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2015 - Ein schreckliches Jahr

Kudascheff Alexander Kommentarbild App
Alexander Kudascheff
31. Dezember 2015

Die Schlagzeilen des abgelaufenen Jahres 2015 waren ganz überwiegend schlechte Nachrichten. Zwar keine historische Zäsur, aber die Welt ist in Unordnung geraten, meint DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff.

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Deutschland Unwetter nach Hitze
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kusch

2015 war ein schreckliches, ein bedrückendes Jahr. Ein Jahr der Krisen, der Kriege der Katastrophen. Ein Jahr des Zerfalls der alten Ordnung, ein Jahr der Machtdemonstrationen, des monströsen Terrors von Paris über Beirut bis Bamako, ein Jahr der großen Wanderungen, der politischen und der gesellschaftlichen Umbrüche. War es auch ein Jahr des Epochenbruchs? Des Epochenwandels? Der historischen Zäsur?

1989 hat der amerikanische Historiker Francis Fukuyama das Ende der Geschichte konstatiert. Er war sicher, nach der Implosion der kommunistischen Staaten würden nun die liberalen westlichen Demokratien triumphieren. Ein Vierteljahrhundert danach kann man nur sagen: ein Fehlurteil. Im Gegenteil: In der Welt herrscht politisch die große Unordnung. Die Welt ist in Bewegung geraten. Und das Epizentrum des Bebens ist der Nahe Osten.

Der Aufstieg des IS veränderte eine ganze Region

Es gehörte zu den scheinbar unumstößlichen Wahrheiten, dass nichts im Nahen Osten gelöst ist, solange der Palästinakonflikt ungelöst bleibt. Nun es ist sicher, dass die Zukunft der Palästinenser gelöst werden muss, aber dieser Konflikt ist 2015 weit in den Hintergrund gerückt. Der rasante Aufstieg des sogenannten "Islamischen Staates", die grenzenlose Brutalität der Schergen des IS, ihr Griff nach der Herrschaft in Syrien und im Irak, ihr Wille, ein Kalifat in der Tradition des frühen Islam zu erbauen, hat den Nahen Osten umgekrempelt. Die bisherige nahöstliche Ordnung, errichtet nach dem Ersten Weltkrieg, verschwindet nun hundert Jahre danach. Die Kurden träumen wieder von einem Staat. Die Syrer und Iraker dagegen müssen fürchten, dass ihre Staaten untergehen - oder sich bis zur Unkenntlichkeit verändern.

Und aus dem Nahen Osten breitet sich der Terrorismus aus. Von Bangladesch bis Mali erschüttert der Islamismus Länder und Kontinente. Der Krisenbogen reicht von Asien bis Afrika - nennt sich mal Al Kaida, mal Boko Haram, mal Al Nusra und mal Al Shabaab. Und seine explosiven Wellen reichen auch nach Europa. Paris wurde zweimal terroristisch getroffen, und damit hat der europäische Kontinent seine Selbstsicherheit verloren. Trotz aller Flüchtlinge, die vor allem Deutschland, Schweden und Österreich aufnehmen, igelt sich der Kontinent ein. Errichtet Grenzen und streitet sich. Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und Bewegung ist unübersehbar und verstört. Eine politische, eine gesellschaftliche Antwort darauf steht noch aus.

Kudascheff Alexander (Foto: Kommentarbild App)
DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff

Dabei musste Europa den Krieg vor seiner Haustür erfahren - in der Ukraine. Immerhin gelang es, den Konflikt einzufrieren - auch durch die deutsch-französische Zusammenarbeit. Mehr aber nicht. Und dabei wurde die außenpolitische Schwäche der Europäer sichtbar. Sie bewegen nur wenig, sie trauen sich nicht viel, und sie trauen sich kaum was zu. Merkels "Wir schaffen das" in der Flüchtlingspolitik, fehlt ein ebenso entschiedenes "yes we can" in der EU. Stattdessen Zweifel und Ängstlichkeit. Zuwenig für einen Akteur, der in der Weltpolitik mitmischen will.

Russland zurück auf der Weltbühne, die USA treten ab

2015 hat darüber hinaus zwei Erkenntnisse verfestigt: Russland ist trotz aller Sanktionen wieder auf der Bühne der Weltpolitik zurück. Putin hat das Land mit seiner Machtpolitik rehabilitiert. Und die USA Obamas ziehen sich auf sich selbst zurück. Gerade auch geprägt durch den anlaufenden Wahlkampf, aber geprägt vor allem durch die kühle Rationalität des noch ein Jahr amtierenden Obama: Er weiß, dass Amerika nicht mehr alle Probleme der Welt lösen kann und dies vor allem nicht will.

2015 ist keine Epoche zu Ende gegangen. Aber es wird deutlich, dass die Krisen sich ineinander global verschränken - und dass es immer schwieriger wird, globale Antworten zu finden. Die Folge: Die Politik wird nationaler und die UN sind nicht mehr als eine Bühne. Für Auftritte, aber nicht für Lösungen. Und deswegen ist 2015 ein bedrückendes, ein schwieriges, ein schreckliches Jahr gewesen. Auch weil es für 2016 kaum Hoffnung gibt, es würde besser werden.

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