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Politik

Über "alternative Fakten" in den Orwell-Staat

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
30. Januar 2017

Was ist wahr an Donald Trumps Äußerungen, was falsch, wenn er den bisher anerkannten Darstellungen widerspricht? Mit seinen "alternativen Fakten" legt er die Axt an die demokratische Gesellschaft, meint Martin Muno.

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Inauguration Obama vs Trump
Preisfrage: Auf welchem Foto sind mehr Menschen zu sehen?Bild: picture-alliance/AP Photo

Was erwidert US-Präsident Donald Trump auf die Kritik an seinem Einreiseverbot für Muslime? Es richte sich nicht gegen eine bestimmte Religionsgruppe. Was sagt er zur NATO? Die ist in seinen Augen wahlweise "obsolet" oder besitzt "fundamentale Bedeutung". Auch zur Folter gibt es widersprüchliche Aussagen: "Absolut. Ich fühle, dass es funktioniert", sagte Trump am vergangenen Donnerstag. Der New York Times sagte er Ende November 2016 dagegen, Folter sei weniger nützlich, als viele dächten. Mit ein paar Zigaretten und ein paar Drinks erziele man viel bessere Verhör-Ergebnisse. Welche Aussage repräsentiert Trumps wahre Ansicht zu solch wichtigen Themen? Welche sollen wir glauben?

Warum bemüht sich Trump, die durch Fotos belegte Tatsache zu widerlegen, dass bei seiner Inauguration weniger Menschen zugegen waren als an der seines Vorgängers Barack Obama? Und was soll der mehrfach geäußerte Zweifel am Ergebnis der US-Wahl?

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DW-Redakteur Martin Muno

Eine oft gehörte Antwort lautet: Der Mann ist ein Egomane, ein Narzisst. Diese Antwort wäre besorgniserregend, denn das hieße: Den mächtigsten Posten der Welt mit direktem Zugriff zu dem Atomwaffenarsenal bekleidet ein psychisch Kranker. Was aber, wenn das nur die zweit-besorgniserregendste Möglichkeit ist? Wenn der vordergründige Wahnsinn Methode hätte?  Was ist, wenn das mittlerweile geflügelte Wort der Trump-Beraterin Kellyanne Conway von den "alternativen Fakten" keine spontane Ausrede ist, sondern Teil eines Plans?

Wenn Worte nicht mehr stimmen

Nehmen wir ein anderes Zitat: "Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke." Nein, das ist kein Zitat Trumps. Es stammt aus einem fast 70 Jahre alten Roman, der gerade auf Platz 1 der Bestsellerliste des US-Versandhändlers Amazon steht: George Orwells Klassiker "1984", in dem ein totalitärer Überwachungsstaat dargestellt wird. Das Zitat zeigt auf, warum das Buch wieder massenhaft gelesen wird. Wenn systematisch der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge verwischt wird, muss der politische Diskurs über die Frage scheitern, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Auch das ist keine neue Erkenntnis. Schon der chinesische Philosoph Konfuzius wusste im 5. Jahrhundert v. Chr.: "Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste. Darum achte man darauf, dass die Worte stimmen."

Trump tut dagegen alles, damit die Worte nicht mehr stimmen: Er widerspricht sich. Er zweifelt offenkundige Dinge an. Er verhängt diversen Regierungsbehörden Maulkörbe. Und das ist zumindest langfristig gefährlicher als alles andere, was er vorhat. Man kann sich trefflich streiten, ob eine isolationistische Wirtschaftspolitik nicht vielleicht doch effektiver oder sogar sozialer ist als eine globalisierte. Aber das kann man eben nur, wenn beide Seiten eine gemeinsame Faktenlage anerkennen.

Medien werden zu Kombattanten

Ist diese Grundlage der Kommunikation entzogen, fehlt jedem Argument die Basis. Und das ist das Ende des demokratischen Streits um die beste Lösung. Mit ihrem "Neusprech" im besten Orwellschen Sinne legen Trump und seine Mitstreiter die Axt an die Wurzel einer freien Gesellschaft. Das zeigt ihr Umgang mit den Medien deutlich: Indem Trump & Co. sie der Lüge und der Verbreitung von Fake News beschuldigen, machen sie diese nicht mehr zum Mittler, sondern zum Kombattanten im Bürgerkrieg der Worte.

Und sie sind nicht alleine: Angesprochen auf die Tatsache, dass die Kriminalitätsrate von Ausländern nicht signifikant höher ist als die von Deutschen, sagte der Berliner AfD-Politiker Georg Padzerski: "Perception is Reality" - "Wahrnehmung ist Realität". Es gehe nicht nur um reine Statistik, es gehe auch darum, "wie der normale Bürger das empfindet." In letzter Konsequenz darf dann ein Polizist jemanden festnehmen, weil irgendein "normaler Bürger" das Gefühl hat, die Person könne vielleicht ein Verbrechen begangen haben. Und damit sind wir wieder bei Orwells "1984".

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus