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Autoindustrie vor ungewissen Zeiten

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Henrik Böhme
22. Juli 2019

Den Deutschen wird ein inniges Verhältnis zum Auto nachgesagt; sie halten sich ja auch für die Erfinder des Automobils. Bloß nützt das alles wenig, wenn, wie gerade, die Karten neu gemischt werden, meint Henrik Böhme.

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Deutschland Auto im Bahntunnel in Bielefeld
Bild: picture-alliance/dpa/C. Mathiesen

Es gibt ja eine Menge Dinge, die man immer wieder über die Deutschen sagt. Zum Beispiel: Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind. Nun aber stellt sich die Frage: Stimmt das noch so? (Vorausgesetzt, es hat je gestimmt.) Was man sagen kann: Trotz aller Tricksereien und Betrügereien der deutschen Hersteller verzichten die Deutschen nicht aufs Auto. Weder aufs Kaufen noch aufs Fahren. So wie zwar neuerdings alle von Flugscham reden, aber dann trotzdem in den Urlaub fliegen. Also werden fleißig weiter fahrbare Untersätze gekauft (kaum Zuwächse, aber die Auguren sprechen von einem stabilen Markt). Fun Fact: Die Deutschen kaufen wieder häufiger - Achtung: Dieselautos.

Für alle, die jetzt direkt Schnappatmung bekommen: Elektroautos sind mittlerweile auch hierzulande stark im Kommen. Zulassungssieger im ersten Halbjahr sind reine Elektroautos mit einem plus von 80 Prozent, bei Hybriden immerhin plus 70 Prozent. In Stückzahlen gerechnet freilich sieht das alles noch bescheiden aus, der Marktanteil der reinen Stromer liegt bei noch immer bescheidenen 1,7 Prozent. Zum Vergleich: Ein Drittel aller zugelassenen Autos wird von einem Selbstzünder, vulgo Diesel, angetrieben. Aber: Mit 48.000 zugelassenen E-Autos und Plug-in-Hybriden hat Deutschland im zurückliegenden Halbjahr Norwegen überholt (44.000); die Skandinavier gelten ja als E-Auto-Benchmark. 

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Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Schlechte Nachrichten von Daimler und BMW

Trotzdem wäre es nicht nur vermessen, sondern schlicht falsch zu schreiben: Der deutschen Autoindustrie geht es wieder gut. Das Gegenteil ist richtig. Die zurückliegenden Tage waren voll von schlechten Nachrichten. Daimler zum Beispiel, die mit dem Stern: Innerhalb von zwei Wochen musste der neue Konzernchef die Gewinnprognose zweimal nach unten korrigieren. War wohl doch nicht so doll, was der alte Chef, Dieter Zetsche, seinem Nachfolger hinterlassen hat. Auch Daimler (O-Ton Zetsche 2015: "Bei uns wird nicht betrogen") hat längst seinen eigenen Dieselskandal, muss einen hohen dreistelligen Millionenbetrag zur Seite legen.

Beim bayerischen Konkurrenten BMW kam der Vorstandschef Harald Krüger sozusagen unter die Räder und einem Rausschmiss zuvor, der Eigentümerfamilie war der nette Herr Krüger wohl zu nett. Jedenfalls stimmte die Performance Richtung E-Mobilität nicht mehr - vom Aktienkurs ganz zu schweigen. Bei BMW weinen sie offenbar noch immer Herbert Diess hinterher, der gerne BMW-Chef geworden wäre, aber nicht wurde und nach Wolfsburg zu VW wechselte. Dort mischt er seit zwei Jahren den Laden auf mit einem durchaus riskanten Strategieschwenk Richtung E-Auto.

Wie wird Donald Trump entscheiden?

Aber auch bei Volkswagen wachsen die Bäume keinesfalls in den Himmel, zu sehr lasten die 30 Milliarden Euro an Diesel-Strafzahlungen auf dem Unternehmen, dass ja gleichzeitig den mindestens genauso teuren technologischen Umbau stemmen muss. Am Ende muss das Geld verdient werden, und das geht nur über verkaufte Autos. Aber just schwächelt durch allerlei Unbill wie Handelskonflikte etc. die Weltkonjunktur, und das merken die Autobauer sofort: Auf wichtigen Märkten wie den USA und China mussten die Hersteller deutliche Absatzeinbußen hinnehmen. Aufs gesamte Jahr gerechnet erwarten Auto-Analysten durch die Bank eher rote als schwarze Zahlen.

Zu allem Übel ist ja auch überhaupt nicht klar, wohin sich der Chef-Twitterer des Weißen Hauses bewegen wird, was Strafzölle auf europäische Autohersteller betrifft. Da herrscht im Moment zwar sowas wie Ruhe an der Front, aber das könnte durchaus auch die Ruhe vor dem großen Sturm sein.

Da braut sich also einiges zusammen, und gerade für die Autobauer - gerne als deutsche Vorzeigebranche bezeichnet - werden die kommenden Monate, vielleicht auch Jahre, eher Schotterpiste als Rennstrecke. Die politische Flankierung hierzulande scheint zumindest noch gegeben, auch wenn sich die Zeiten da wohl auch geändert haben. Denn anders als früher, als deutsche Kanzler den Vornamen "Auto" trugen, kommen aus dem Kanzleramt nun - endlich, möchte man sagen - klare Ansagen: Tut endlich was, wir haben euch lange genug den Arsch gerettet!

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58