben hat. Salvinis Lega ist bei seinen 17 Prozent im Parlament geblieben. Wenn es keine Neuwahlen gibt, dann bleibt das auch so. Salvinis Macht wird insofern begrenzt sein. Er hat nur Chancen, wenn es Neuwahlen gibt. Das wissen natürlich die anderen Spieler in diesem Stück auch. Von daher wird alles versucht werden, um eine Regierungskrise mit Neuwahlen zu vermeiden. Selbst wenn die Regierung nicht halten sollte, dann ist längst nicht gesagt, dass es dann Neuwahlen geben muss, sondern es wäre noch einmal eine Regierungsumbildung oder Neugestaltung denkbar."

Der rechte Ex-Innenminister Salvini kannte nur ein Thema, die Abschottung gegenüber Migranten durch eine Schließung der Häfen und ein Ende der Seenotrettung. Jetzt hat eine unpolitische Beamtin, Luciana Lamorgese, das Ministerium übernommen. Ändert sich dadurch auch die Flüchtlingspolitik?

"Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kriminalisierung der Seenotrettung verschwinden wird, aber das heißt noch nicht, dass damit die Häfen wieder geöffnet werden. Die neue Regierung hat ganz bewusst, denke ich, eine Technokratin, eine Expertin für den Posten des Innenministers gesucht, um das Amt zu beruhigen. Salvini hat sehr stark Wahlkampf betrieben aus diesem Amt heraus. Hier will man wieder zurück zur normalen Arbeit. Das bedeutet Sicherung der nationalen Sicherheit Italiens. Nicht dass die durch die Migranten gefährdet wäre, aber man will auch der EU demonstrieren, dass man nicht als einziges Land zur Verfügung steht, um Flüchtlinge aufzunehmen."

Die alte und die neue Regierung in Italien macht viele Versprechen und will Geld ausgeben, das sie nicht hat. Die EU kritisiert die Haushaltsführung in Rom. Was erwarten 5 Sterne und Sozialdemokraten jetzt von Brüssel?

"Sicherlich erwartet man in Italien eine gewisse Elastizität von der neuen EU-Kommissionspräsidentin, die ja nicht zuletzt auch mit den Stimmen der 5 Sterne gewählt worden ist. Das war ja im Grunde genommen das erste Signal des Bruchs im Regierungsbündnis zwischen Lega und 5 Sternen. Die Notwendigkeit für eine Sparpolitik und eine Haushaltssanierung wird weiter bestehen. Der einzige Weg, der Erfolg verspricht und kostengünstig ist, ist der Abbau bürokratischer Hemmnisse, eine Verschärfung der Kontrollen im Steuerbereich und die Digitalisierung der Verwaltung, die auch zu einem höheren Steueraufkommen führen sollte. Große Versprechungen wird man nicht machen können. Ich könnte mir vorstellen, dass großzügige Maßnahmen der letzten Regierung, wie die Vorruhestandsregelung, bald wieder kippen könnten."

Von der alten Koalition zwischen Matteo Salvini von der Lega und Luigi Di Maio von den 5 Sternen kamen sehr EU-kritische Töne. EU-Skepsis hat eine gewisse Tradition auch bei vielen Vorgänger-Regierungen. Brüssel ist meist an allem Schuld. Wird die neue italienische Mannschaft diese Tradtion aufbrechen ?

Italien Giuseppe Conte
Auch mit dem neuen Kabinett ist Vorsicht gebotenBild: picture-alliance/AP Photo/A. Medichini

"Natürlich müssen alle italienischen Politiker aufpassen, dass sie nicht innenpolitisch in die Schusslinie geraten. Zu große Freundlichkeit gegenüber der EU könnte von der Opposition als unzumutbares Nachgeben ausgelegt werden. Deshalb werden sich alle Politiker hüten, zu starke Zugeständnisse zu machen. Salvini hat ja gesagt, die neue Regierung sei in Brüssel, Berlin und Paris zusammengestellt worden. Diese Vorwürfe wird man versuchen, unter allen Umständen auszuräumen. Insofern wird man konzilliant im Ton, aber hart in der Sache sein."

Privatdozent Dr. Lutz Klinkhammer (58) ist als Historiker und Politologe im Deutschen Historischen Institut in Rom tätig. Sein Fachgebiet ist unter anderem italienische Zeitgeschichte.

Das Gespräch führte Bernd Riegert.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union