1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kokain in Europa auf dem Vormarsch

17. Mai 2011

Die G8 möchte den Kokainhandel in Europa unterbinden. Experten zufolge geht sie dabei vor allem gegen den Rauschgiftschmuggel vor und bekämpft weniger den Konsum.

https://p.dw.com/p/11HX7
Ein aufgerollter Dollarschein neben drei Linien Kokain - die weißte Droge aus Südamerika ist in Europa auf dem Vormarsch (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

"Die Zahl der Kokainkonsumenten in Europa hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt", warnte der französische Präsident Nicolas Sarkozy erst vorige Woche in Paris. Aktuell gebe es vier Millionen Kokain-Konsumenten, Tendenz steigend. In Paris trafen sich Vertreter der G8, der Gruppe der acht führenden Industrienationen, deren Vorsitz Sarkozy derzeit innehat, sowie Vertreter aus vierzehn weiteren europäischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten. Wenige Stunden später unterzeichneten die Diplomaten einen Entwurf für einen Aktionsplan gegen den transatlantischen Kokainhandel.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat zurzeit den G8-Vorsitz inne (Foto: AP)
Der französische Präsident Sarkozy will auf dem G8 Gipfel über gemeinsame Strategien zur Drogenbekämpfung diskutierenBild: AP

Damit ist das Abkommen bereits von 22 Nationen, die vom Kokainhandel betroffen sind, abgesegnet. Beim Gipfeltreffen der G8-Staats- und Regierungschefs Ende Mai im französischen Deauville soll es endgültig verabschiedet werden.

Kokain auf Umwegen nach Europa

Die Coca-Pflanze, aus der das Rauschgift hergestellt wird, wird vor allem in den Andenländen angepflanzt. Immer beliebter wird die Schmuggelroute, die von Lateinamerika über Afrika nach Europa führt. Die genauen Wege, Verstecke und Transportmittel werden dabei stets raffinierter. Deshalb möchten die Staaten ihre maritime Zusammenarbeit sowie die der Geheimdienste ausbauen. Außerdem wollen sie das beschlagnahmte Vermögen von Drogenhändlern in einen UN-Fonds einzahlen, aus dem Antidrogen-Operationen in Entwicklungs- und Schwellenländern finanziert werden sollen.

Wie andere Wirtschaftszweige auch, wird der Drogenhandel von Angebot und Nachfrage bestimmt. Tim Pfeiffer-Gerschel von der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) sowie andere Experten äußerten im Interview mit der Deutschen Welle, dass weltweit nur "unbedeutende" Summen für Prävention und Behandlung von Drogensucht ausgegeben werden, verglichen mit den Mengen, die in die Bekämpfung des Rauschgifthandels fließen.

"In Deutschland werden zehn Prozent des Gesamtbudgets zur Bekämpfung von Drogenhandel und -sucht in die innere Sicherheit investiert", so Pfeiffer-Gerschel. Nur maximal zwei Prozent flössen dagegen in Gesundheitsmaßnahmen. Gregor Burkhart von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (OEDT) erklärt, dass es wichtig sei, die Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken. Dies sei zwar "der teuerste, aber auch ein seit langem bewährter Weg."

Größte Konsumenten: England und Spanien

Europa ist nach Nordamerika der zweitgrößte Markt für Kokain weltweit. Der Konsum ist zuletzt rasant in die Höhe geschnellt und belief sich dem Weltdrogenbericht 2010 zufolge bereits auf 34 Milliarden US-Dollar. In den USA ist er im gleichen Zeitraum auf 37 Milliarden Dollar gesunken. Über die Hälfte der Drogengewinne fließt dabei in die Hände von Groß- und Einzelhändlern in Europa.

1500 Kilo Kokain hat die spanische Polizei bei einer Razzia an der Küste sicheregestellt (Foto: AP)
1500 Kilo Kokain hat die spanische Polizei bei einer Razzia an der Küste sicheregestellt - in Spanien wird im europäischen Vergleich am meistern Kokain konsumiertBild: Picture-Alliance/dpa

In England und Spanien übertrifft der Kokainkonsum Experten zufolge mittlerweile sogar den der USA und Kanada. An dritter Stelle folgt Italien, danach mit geringerem Umfang Deutschland und Frankreich. Kokain ist nach Cannabis oder Marihuana die am weitesten verbreitete illegale Droge in Europa, vor allem in Westeuropa, gefolgt von Ecstasy, Amphetaminen und schließlich Opiaten, darunter vor allem Heroin.

In Osteuropa sei Alkohol lange die legale Droge schlechthin gewesen, so Pfeiffer-Gerschel. "Dann tauchte Heroin auf. Kokain dagegen war zu teuer und weniger verfügbar." Mittlerweile jedoch erstrecken sich die Handelsnetzwerke für Rauschgift auch bis in diese Länder und finden dort ihre Abnehmer. Es handelt sich aber bei Weitem noch nicht um dieselben Summen wie im Westen. Einzige Ausnahme ist Heroin, dessen zweitgrößter Markt in Russland liegt, direkt nach Westeuropa.

Der europäischen Drogenbeobachtungsstelle OEDT zufolge sterben 35 bis nahezu 100 Prozent der jährlichen Drogentoten in 22 europäischen Ländern an Heroinkonsum. Viele Opfer jedoch weisen Vergiftungen mit mehreren Rauschgiften gleichzeitig auf, so Pfeiffer-Gerschel. Dazu zähle meist auch Kokain. Von den 6.400 bis 8.500 Todesfällen in Europa ereignet sich Hälfte in Großbritannien und Deutschland. Rund tausend Fälle stehen mit Kokain in Zusammenhang.

Kampf gegen Kokain bis 2019 verlängert

Um dem Drogenkonsum vorzubeugen, reiche es nicht, Aufklärungskampagnen in Schulen und in den Medien zu starten, meint Gregor Burkhart von der OEDT. Im Gegenteil, die Berichterstattung in den Medien erwecke manchmal den Eindruck, dass der Konsum "normal" und weiter verbreitet sei als tatsächlich. Von einigen Kampagnen zur Gesundheitsvorsorge in den USA und Schottland beispielsweise wisse man, dass sie bei den potentiellen Konsumenten eher Interesse geweckt haben als sie abzuschrecken.

Ein beschlagnahmtes Kleinflugzeug in der Mauretanischen Wüste mit Kokain an Bord (Foto: AP)
Die Schmuggelrouten führen zunehmend über Westafrika: Ein beschlagnahmtes Kleinflugzeug in der Mauretanischen Wüste mit Kokain an BordBild: Polizeibehörde Mauretanien

Deutschland, England, Portugal, Spanien, Polen und Schweden haben deshalb spezielle Programme für gefährdete Familien aufgelegt. Sie lehren Erziehungsmethoden, die "antiautoritär sind, aber nicht ohne Autorität"“, so Burkhart. Außerdem wolle man „dem Konsum jeglicher abhängig machender Substanz“ vorbeugen. Besonders wichtig seien dafür Gesetze, die den Verkauf und Konsum von Alkohol und Tabak regulieren. Aber auch soziale Ungleichgewichte müssen dem Fachmann zufolge behoben werden, beispielsweise im Bildungssystem, im Gesundheitswesen oder bei den Einkommen.

Zur Behandlung von Drogensüchtigen wurden Institutionen gegründet, die sich auf ambulante Therapien spezialisieren. Dazu zählt z. B. die Berliner Kokon e.V. Sie bietet ihre Dienstleistungen auch außerhalb der normalen Arbeitszeiten an und fokussiert sich nicht ausschließlich auf die "Problemviertel" in den Städten. Ihr Ziel ist es, sowohl die "typischen", sozial isolierten, Drogenabhängigen zu erreichen, als auch die "Freizeitkonsumenten"“, die nur am Wochenende und bei Veranstaltungen zum Rauschgift greifen. Laut Pfeiffer-Gerschel seien diese Angebote jedoch selbst in weit entwickelten Ländern wie Deutschland noch kaum verbreitet.

1998 hatte sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Ziel gesetzt, den Drogenhandel und -konsum im folgenden Jahrzehnt "entweder ganz zu beseitigen oder zumindest drastisch einzuschränken"“. Dem stimmten auch die Europäische Union, die G8-Staaten und die meisten süd- und zentralamerikanischen Regierungen zu. Doch 2008 mussten sie die Erreichung dieses ehrgeizigen Ziels aufgrund der schlechten Bilanz um weitere zehn Jahre – auf 2019 – verschieben.

Autorin: Rosa Muñoz Lima
Redaktion: Mirjam Gehrke