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Bautzen ist nur ein Synonym

Marcel Fürstenau16. September 2016

Seit Beginn der Flüchtlingskrise ist die Stadt immer wieder Schauplatz von Brandanschlägen, Pöbeleien und Krawallen. Viele halten das für typisch sächsisch. Marcel Fürstenau hat einen anderen Blick auf die Ereignisse.

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Polizisten und rechte Demonstranten in Bautzen
Polizisten in Kampfmontur versuchen, weitere Ausschreitungen in Bautzen zu verhindernBild: picture-alliance/dpa/Xcitepress

Ja, im Osten Deutschlands gibt es proportional mehr Rechtpopulismus und Extremismus als im Westen. Ja, in Sachsen scheint es besonders schlimm zu sein. Dresden ist Keimzelle und Hochburg der selbsternannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida), die republikweit Ableger hat. Südlich der Landeshauptstadt liegt Heidenau. Dort versuchte im August 2015 ein gewalttätiger Mob die Unterbringung von Flüchtlingen zu verhindern. Und Bautzen war schon im Februar Schauplatz hässlicher Bilder, als eine noch unbewohnte Unterkunft für Flüchtlinge unter dem Beifall Schaulustiger abrannte.

Langeweile und Frust als Brandbeschleuniger

Und nun ist es wieder Bautzen, wo Rechte und minderjährige Flüchtlinge aufeinander losgehen. Für Menschen mit unverrückbarem Welt- und Feindbild ist klar, wer daran schuld ist: die Ausländer oder die Rechten. So simpel scheint der Fall aber keinesfalls zu sein. Denn es spricht viel dafür, dass in Bautzen eine lange bekannte aggressive Grundstimmung zwischen unterschiedlichsten Milieus in Krawalle mündete. Dieses Bild entsteht, wenn man sich bemüht, die Darstellungen aller Seiten zusammenzufügen. Dazu gehören auch Kommunalpolitiker, die Polizei, Sozialarbeiter, Wissenschaftler.

Demnach sind hier Gruppen aneinandergeraten, die so ziemlich alles voneinander trennt, die aber auch eine Gemeinsamkeit teilen: Langeweile und Frust. Wenn dann noch Alkohol ins Spiel kommt, kann sich das schnell in Gewalt entladen. In Bautzen soll es diese brisante Mischung schon länger geben. Arbeitslose Jugendliche, die auf Marktplätzen oder in Einkaufszentren rumlungern, sind im ganzen Land anzutreffen. Und Flüchtlinge, die weder eine Perspektive noch soziale Bindungen haben, ebenfalls.

DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel Fürstenau
DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW/S. Eichberg

In der Enge einer kleinen Stadt wie Bautzen mit gut 40.000 Einwohnern fällt es ihnen aber oft schwerer, sich aus dem Weg zu gehen. Denn auf Sympathie gründende Nähe suchen die meisten sowieso nicht. Auch das gilt für ganz Deutschland und darüber hinaus. Dass solche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ideal sind für rechte Rattenfänger und an Eskalation interessierten Extremisten, liegt auf der Hand.

Deprimierend ist die Hilflosigkeit

Über die sogenannten sozialen Medien lassen sich leicht Aktionen planen. Ob das in Bautzen eine Rolle spielte, ist unerheblich. Es gibt aber Hinweise darauf, dass an den Krawallen auch Leute von außerhalb beteiligt gewesen sind. Auch das ist kein neues und schon gar nicht auf einen bestimmten Ort begrenztes Phänomen. Deprimierend ist die weit verbreitete Hilflosigkeit, die wieder einmal zu beobachten ist. Kenner der Szene (wo auch immer die sich befindet) mahnen seit Jahren bessere Konzepte an. Dazu gehören mehr Angebote und Rezepte für sozial Schwache, Flüchtlinge, aber auch Extremisten.

Natürlich gibt es Leute, die wird man nie erreichen. Die müssen, wenn sie straffällig werden, mit allen gesetzlich zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden. Erste vorbeugende Maßnahmen könnten aber sofort umgesetzt werden. Dazu gehört beispielsweise das Verbot von Alkohol-Konsum im öffentlichen Raum. Nach den Exzessen in Bautzen wurde Alkohol-Verbot für die jugendlichen Flüchtlinge verhängt, außerdem ein Ausgehverbot ab sieben Uhr abends. Ein erster richtiger Schritt.

Die nächsten Krawalle sind nur eine Frage der Zeit

Andere, darunter die rechten Randalierer, dürfen sich aber offenbar weiterhin mitten in der Stadt sinnlos volllaufen lassen. Warum? Es ist nur eine Frage der Zeit, der Gelegenheit oder der Laune, bis die Stimmung das nächste Mal kippt. Es könnte wieder in Sachsen passieren, wieder in Bautzen, aber auch an jedem anderen Ort in Deutschland. Dass einige Gegenden besonders anfällig sind für pogromartige Feindseligkeiten, ist hinlänglich bekannt. Und doch ist Bautzen nur ein Synonym für gesellschaftliche Spannungen, die es überall gibt. Wer davor die Augen verschließt, macht es sich zu leicht.

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