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Politik

Ein Linker streitet für die Freiheit

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Felix Steiner
26. Mai 2020

Die Kanzlerin ist sauer und Ministerpräsidenten der Union üben ätzende Kritik. Doch was ist eigentlich falsch am Vorstoß von Bodo Ramelow? Lockerungen der Corona-Maßnahmen sind das Gebot der Stunde, meint Felix Steiner.

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Erfurt Thüringen Ministerpräsident Bodo Ramelow
Die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften will auch Bodo Ramelow beibehaltenBild: picture-alliance/dpa/M. Reichel

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann ist er jetzt erbracht: Bodo Ramelow ist eigentlich gar kein Linker. Zumindest kein typischer. Denn linke Parteien, sozialistische zumal, so lehrt es die Politikwissenschaft seit Jahr und Tag, zeichnet ein besonderer Glaube an die Problemlösungskompetenz des Staates aus. Während liberale und mitte-rechts Parteien normalerweise ihre Aufgabe in erster Linie darin sehen, die Freiheit der Bürger zu verteidigen und sie gegen Übergriffe des Staates zu schützen.

Verkehrte Welt im Deutschland der Corona-Krise: Ausgerechnet der Ministerpräsident von Thüringen - der einzige Länderchef, den die Links-Partei stellt - will die staatlichen Eingriffe zurückschrauben und redet von einem Ausstieg aus allen der Pandemie geschuldeten Verboten. Und die schärfste Kritik erntet er von Amtskollegen aus dem Lager der Unionsparteien, die Ramelows Vorschlag - mehr ist es gegenwärtig noch gar nicht - einfach "unverantwortlich" finden. Zur Erinnerung: CDU und CSU sind die Parteien, die vor 40 Jahren noch mit der Parole "Freiheit statt Sozialismus" in den Wahlkampf zogen.

Selbstverantwortetes Maßhalten

Nun also kommt der Sozialist Ramelow und will von "Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortetem Maßhalten". Was daran soll eigentlich so unverantwortlich sein - zumal in Thüringen? Das kleine Flächenland mit seinen 2,1 Millionen Einwohnern und wenigen größeren Städten hat aktuell weniger als 250 Corona-Infizierte. Die aktuellen Regeln, sagt Ramelow, seien aufgestellt worden, als man bis zu 60.000 akute Fälle innerhalb der Landesgrenzen befürchtete. Wozu es zum Glück nie gekommen ist.

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DW-Redakteur Felix Steiner

Außerdem geht es hier um das Für und Wider von Regeln, deren Einhaltung im zumeist ländlichen Raum ohnehin niemand überprüfen kann. Wenn zwei statt drei Menschen in einer Bäckerei stehen, die Tische im Restaurant nur einen statt anderthalb Meter auseinander gerückt sind, oder sich Freunde aus vier statt der erlaubten zwei Haushalte zum Grillen treffen - wer will das eigentlich kontrollieren? Und was passiert bei einem Verstoß?

Die jüngsten Infektionsherde in einer hessischen Kirchengemeinde und einem Restaurant in Niedersachsen haben auch die dort geltenden restriktiven Regeln nicht verhindern können. Und der Berliner Verfassungsgerichtshof hat am Dienstag entschieden, dass Bußgelder gegen die Verletzung der Abstandsregeln in der deutschen Hauptstadt nicht mehr verhängt werden dürfen, weil die Vorschriften zu unpräzise formuliert sind.

Es kommt auf die Bürgerinnen und Bürger an

Allein diese beiden Schlaglichter machen deutlich, dass es in der jetzigen Phase weniger auf Gesetze und Verordnungen ankommt, als auf das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger. Das "selbstverantwortete Maßhalten", wie Bodo Ramelow es nennt. Oder den verantwortungsvollen Gebrauch von Freiheit, wie es die Unionsparteien nennen könnten, wenn ihnen nicht der Mut und das Vertrauen in die Vernunft der Menschen abhandengekommen wären. Denn natürlich wissen gerade auch die Alten und die sogenannten Risikopatienten nach zwei Monaten Ausnahmezustand, dass sie bestimmte Dinge weiterhin nicht tun sollten, selbst wenn sie bald wieder erlaubt werden.

Deswegen: Gebt den Menschen ihre Freiheit zurück! Denn die Bundesrepublik Deutschland ist ein freies Land mit mündigen Bürgerinnen und Bürgern. Merkwürdig genug, dass daran ausgerechnet ein Ministerpräsident der Linken erinnern muss, während die angebliche "Kanzlerin der freien Welt" angesichts dieser Diskussion lieber beleidigt in ihrem Büro sitzt und die nächste Verhandlungsrunde mit den 16 Länderchefs aufschiebt: "Das will ich mir nicht antun." 

Doch, Frau Bundeskanzlerin, das müssen Sie sich antun. Weil genau solche Diskussionen ein freies Land ausmachen. "Alternativlos" war schon viel zu viel in Ihrer Amtszeit.