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Kommandowechsel in Kabul

Sandra Petersmann17. Dezember 2002

Brigadegeneral Manfred Schlenker hat seinen letzten Tag in der afghanischen Hauptstadt. Nach sechs Monaten ist es an der Zeit, den Kommandostab weiterzureichen. Sandra Petersmann zieht mit ihm Bilanz.

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Bald unter anderer Führung: Deutsche Soldaten in KabulBild: AP

Manfred Schlenker ist 51 Jahre alt und seit über 30 Jahren Berufssoldat bei der Bundeswehr. Die vergangenen sechs Monate hat er in der afghanischen Hauptstadt Kabul verbracht. Als Kommandeur der 1200 deutschen Soldaten der internationalen Schutztruppe ISAF. Und als Befehlshaber der multinationalen Brigade von Kabul. In dieser Funktion hat er den Einsatz von über 5000 Soldaten aus 19 Nationen koordiniert und geleitet.

Bislang gefährlichster Einsatz

Bundeswehroffizier in Afghanistan
Gefährlicher EinsatzBild: AP

Die Zeit in Kabul war sein bislang gefährlichster Auslandseinsatz. Aber wenn Brigadegeneral Manfred Schlenker auf die vergangenen sechs Monate in Afghanistan zurückblickt, dann spricht er nicht zuerst über die wiederholten Raketenangriffe auf das deutsche Feldlager "Camp Warehouse", die alle gut ausgegangen sind. Oder über die Autobombe, die am 5. September im Zentrum von Kabul explodiert ist und mindestens 25 Menschen getötet hat.

Nein, der scheidende Kommandeur des deutschen Kontingents spricht als erstes über das, was er in Kabul gelernt hat, zum Beispiel über den Islam. "Ich habe Gespräche mit den Mullahs hier in Kabul geführt und stelle dabei fest, dass man eigentlich gut miteinander auskommen kann, und dass die Feindbilder, die da manchmal nach dem 11. September auch in unserer Gesellschaft gemalt wurden, einfach nicht zutreffen." Was ihn eigentlich in Afghanistan immer am meisten überrasche, so Schlenker, sei die Herzlichkeit und die Gastfreundschaft der Menschen. Das sei eine Erinnerung, die er als bleibend mit nach Hause nehme.

ISAF kann nicht alle Probleme lösen

Mal Soldat, mal Diplomat und manchmal sogar Politiker - so ein Einsatz als Kommandeur in Kabul hat viele Seiten. Vor allem auch deshalb, weil die Diskussion über die Ausweitung des Mandats der internationalen Schutztruppe ISAF über die Stadtgrenzen von Kabul hinaus einfach nicht abebben will. Brigadegeneral Schlenker hat zwar Verständnis für diese Forderung der afghanischen Regierung, ist aber persönlich auch dagegen. Er ist der Ansicht, dass Afghanistan seine Konflikte nun selber lösen muss. ISAF könne nicht alle Probleme im Land lösen. "Und von daher ist meine Aufforderung eher, dass die Afghanen jetzt diese Chance ergreifen, nach 23 Jahren Krieg ihre Konflikte selber zu lösen und den friedlichen Weg selber zu finden."

Fußball in Kabul
AufbruchstimmungBild: AP

Manfred Schlenker ist begeistert vom neuen, pulsierenden Straßenhandel in der afghanischen Hauptstadt. Und vom Willen der Menschen, ihre zerstörte Heimat wieder aufzubauen. Aber er weiß auch, dass es genau hier, beim Wiederaufbau, noch gewaltig hapert. Der große Wurf ist noch nicht gelungen, und die Menschen in Kabul werden trotz aller Aufbruchstimmung langsam ungeduldig. "Sie wollen ihre Familien und Kinder ernähren. Sie wollen, dass die Kinder wieder zur Schule gehen, und sie wollen Arbeitsplätze", fasst Schlenker seine Beobachtungen zusammen.

"Geberländer" müssen ihre Versprechen halten

Jetzt sieht Schlenker die internationale Staatengemeinschaft in der Pflicht, die vor kurzer Zeit noch großzügige Finanzzusagen machte und nun mit Taten auf sich warten lässt: "Das Geld, dass die Geberländer Afghanistan versprochen haben, das muss jetzt fließen. Das muss jetzt kommen, um große Projekte auf den Weg zu bringen, um den Wiederaufbau voranzubringen, für alle sichtbar."

Erste Soldaten für Afghanistan abflugbereit
Ehre und BürdeBild: AP

Denn es warten große Herausforderungen auf das zerrüttete Land: "Nicht nur die Soldaten, die es hier im Übermaß und im Überfluss gibt, müssen wieder in die zivile Gesellschaft integriert werden. Auch zahllose Flüchtlinge warten auf ihre Reintegration. Außerdem sind zahllose Waffen einzusammeln. Die afghanische Regierung hat, was die Bewältigung dieser Aufgaben betrifft, riesige Erwartungen an das deutsche ISAF-Kommando. Eine große Ehre, findet Manfred Schlenker. Aber auch eine gewaltige Bürde.