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Lifestyle

Kolumne: Bargeldlos verloren in Berlin

Gero Schließ
4. Juni 2017

Berlin ist eine Weltstadt – sagen die Berliner. Denkste, sagt unser Kolumnist Gero Schließ. Wenn es um Zahlungsmittel geht, lebt Berlin noch in der Steinzeit. Und läßt sich auch mit guten Argumenten nicht überzeugen.

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Taxis in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/M. C. Hurek

"Singing in the rain" ist ein wunderbares Musical und spielt in Paris. Nie hätte ich gedacht, dass ich selbst den legendären "Tanz im Regen" einmal aufführen würde. Und dann auch noch in Berlin. Das sah allerdings nicht ganz so unbeschwert aus. Auch der Flirtfaktor hielt sich in Grenzen. Anders als der Musical-Held Gene Kelly wollte ich in diesem Augenblick auch keine schöne Frau erobern. Mir hätte schon der Taxifahrer gereicht.

Ohne Moos nix los

Debbie Reynolds und Gene Kelly unter einem Regenschirm im Film "Singing In The Rain"
Debbie Reynolds und Gene Kelly im Film "Singing In The Rain"Bild: imago/AD

Doch damit begann das Elend. Als ich nämlich an jenem Abend - und es regnete genauso heftig wie bei Gene in Paris - aus einer Veranstaltung stürmte und die Tür des wartenden Taxis aufriss, war die Enttäuschung riesig: Ich hatte es mir in meinen klammen Klamotten gerade irgendwie erträglich eingerichtet, als der Taxifahrer eher beiläufig berlinerte, bei ihm könne man nicht bargeldlos bezahlen. Bum! Das saß! Ohne unnötig viel Kraft darauf zu verwenden, meine Flüche zu unterdrücken, zwängte ich mich in meinem feuchten Zeug aus der Tür heraus und stand im wahrsten Sinne des Wortes im Regen. Auf zum nächsten Taxi, sprach ich mir Mut zu. Doch diesmal war ich vorgewarnt und fragte vorher.

Traue keinem Berliner Taxi!

Ich bekam die gleiche Antwort und noch mehr Nässe. Flüche inklusive. Erst beim dritten Taxi erwischte ich jemanden, der seine tiefe Abneigung gegen zeitgemäße Zahlungsmittel überwunden hatte.

Gelscheine Nahaufnahme
Bargeld spielt in Deutschland noch eine große RolleBild: picture-alliance/dpa/D. Reinhardt

Traue keinem Taxi in Berlin! Die dortige Taxi-Innung hat 2015 das feierliche Gelübde abgelegt, von nun an in jedem Taxi Karten zu akzeptieren. Ich habe mich schon besser amüsiert - siehe oben. Auch jener Taxifahrer, bei dem ich endlich einsteigen konnte, offenbarte mir, er klage gerade gegen den "Kartenzwang", wie er es nannte. Eine Art Robin Hood der Berliner Taxi-Innung, der böse Mächte der Umverteilung am Werk sieht und sich dem bargeldlosen Geldfluss mit aller Macht entgegenstemmt.

Auch im Berghain: Nur Bargeld!

So viel Zivilisationsverweigerung hat mich in Berlin auf dem falschen Fuß erwischt. In Washington, wo ich als Korrespondent gelebt und gearbeitet habe, sind die Taxis bestimmt nicht so verkehrssicher und gepflegt. Aber jede runtergekommene Rostlaube, die sich "Cab" schimpft, hat ein funktionierendes Kartenlesegerät.

Achtung: Reise-Warnung an alle Berlin-Touristen oder jene die es noch werden wollen: Wer in Berlin bargeldlos unterwegs ist, der ist verloren. Nicht nur in Taxis. Auffällig viele Kioske (in Berlin wegen der langen Öffnungszeiten "Spätis" genannt), Restaurants und Clubs verweigern sich den Errungenschaften moderner Bezahltechnik. Auch in Berlins angesagtestem Techno-Club, dem Berghain, will man nicht vom traditionellen Tauschhandel lassen.

Bargeld kostet Geld  

Portrait Gero Schließ vor Mauer
Gero Schließ würde lieber bargeldlos leben

Berlin definiert seinen Weltmetropole-Status schon recht eigenwillig. Das hat die private Berliner Steinbeis-Universität nicht ruhen lassen. Sie rechnete aus: Das Bargeld kostet richtig Geld. Der Einzelhandel in Deutschland gibt jährlich rund 5,7 Milliarden Euro dafür aus, das liebe Geld zu zählen, einzuschließen und auf die Bank zu bringen. 5,7 Milliarden!! Was sind dagegen schon die lächerlichen Gebühren für den Einsatz der Kreditkarte?

Auch jeden einzelnen kostet der Geldscheine- und Münzenfetisch Geld. Jährlich muss jeder von uns 150 Euro dafür drauflegen. Das Geld fehlt dann bei anderen notwendigen Investitionen. Beispielrechnung: Wie viele Wodka-Shots könnte der Berliner sich für 150 Euro genehmigen?

Das ist natürlich nicht ernst gemeint, doch warum zieht selbst die Aussicht auf die hier so populäre hochprozentige Glücksinfusion nicht, frage ich mich? Der Grund können ja eigentlich nur traumatische Erfahrungen sein. Stochern wir also mal in der Geschichte: Ist es der Verlust der DDR-Mark im Jahre 1990? Immerhin entschädigte doch die D-Mark im Tausch für das sozialistische Leichtgeld unsere ostdeutschen Brüder und Schwestern. Und das im Verhältnis 1:1. Aber Achtung: Auch davor waren bereits Hyper-Inflation und Währungsreform in der DNA der Deutschen verankert. Das Trauma summiert sich dann eben: Verlustängste hoch drei. Eine Therapie ist nicht in Sicht. Keine guten Aussichten für die EC-Karte in Berlin also.

DDR Währung liegt auf einer DDR Fahne
Die DDR-Mark wurde von der D-Mark abgelöst bevor der Euro kamBild: picture-alliance/dpa/J. Sasse

Bargeld schadet der Gesundheit

Wollen wir das so hinnehmen? Nicht doch! Machen wir noch einen Versuch: Wenn schon nicht Ökonomie und Genusssucht als Argumente ziehen, vielleicht ist es ja die Gesundheitsvorsorge: Ein deutscher Euroschein wechselt durchschnittlich knapp 150 Mal den Besitzer. Also Berliner, entscheidet euch! Bargeldloser Geldfluss oder papiergeldfeuchter Bakterienfluss.