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Etwas mehr Ruhe bitte!

Frank Sieren14. November 2014

Die Noch-Weltmacht mischt sich gerne und regelmäßig ein, die künftige Weltmacht ebenso. Doch China und die USA sollten die ASEAN-Länder sich in Ruhe zusammenfinden lassen, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Myanmar Asean-Gipfel in Naypyidaw eröffnet Flaggen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Rahim

Es gibt Besucher, die sind in keinem Kulturkreis gern gesehen. Das sind die Gäste, die an der Inneneinrichtung ihrer Gastgeber herummäkeln, sich bei Kaffee und Kuchen laut darüber Gedanken machen, ob die Familienmitglieder richtig miteinander umgehen, ungefragt Tipps für die Pflege der Nachbarschaft geben, oder mit Geldgeschenken den Familienfrieden durcheinander bringen.

Diesen Ruf haben China, aber vor allem die USA bei den ASEAN-Staaten, welche am Donnerstag zu ihrem jährlichen Treffen zusammenkamen. Denn ASEAN ist eine Patchworkfamilie, die auch alleine schon genug zu tun hat, sich zusammenzuraufen.

ASEAN - ein höchst divergentes Gebilde

Im Vergleich zu den ASEAN-Staaten sind die Unterschiede zwischen den Ländern der Europäischen Union kaum auszumachen: Indonesien hat allein 240 Millionen Einwohner. Es festigt allmählich seine junge Demokratie, während Thailand mit seinen knapp 70 Millionen Einwohnern gerade wieder in eine Militärregierung zurückgefallen ist. Die Philippinen hingegen sind eine wilde, aber stabile Demokratie. Vietnam wird von reformorientierten Kommunisten geführt. Und die Stadtstaaten Singapur und Brunei werden auf sehr unterschiedliche Weise straff geführt. Und kein Staatenbündnis der Welt ist von einer größeren religiösen Vielfalt geprägt: Christentum, Buddhismus und Islam sind mit gemäßigten Gruppen und im Süden der Region auch mit in radikalen Gruppen vertreten. Das Wohlstandsgefälle zwischen und innerhalb der einzelnen Staaten ist groß.

Als ASEAN 2009 gegründet wurde, war die EU das Vorbild. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es für die ASEAN- Länder mit über 600 Millionen Menschen viel komplizierter ist, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen. Und selbst die Position zum mächtigen Nachbarn China entzweit mehr als sie vereint. 2012 endete das Treffen der zehn südostasiatischen Außenminister in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh erstmals in der Geschichte des Bündnisses sogar ohne gemeinsame Abschlusserklärung, weil man sich nicht über den Umgang mit China einigen konnte.

Zurückhaltung der Großmächte wäre angebracht

In dieser Lage hilft nur eines: Die Gäste aus China und USA hätten auf dem ASEAN-Gipfel in der burmesischen Hauptstadt Naypyidaw so zurückhaltend wie möglich agieren sollen. Also kein Herumgemäkel an der Entwicklung der Familie und vor allem keine vermeintlich guten Ratschläge an einzelne Familienmitglieder.

Das ist jedoch nicht der Stil der Amerikaner: Kaum gelandet kritisierte US-Präsident Barack Obama die Menschenrechtslage in Myanmar. Es gäbe "Rückschritte" im politischen Reformprozess: "Der Fortschritt ist nicht so schnell, wie viele das gehofft hatten als der Übergang vor vier Jahren begann". Obama verwies dabei unter anderem auf Einschränkungen der Pressefreiheit und Verletzungen der Menschenrechte von ethnischen Minderheiten. Es gebe "Berichte über Morde, Vergewaltigung und Zwangsarbeit". Da nützte es auch nichts, dass der Onkel aus Amerika am Ende versöhnlich davon sprach, dass der Reformprozess "real" sei.

Frank Sieren Kolumnist (Foto: privat)
DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Solche Schulnoten, wie vom amerikanischen Präsidenten mag keines dieser Länder bekommen. Zumal man den Amerikanern in Asien nicht zutraut, überhaupt einschätzen zu können, welches politische System unter welchen Umständen das Beste sei. Die ASEAN-Länder haben andere Maßstäbe: Stabilität wiegt mehr als Freiheit. Sich die Einmischung zu verbitten, ist nicht anti-amerikanisch, sondern entspricht einem grundlegenden westlichen Wert: nämlich dem der Selbstbestimmung. Ein Wert, den Peking in seiner Außenpolitik überraschenderweise höher hält als viele westliche Staaten.

Auch Peking mischt sich gerne ein

Allerdings mag auch Peking sich nicht ganz raushalten. Die Chinesen machen es nur ein wenig leiser und unauffälliger. Statt sich öffentlich zu positionieren, versuchen sie in Einzelgesprächen mit den Mitgliedern der ASEAN-Familie, den einen gegen den anderen auszuspielen. Und auch über die 480 Millionen US-Dollar, die China als Hilfe im kommenden Jahr an die ASEAN-Staaten vergibt, dürfen die ASEAN-Länder nicht selbst entscheiden. Das Geld wird von Peking politisch gezielt verteilt. Selbstverständlich kann sich Peking auf den Standpunkt stellen: wer zahlt, bestimmt. Doch das ist kurzsichtig: Die ASEAN-Staaten, die an einem Strang ziehen und womöglich sogar einen gemeinsamen Ansprechpartner für die Welt darstellen könnten, wären in der Lage, Asien politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren.

Doch daran haben die USA und China nur ein Interesse, wenn ASEAN so handelt, wie sie wollen. Solange das nicht der Fall ist, fummeln die beiden Großmächte weiter in den ASEAN-Angelegenheiten herum. So kommen die ASEAN-Länder, die sich schon selbst genug im Weg stehen, nie zusammen.

Ausgerechnet der prowestliche Armeegeneral Prayut Chan-o-cha, der nach einem Putsch in Thailand derzeit als Premierminister regiert, fand die richtigen Worte: Die ASEAN-Staaten sollten der internationalen Gemeinschaft "gemeinsam und unabhängig von äußeren Einflüssen demonstrieren", dass sie ihre Meinungsverschiedenheiten mit China alleine lösen können.

Im kommenden Jahr besteht genug Gelegenheit dazu: Die ASEAN-Staaten einigten sich bei dem Treffen in Myanmar darauf, dass 2015 das Jahr der maritimen Kooperation von China mit den ASEAN-Staaten ist.

Unser Kolumnist Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen China- Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.